Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


"Man will doch nicht ständig in einem Bekenntnis wohnen"

Wer als anerkannter Künstler mehr als eine Disziplin beherrscht, wird gern verdächtigt, in einer der beiden eher ein Dilettant zu sein. Der Dramatiker Max Frisch beweist aber das Gegenteil, denn er war auch ein zeitweise erfolgreicher Architekt.

Von Christian Linder | 05.05.2013
    Den Berufen des Schriftstellers und des Architekten ist als Ursprung gemeinsam der Narzissmus. Narzissmus als Versuch, sich zu entäußern, die Welt zu gestalten und sich nach außen objektivieren zu können. Die persönlichere, größere narzisstische Befriedigung erfüllt sich natürlich ein Schriftsteller, der über sein eigenes, wenn auch in den Büchern vielleicht noch so verstecktes Ich die Welt für sich und von sich überzeugen kann, während ein Architekt den Umweg zum Beispiel über Häuser gehen muss, die einfach deshalb zwischen dem Traum und der Befriedigung stehen, weil ein Architekt - es sei denn, er besitze den Ruhm Le Corbusiers oder Frank Lloyd Wrights - nicht frei seinen Fantasien folgen kann, sondern sich an den Wünschen von fremden Auftraggebern orientieren muss und ihm nach Fertigung eines Bauplans nichts anderes übrig bleibt als zu beaufsichtigen, ob die Handwerker seinen Plan auch korrekt ausführen.

    Auch für Max Frisch war der Beruf des Architekten zweite Wahl. Zunächst hatte er sich, bevor er 1936 im Alter von 25 Jahren an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich ein Architekturstudium begann, von Jugend an in der Rolle eines Schriftsteller gesehen und, nach einem vorausgegangenen, aber nicht beendetem Germanistik-Studium, vor allem aus Gründen des Gelderwerbs schon viel geschrieben und veröffentlicht, Reiseberichte in der "Neuen Zürcher Zeitung" und den 1936 erschienenen Roman "Jürg Reinhart" sowie das ein Jahr später erschienene Büchlein "Antwort aus der Stille", aber die narzisstische Befriedigung als Schriftsteller, das Spiel mit den Möglichkeiten eines Ichs, das er später ausgekundschaftet hat, traute er sich damals noch nicht zu, weil sein eigenes Ich in seinem Begehren noch zu unartikuliert war und er keine Ahnung hatte, wohin er sich schreibend überhaupt auf den Weg machen wollte und sollte.

    Die - auch in der ästhetischen Form sich zeigende - raffinierte Erfahrung in Narzissmus, die Frischs späteres Werk auszeichnete, war noch sehr unterentwickelt und kam in einem Roman wie "Jürg Reinhart" als plumpe Bekenntnisprosa daher. Deshalb hat Frisch den Roman später auch nicht in seine Werkausgabe aufgenommen - das Buch erschien ihm als eine zu "schlecht getarnte Autobiografie". Damals empfand er sich als einen Gescheiterten, zumal im Hinblick auf die Reiseberichte, Feuilletons und Literaturkritiken. Die spätere Bilanz in seinem "Tagebuch 1946 – 1951" war illusionslos:

    "Zuhause brauchte ich noch zwei Jahre, um einzusehen, was es mit dem literarischen Journalismus auf sich hat, wohin es führt, wenn man auch zu Zeiten, wo man nichts zu sagen hat, ins Öffentliche schreibt, um leben zu können."

    Eines Tages packte er alles Geschriebene zusammen, vieles unveröffentlicht, Prosaskizzen und auch Tagebücher, und verbrannte es in einem Wald; es war so viel Papier, das er zwei Mal in den Wald musste. Nie wieder werde er schreiben, schwor er sich. Aber was nun anfangen mit dem bis dahin, wie ihm schien, etwas verbummelten Leben?

    "Eine Freundin, als wir heiraten wollten, war der Meinung, dass ich vorerst etwas werden müsste. Sie sagte nur, was ich selber dachte; immerhin war es ein Schock, zum ersten Mal die ernsthafte Vorstellung, dass das Leben misslingen kann."

    In dieser Situation folgte er dem Rat eines engen Jugendfreundes und begann ein Architekturstudium, das ihm der Freund, Sohn einer reichen Zürcher Familie, finanzierte. Die Berufsbezeichnung "Schriftsteller", die er sich in einem gewissen Größenwahn als junger Mann in seinen Pass hatte eintragen lassen, ließ er löschen und dafür "stud. arch.", "Student der Architektur" eintragen. Er war damals froh um die Entscheidung. Rückblickend, 1975 in seiner autobiografischen Erzählung "Montauk", schreibt er:

    "Wieso grad Architekt? Der Vater ist Architekt gewesen (ohne Diplom), das durchsichtige Pauspapier, die Reißschiene, die wippen kann, das Meterband als verbotenes Spielzeug. Ich zeichne exakter, als ich vordem geschrieben habe. Als Zeichner von Werkplänen komme ich mir übrigens männlicher vor."

    Begeisterung für den neuen Job

    Eine Erleichterung: Statt schreibend in Feuilletons ein Halbwissen vorzuführen, unausgegorene Ideen auszubreiten - neben dem frühen Germanistik-Studium hatte er auch Philosophie-Vorlesungen gehört, die ihm nach eigenem Bekenntnis nur seinen Mangel an Denkkraft offenbarten - meinte er nun etwas Konkretes in den Händen zu halten:

    "Das Unpapierne, Greifbare, Handwerkliche, die stoffliche Gestalt."
    Alles sprach für den neuen Beruf:

    "Gerade dieses an-die-Dinge-heran ist ja meine Sehnsucht, dieser Wunsch auch nach Substanz im äußerlichen Sinn."

    Im Gegensatz zum Germanistik-Studium beendete Frisch das Architektur-Studium und versuchte nun als Diplom-Architekt seinen Träumen zu folgen, zum Beispiel dem Traum einer architektonischen Gestaltung von offenen Räumen. Einmal, bei einem Besuch in Siena, stand ihm dieser Traum deutlich vor Augen. Man hatte den dortigen Domplatz mit einer Kathedrale vollständig überbauen wollen, ließ den Plan jedoch vor allem aus Gründen der Statik fallen. Gott sei Dank, fand Frisch:

    "Das Ergebnis ist wunderbar! Es bleibt ein Platz unter offenem Himmel, aber der Innenraum, der gewollte, ist bereits vorstellbar, man sieht: Dieser Raum, der jetzt noch keiner ist, wäre dem Uferlosen entrissen worden, der Sonne entzogen. Der Raum als Dasein wie vorher der Körper des Turms; nämlich der umgrenzte, der gefasste und gestaltete Raum, der den unbegrenzten und unfassbaren erst zur Ahnung bringt [ …] Form: wenn das Unvorstellbare, das Dasein, sich darzustellen vermag […]"

    Nach dem Architekten-Diplom 1940 arbeitete Max Frisch zunächst als Angestellter in einem Büro in Baden, bis er 1943 ein eigenes Büro im Zürcher Stadtteil Wiedikon eröffnete, das er 1955 - ein Jahr zuvor war der Roman "Stiller" erschienen - an einen Mitarbeiter verkaufte und seither als freier Schriftsteller lebte.

    "12 Jahre mit Reißbrett, Bleistift, Rechenschieber, Pauspapier, Reißschiene, Zirkel, Geruch von Tusche. Der weiße Kittel des Zeichners. Wenn man ein großes Pauspapier rollt: der zischende flatternde Ton. Rollen aus Pappe. Die tägliche Fahrt zur Arbeit: Ich bin nicht mehr Student und nicht mehr Schriftsteller, ich gehöre zur Mehrheit. Ihre Gesichter in der Bahn morgens und abends. Ich trage gern den weißen Zeichenmantel, ich zeichne gern. Draußen schneit es, so dass man die Zeichenlampe braucht; Glanz auf dem glatten Pauspapier."

    Die Heirat mit Constanze von Meyenburg, Tochter einer alten und vermögenden Adelsfamilie aus Schaffhausen, fand 1942 statt; drei Kinder gingen aus dieser ersten Ehe hervor. Der Weg in ein traditionelles, bürgerliches Leben schien bereitet. Gleich zu Beginn der Architekten-Zeit auch ein großer Karriere-Sprung: Frisch gewann 1943 einen Wettbewerb für den Bau des Zürcher Schwimmbads Letzigraben; 82 Architekten hatten Entwürfe eingereicht. Frisch selbst konnte es kaum fassen. In einem Brief an den Jugendfreund schrieb er:

    "Es erscheint mir als ein dermaßen voluminöses Schwein, dass ich es in der Wohnung meines Alltags vorerst kaum unterbringe."

    Gebaut werden sollte das Schwimmbad auf historischem Grund:

    "Hier haben die Russen gegen die Franzosen gekämpft; die Ziegel einer römischen Villa sind weithin verstreut über Galgenhügel, Schindanger, Schrebergärten … Zur Zeit bin ich es, der seinen Willen einträgt in dieses Flecklein unserer Erde, Feldherr über fünfunddreißigtausend Quadratmeter."

    Das von Max Frisch entworfene Zuercher Freibad Letzibad strahlt in neuem Glanz
    Das von Max Frisch entworfene Zuercher Freibad Letzibad (picture alliance / dpa / keystone / Walter Bieri)
    Frisch entwarf einige Häuser

    Als "Feldherr" konnte er sich zunächst jedoch nicht entfalten. Die Nationalsozialisten hatten Europa mit einem Krieg überzogen, und auch wenn die Schweiz nicht unmittelbar betroffen war, bedrängten die Auswirkungen die Stadt Zürich als öffentlichen Auftraggeber des Schwimmbads so sehr, dass die Bauarbeiten Jahr um Jahr verschoben wurden; erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Schwimmbad vollendet und 1949 eingeweiht.

    Während der Kriegsjahre konnte sich Frisch deshalb auch um andere, kleinere und realisierbare Projekte kümmern, zum Beispiel um ein Haus in Arlesheim, das er für seinen Bruder entwarf. Die Arbeit am Entwurf gefiel ihm auch. Er träumte von einem Haus, gebaut aus Luft oder in den Wolken, ein Haus …

    " … wie es nicht gerade ein anderes auf dieser Erde gab; hatte es doch Aussicht durch alles hindurch, voll von einer milden und herbstlich versponnenen Sonne, die auf keine Wände traf, ohne Schatten, und durch das Dach […] zog munter das leichte Abendgewölk; es roch nach Rauch, nach verbrannten Stauden von den Äckern. Mitten aus einer goldenen Stille heraus, wie über die eigene Reise erschrocken, plumpste immer wieder einmal das Obst in die feuchte Wiese."

    Als es aber an die Realisierung des Bauplans ging und die Ausschachtung begann, kam die Ernüchterung:

    "Nichts als eine große Wunde von brauner klaffender Erde, eine Baracke daneben, eine Latrine, von raschem Unkraut und Disteln überwuchert."

    Die konkreten Bauarbeiten erlebte Frisch als innere Katastrophe:

    "Mein Bruder schenkt mir Vertrauen. Sein Geld ist knapp; es wird ein kleines Haus. Je simpler mein Plan, umso besser wäre es. Stattdessen will ich Einfälle zeigen, und es wird ein dummes Haus, aber es wird gebaut: der Aushub, das Gerüst, die Fundamente, die Schalungen und alles nach Plan, dann das Wachsen der rohen Mauern und was außerhalb des Planes liegt: viel Erde, Bretter, Haufen von Backsteinen, alles dinglich."

    Das Skizzieren eines Plans, das Bauen in den Wolken hat Max Frisch als Architekten immer mehr interessiert als die konkreten Realisierungen. Auf einer Baustelle überkam ihn jedes Mal auch das Gefühl einer fundamentalen Unsicherheit.

    "Einmal auf dem Bau muss ich erfahren, dass eine Treppe, die ich gerechnet und gezeichnet habe, nicht auf dem oberen Podest ankommt; es fehlt eine Tritthöhe, während die Länge stimmt. Das kommt dann nie wieder vor. Die Platten für die Stufen sind schon geschnitten gewesen; der Boss hat den Schaden übernommen. Auf der Baustelle heiße ich: Herr Architekt. Sehe ich meine Kalligrafie in den Händen eines Eisenlegers oder eines Zimmermanns, so bin ich etwas kleinlaut, auch wenn die Pläne stimmen. Oft habe ich keine Ahnung, wie etwas auszuführen ist; ich weiß nur, das weiß der Arbeiter dann schon."

    Wahrscheinlich hat Max Frisch das Spiel mit den offenen Möglichkeiten, das er als Architekt suchte und in der Wirklichkeit der Realisierungen seiner Pläne nicht ausleben konnte, wieder zur Literatur hingeführt, denn im Schreiben, im geliebten Füllen der leeren weißen Blätter mit Wörtern, Skizzen, Plänen, Orten, Räumen und Kulissen störte ihn dann niemand mehr; er war bis in die Realisierung eines literarischen Plans allein seinen Fantasien gegenüber verantwortlich und baute sich die Häuser, in denen er selbst wohnen wollte, in seinen Büchern.

    Diese Vorstellung vom imaginären Wohnen in Büchern hat er für seine Person auch immer akzeptiert und ist vermutlich deshalb nie auf den Gedanken gekommen, als Architekt für sich selbst ein reales Haus zu bauen, als Ort eines unveränderlichen Bekenntnisses:

    "Man will doch nicht ständig in einem Bekenntnis wohnen."

    Stattdessen lockte in diesen Jahren als Architekt wieder die Literatur, als Bekenntnis zu den offenen Spielmöglichkeiten – "Biografie. Ein Spiel" - nannte Frisch später ein Theaterstück, auch wenn aus den rückblickend als veränderbar gedachten und durchgespielten Lebensmöglichkeiten sich doch nur wieder die alte, gelebte Geschichte ergab.

    Während dieser erneuten Hinwendung zur Literatur in den 1940er-Jahren kam ihm auch zugute, dass er in den zwölf Jahren seiner Architekten-Arbeit das Schreiben - entgegen dem Vorsatz angesichts des Feuers im Wald - nie aufgegeben hatte. Einerseits war er, 1939 als Kanonier in die Schweizer Armee eingezogen, dem Auftrag eines Vorgesetzten gefolgt und hatte ein Tagebuch geführt, das 1940 unter dem Titel "Blätter aus dem Brotsack" erschien; andererseits war er seinen eigenen inneren Aufträgen gefolgt und hatte weiter Prosa geschrieben wie den 1944 herausgekommenen Roman "J’adore ce qui me brûle oder Die Schwierigen".

    Hinzu kam die in den letzten Kriegsjahren begonnene Theaterarbeit mit am Zürcher Schauspielhaus uraufgeführten Stücken wie "Santa Crux", "Nun singen sie wieder" und "Die chinesische Mauer". Das Schreiben tat ihm auch deshalb gut, weil er in seiner Arbeit als Architekt unausgelastet war, infolge der Kriegsjahre nicht nur mangels Aufträgen; auch das Material fehlte. In "Montauk" findet sich die Beschreibung dieser Lebensphase:

    "Um acht Uhr ins Büro; um zehn Uhr fahre ich ins Schauspielhaus zu den Proben, sitze als Laie im Parkett und höre. Wenn die Schauspieler nach Hause gehen, um Texte zu lernen, fahre ich zur Baustelle und sehe, wie sie den Sprungturm ausschalen, anderswo Platten verlegen, wie der Schreiner endlich seine Werkstattarbeit bringt und einpasst. Da klappt nicht alles, sowenig wie bei den Proben im Schauspielhaus. Verkörperlichung dort wie hier. Zwar bewerkstelligen es die andern, trotzdem habe ich das Gefühl, Hände zu haben. Es entsteht etwas. Es ist mir bewusst, dass das eine volle Zeit ist Tag für Tag"

    Der Sprungturm gehörte zum Schwimmbad im Letziggraben. Im "Tagebuch 1946 – 1949" findet sich unter dem Titel "Letziggraben, August 1947" folgender Eintrag:

    "Endlich ist es soweit, dass wir mit unserem Bau beginnen. Die ersten Arbeiter sind auf dem Platz; ihre braunen Rücken glänzen von Schweiß, und um die Baracke, wo unsere Pläne warten, wimmelt es von leeren Bierflaschen; irgendwo werfen sie Bretter aufeinander, dass es hallt; die ersten Lastwagen sind da, und heute, wie ich auf diese Baustelle komme, ist es schon ein ganzer Berg von brauner Erde; ein Bagger frisst die Wiese weg mitsamt den Stauden. In zwei Jahren, die mir sehr lang erschienen, soll die Anlage eröffnet werden; ein Freibad für das Volk."

    Die Arbeiten am Bau des Schwimmbads zu beaufsichtigen war für Frisch ein zwiespältiges Gefühl. Im Tagebuch notierte er:

    "Muster für Glas, Muster für Verputz, Muster für Aschenbecher, Muster für Beschläge, Muster für Lasur, alles wartet auf Entscheidung, und längst Entschiedenes trifft täglich ein, heute die Schlosserarbeit, das Geländer für den Pavillon, alles ist greifbar, so, wie du es entworfen hast, unbarmherzig, ob es dir nun gefällt oder nicht; es ist da, und die beste Idee verändert es nicht mehr. Wie leicht es ist, das Fertige zu beurteilen! Selbst wo es dir gefällt, hat es etwas Befremdendes, fast Erschreckendes; alles wird eisern und steinern, endgültig, es gibt nichts mehr zu wollen."

    In die Zeit des Schwimmbad-Baus und der gleichzeitigen Teilnahme Frischs an Proben seiner ersten Theaterstücke im Zürcher Schauspielhaus fiel die Begegnung mit Bertolt Brecht. Brecht war 1947 aus dem amerikanischen Exil nach Europa zurückgekehrt und hatte sich in der Schweiz, in Herrliberg ein Quartier gesucht, um von dort aus zunächst die Entwicklung in den beiden Teilen Deutschlands zu beobachten. Kurt Hirschfeld, Dramaturg am Zürcher Schauspielhaus, stellte den Kontakt zwischen Frisch und Brecht her. Immer wieder Besuche in Herrliberg:

    "Die Wohnung […] befindet sich in einem alten Gärtnerhaus, Dachgeschoss. Wir essen in der Küche […] oder in der Diele, die etwas Estrichhaftes hat wie überhaupt die ganze Wohnung, etwas anregend Vorläufiges […] zum schwarzen Kaffee setzen wir uns endlich in einen Arbeitsraum, der ein schönes Fenster gegen den See und die Alpen hat, die für Brecht allerdings nicht in Betracht kommen; er findet das Fenster auch schön, nämlich weil es Helle gibt. Das Zimmer hat etwas von Werkstatt: Schreibmaschine, Blätter, Schere, Kiste mit Büchern, auf einem Sessel liegen Zeitungen, hiesige, englische, deutsche, amerikanische, […] auf dem großen Tisch sehe ich Kleister mit Pinsel, Fotos, Bühnenbilder von einer Aufführung in New York."

    Der Schweizer Schriftsteller und Dramaturg Max Frisch während einer Dichterlesung in Frankfurt am Main
    Max Frisch im Jahr 1973 (picture alliance / dpa / Rehm)
    Freundschaft mit Brecht

    Frisch erzählte von seiner Arbeit als Architekt und lud Brecht ein, die Baustelle des Schwimmbads im Letziggraben zu besichtigen. Es gibt ein Foto, das diesen Augenblick festgehalten hat: Frisch im schwarzen Anzug und mit Krawatte, offenbar zeichnet er etwas in ein Notizbuch, beobachtet von Brecht, der eine Mütze trägt und die Arme hinter dem Rücken zusammengefaltet hat; diese Haltung signalisiert Brechts Aufmerksamkeit. Es war die Neugier für die Arbeit eines Architekten, die Frisch an Brecht beeindruckte.
    "Über zwei Stunden stapfen wir umher, hinauf und hinunter, hinein und hinaus, rundherum; hinzu kommt, was den Schaffenden unterscheidet vom Kenner, unweigerlich - das Brüderliche, das aus Erfahrung lebendige Bewusstsein: Zuerst ist nichts! … Die Kenner, wenn sie etwa eine Zeichnung sehen, gehen von Dürer oder von Rembrandt oder von Picasso aus; der Schaffende, gleichviel wo er selber wirkt, weiß um das leere Papier."

    Die Einweihung des Schwimmbads fand am 18. Juli 1949 statt. Frisch hatte einige Freunde per Brief eingeladen, mit den Schlussworten:

    "Es wird nichts serviert. Der Rundgang dauert vielleicht vierzig Minuten. Es wird nicht über Literatur gesprochen. Mit freundlichem Gruß, Max Frisch."

    Frischs Blick zurück:

    "Sonniges Wetter und viel Volk. Sie schwimmen, springen von den Türmen. Die Rasen sind voll von Menschen, halb nackt und halb bunt, und es ist etwas wie ein wirkliches Fest; ein paar alte Leutchen, die natürlich nicht baden, bewundern die vielen Blumen, und der Pavillon, der auf dem Galgenhügel steht, hat stürmischen Betrieb."

    Das Schwimmbad im Zürcher Letziggraben war Max Frischs einziger öffentlicher Bau. Es ist heute noch in der Gestalt, wie es gebaut wurde, zu sehen, und es wirkt auch schön, wie es in die umgebende Parklandschaft eingefügt wurde. Ein origineller Bau ist es nicht, und die übrigen zwei, drei Privathäuser, die Frisch als Architekt geplant und gebaut hat, mag man schon gar nicht bedeutend nennen. Die einzige Bedeutung, die Frischs Leben und Arbeit als Architekt heute, rückblickend, zukommt, rührt daher, dass er diese Arbeit in seinem Schreiben reflektiert und als Schriftsteller immer wieder zu Fragen und Problemen der Architektur Stellung genommen hat.

    "Achtung: die Schweiz" hieß ein 1955 erschienenes Büchlein von drei Autoren: Markus Kutter, Lucius Burckhardt und Max Frisch. Ein Pamphlet als Plädoyer für eine neue Stadtarchitektur im Sinne einer humanen Bewohnbarkeit. Wir hätten nicht die Städte, die wir brauchen, hatte Frisch vor Erscheinen dieses Pamphlets schon wiederholt festgestellt, sondern nur "katastrophale" Städte als Werk zwar hervorragender "Fachleute, die aber nur immer neue und imposantere Schutzmaßnahmen fänden gegen eine Entwicklung, die als Schicksal erscheine", Städtebau lediglich als Bewältigung von Miseren, die wiederum andere Miseren erzeugten.

    "Schmuck, gepflegt, gewissenhaft, säuberlich, nett, putzig" - so beschrieb schon Stiller in dem gleichnamigen Roman aus dem Jahr 1954 - geschrieben zu einer Zeit, als Frisch noch im eigenen Architekturbüro arbeitete - das Erscheinungsbild der Schweiz. Was heiße hier Tradition, hält Stiller einem jungen, karrierebewussten Architekten voll "fideler Resignation" entgegen:

    "Ich dächte: sich an die Aufgaben seiner Zeit wagen mit dem gleichen Mut, wie die Vorfahren ihn gegenüber ihrer Zeit hatten. Alles andere ist Imitation, Mumifikation, und wenn sie ihre Heimat noch für etwas Lebendiges halten, warum wehren sie sich nicht, wenn die Mumifikation sich als Heimatschutz ausgibt?"

    Am Rande seines schriftstellerischen Werks ist Max Frisch aus eigener Erfahrung und Beobachtung immer wieder auf die Architektur nicht nur als Landschafts-, sondern auch als Form der Lebensgestaltung zurückgekommen und hat diese Gestaltung mehr und mehr als ein politisches Problem begriffen:

    "Architektur hat mit Geld zu tun, mit Gesellschaft zu tun. Dann habe ich mich mit Städtebau befasst, und da kommst du natürlich ganz direkt im Sturzflug in die Frage hinein, wem gehört der Boden? Und solange der Boden der Spekulation freigegeben ist, ist Städtebau so gut wie ausgeschlossen … da wurde ich politisiert."

    Ein Hörspiel über Architektur

    Ein Mal hat Max Frisch dieses Problem nicht am Rand seines Werks behandelt, sondern sogar ins Zentrum gerückt. "Der Laie und die Architektur" heißt ein Hörspiel aus dem Jahr 1956, geschrieben also zu einer Zeit, als er den Architektur-Beruf aufgegeben hatte und als freier Schriftsteller lebte. Eine denkwürdige Produktion - Regie führte damals Martin Walser.

    "Laie:
    Wir sprechen über Städtebau. Ich bin Laie. Ich gehe davon aus, dass unsere Städte nicht für die Fachleute, sondern hauptsächlich für Laien gebaut werden - oder gebaut werden sollten.

    Architekt:
    Hm. Einverstanden.

    Laie:
    Zum Beispiel für meine Frau und mich.

    Frau:
    Hm. Es ist nett von dir, dass du mich nicht vergisst.

    Laie:
    Wir, die Laien also, sind es, die in den heutigen oder morgigen Städten wohnen müssen. Infolgedessen meine ich: Auch als Laie, ja gerade als Laie habe ich das Recht zu fragen, wie es mit unsren Stadtplanungen steht.
    Architekt:
    Dieses Recht bestreitet Ihnen niemand, denke ich.

    Laie:
    Meine Frage: Wie denken Sie sich, dass unsere Städte von morgen aussehen werden? Wird es dann noch lustig sein, in unseren Städten zu leben? Ich frage Sie als Fachmann, als Architekt: Was habt ihr im Sinn?

    Architekt:
    Ja, ich bin Architekt - und Sie nennen sich einen Laien.

    Laie:
    Was nicht ausschließt, dass einer denkt.

    Architekt:
    Aber anders als der Fachmann. Das ist es! Schauen Sie mich an: Ich bekomme einen Auftrag, dazu ein Grundstück, dessen Baufluchten meines Erachtens ein schlechter Witz sind, aber ein gesetzlich geschützter Witz. Was soll ich tun? Wenn ich kein Träumer bin, bleibt mir als Architekt nichts andres übrig: Ich entwerfe im Rahmen der Gegebenheiten, ich baue nach den Vorschriften der herrschenden Bauordnungen, die bis zum Baubeginn nicht zu ändern, also hinzunehmen sind, gleichviel wie ich nun darüber denke. Wozu soll ich auch viel darüber denken! Ich muss ja bauen. Und ich will ja bauen. Und je genauer ich alle Prämissen meines Auftrags kennenlerne, die rechtlichen, die ich nicht ändern kann, die menschlichen gesetzt den Fall, mein Bauherr ist ein Parvenü, ein großzügiger Mann, aber ohne eignes Urteil, dafür voll Bedürfnis zu imponieren mit Dingen, die ihm selbst imponiert haben, umso klarer wird es, dass an eine Architektonische Lösung, wie ich sie stets erträume, leider nicht zu denken ist. Wie oft, wenn ich vor meinen Baugruben stehe, erscheinen sie mir wie ein Grab!

    Frau:
    Wieso denn?
    Architekt:
    Ja, einmal mehr begrabe ich die moderne Architektur, die Architektur, die ich für die Zukunft als notwendig erachte. Was hilft mir das Denken in die Zukunft? Wie gesagt, sobald ich baue, habe ich mich mit dem heutigen Zustand abzufinden, und das gibt für unsereinen schon Arbeit genug, Denkaufgaben genug. Und mit der Zeit, sehen Sie, gewöhne ich mich natürlich daran, nur noch an die heutigen Möglichkeiten zu denken. Ich laufe Gefahr, die heutigen Gegebenheiten für endgültig und unabänderlich zu halten. Ich laufe Gefahr, sozusagen auf fachmännische Weise zu verdummen. Ich denke, aber ich denke nur noch innerhalb gewisser Grenzen, innerhalb der Konvention. Innerhalb dieser Grenzen, die ich aus meiner täglichen Erfahrung kenne, mag ich ein ideenreicher, ein tüchtiger, ein hervorragender Fachmann sein. Aber man kann sich fragen, ob der Fachmann, der tätige, berufen ist, Schöpfer der Zukunft zu sein. Mit anderen Worten: ob es wirklich die Sache der Architekten ist, unsere Städte von morgen zu entwerfen. Wenn ich Sie richtig verstehe, so sind Sie der Meinung, dass man den Städtebau nicht einfach den Architekten überlassen kann.

    Laie:
    Ich bin der Meinung; die Aufgaben stellt nicht der Fachmann, sondern immer der Laie; der Fachmann löst sie. Oder sagen wir statt Laie: die Gemeinschaft aller Laien, die Gesellschaft, die Polis. Daher bin ich der Meinung: Städtebau ist ein politisches Anliegen. Ein Anliegen der Polis.

    Architekt:
    Tja, so sollte es sein.

    Laie:
    Nicht wahr?
    Architekt:
    Also, wer stellt unseren Städtebauern die Aufgabe? Und das ist doch Ihre Frage.

    Laie:
    Ja.

    Architekt:
    Tja, das ist eine heikle Frage.
    Laie:
    Man kann keine Städte planen, ohne zu wissen, welche Art von Gesellschaft darin wohnen soll. Man baut immer für eine Gesellschaft, die es gibt oder die es geben soll. Und diese Entscheidungen zu fällen, ist nicht die Sache unserer Architekten, sondern die Sache aller Bürger. Ihr könnt doch nicht planen, ohne ein Ziel zu haben, das euch von einem Fürsten oder von einem Volk gegeben wird. Ich frage: Habt Ihr dieses Ziel bekommen? Und von wem?

    Architekt:
    Hm.

    Laie:
    Eine Stadtplanung, die kein ideologisches Ziel hat, gleicht einem Schneider, der Maßanzüge macht, ohne zu wissen, wer sie tragen soll.

    Architekt:
    Ja, ja, ich verstehe, was Sie meinen."

    Im Praktischen hat Max Frisch seit Mitte der 1950er-Jahre nur noch selten auf seine Erfahrungen als Architekt zurückgegriffen. Für seinen Verleger vom Suhrkamp Verlag, Siegfried Unseld, fertigte er Anfang der 1980er Jahr den Plan für ein Wohnhaus an, doch Unseld, vielleicht weil er den Plan zu konventionell fand, wollte das Haus nicht bauen lassen. Im Nachlass fand sich auch eine Skizze, die vermutlich als Plan für einen Umbau des New Yorker Loft gedacht war, in das Frisch ebenfalls in den 1980er-Jahren gezogen war; auch dieser Plan wurde nie verwirklicht.

    Statt architektonische Probleme wie eine moderne Stadtplanung weiter zu verfolgen, war Frisch in seinem Werk auch viel zu sehr mit seinem Ich und seinem Mann Frau Drama beschäftigt. Nur wenn er dieses Herumpolken im eigenen Ich und den Zwang, die Frauen unbedingt von sich überzeugen zu müssen, als zu anstrengend empfand, konnte er zeitweise sein altes, längst in die Ferne gerücktes Berufsthema des Architekten wieder hervorholen und zum Beispiel auf ein Thema wie in dem Theaterstück "Don Juan oder die Liebe zur Geometrie" kommen, das einen Mann zeigt, der keine Lust hat, Don Juan zu sein, am liebsten würde er Mathematik betreiben und nicht dauernd diese Anstrengungen mit den Frauen durchstehen müssen. Da sehen wir Max Frisch als Person, die er auch einmal gewesen war, mit einer anderen und ihn früher entlastenden Leidenschaft, die er in seinem Beruf des Architekten erlebt hatte:

    "Hast du es nie erlebt, das nüchterne Staunen vor einem Wissen, das stimmt? Zum Beispiel: was ein Kreis ist, das Lautere des geometrischen Orts. Ich sehne mich nach dem Lauteren, Freund, nach dem Nüchternen, nach dem Genauen; mir graust vor dem Sumpf unserer Stimmungen. Vor einem Kreis oder Dreieck habe ich mich noch nie geschämt, nie geekelt. Weißt du, was ein Dreieck ist? Unentrinnbar wie ein Schicksal: es gibt nur eine einzige Figur aus den drei Teilen, die du hast, und die Hoffnung, das Scheinbare unabsehbarer Möglichkeiten, was unser Herz so oft verwirrt, zerfällt wie ein Wahn vor diesen drei Strichen."