Sonntag, 05. Mai 2024

Archiv


"Man wird auf Sex-Appeal setzen"

Um Aufmerksamkeit für die Frauenfußball-WM zu erzeugen, setzten die Macher auf das bewährte Prinzip "Sex sells", sagt der Medienexperte Norbert Bolz. Schließlich gehe es um sehr viel Geld. Der Frauenfußball habe sich zwar extrem gesteigert, für Bolz sind die Qualitätsunterschiede zum Männerfußball "immer noch viel zu groß".

Norbert Bolz im Gespräch mit Karin Fischer | 21.06.2011
    Karin Fischer: Um die wertvolle Ressource Aufmerksamkeit geht es auch bei unserem letzten Thema, denn die Frauenfußball-Weltmeisterschaft beginnt am Sonntag und jetzt reiben sich alle die Augen. Ein Sport, in dem Frauen jahrzehntelang nichts verloren hatten, in dem sie regelrecht diskriminiert wurden, natürlich mit fadenscheinigen Argumenten, schickt sich an, sexy zu werden. Die erste Riege der National-Elf in Abendroben in "Cosmopolitan", fünf Nachwuchsspielerinnen in nassen durchsichtigen Hemdchen im "Playboy", die Barbie-Puppe im WM-Dress. Auf der anderen Seite die Image-Kampagne "Liras Manifest", ein Video-Clip über Lira Bajramaj zur WM, mitproduziert von Nike. Das ist der Tonfall der Emanzipation, der hier zu hören ist. Aber was passiert da gerade soziologisch? Ist das die neue Weiblichkeit oder das ganz alte Schema Sex sells? – Die Frage ging vor der Sendung an den sportlichsten seiner Zunft, den Soziologen Norbert Bolz.

    Norbert Bolz: Es ist, denke ich, im Wesentlichen auch eine Marketingaktion, und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es auch eine konzertierte Aktion ist bei dem Versuch – wie soll man sagen? -, das zweite Fußball-Sommermärchen in Deutschland zu zaubern, und man möchte nun alles daran setzen, zunächst einmal die Aufmerksamkeit des Publikums auf dieses Event zu konzentrieren. Und da ist es für mich nicht besonders überraschend, dass man zu dem Naheliegendsten greift, nämlich eben, wie Sie richtig sagen, Sex sells, also dass man tatsächlich versucht, zunächst mal ein Interesse an den Körpern – denn es ist ja ein Spiel von Körpern, die aufeinander abgestimmt sind im Fußball -, dass man das Interesse an diesen Körpern konkret weckt und dass man darüber hinaus natürlich auch suggerieren will, das sind nicht irgendwelche anonymen Figuren, sondern interessante Leute, die das Potenzial zur Celebrity haben.

    Fischer: Trotzdem gibt es da ja eben Widersprüchlichkeiten, die wir zum Beispiel im Männersport Fußball einfach nicht haben. Forscherinnen sagen, doing sports heißt doing gender, und die Zuschreibungen, was Mädchen und Frauen tun und lassen sollen, die gibt es heute ja so nicht mehr, oder nur im "Tatort", in dem zuletzt eine muslimische Fußball-Spielerin für aufreizende Fotos einen tödlichen Preis zu bezahlen hatte. Aber haben wir es tatsächlich immer noch damit zu tun, dass wir sozusagen Stereotypen von Weiblichkeit abarbeiten müssen, auch wenn sie jetzt etwas muskelbepackter daher kommen?

    Bolz: Na ja, es geht um viel Geld. Es geht um Öffentlichkeit, die dauerhaft während eines langen Events hergestellt werden soll. Da wird man sich weniger von Frauenemanzipation leiten lassen, als vielmehr von klassischen Rezepten erfolgreicher Eventgestaltung, und solange wird man natürlich auch auf Geschlechtsstereotypen setzen, man wird auf Sex-Appeal setzen, man wird auf Glamour und Celebrity setzen. Das muss man, glaube ich, ganz offen gestehen. Trotz aller Schaufensterreden aller verantwortlichen Männer, die ja den Frauenfußball in den letzten Monaten und Jahren über den grünen Klee gelobt haben, bin ich ziemlich sicher, dass die Verantwortlichen doch große Zweifel daran haben, dass das Spiel als solches, also das rein sportliche Ereignis, tatsächlich eine ähnliche Faszinationskraft ausüben kann als das entsprechende Spiel der Männer.

    Fischer: Von Martin Heidegger ist überliefert, er hätte für ein Fußballspiel jedes Hölderlin-Seminar sausen lassen. Was glauben Sie, wenn Sie die Ökonomie so betonen, welche Wirkung diese Frauen-WM für Deutschland hat? Wird es das beschworene Familienfest, wird es eine neue Welle wie damals bei Boris und Steffi im Tennis oder wird es einfach nur der Startschuss für die Totalkommerzialisierung jetzt eben auch des Frauenfußballs?

    Bolz: Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Frauenfußball in absehbarer Zeit kommerzialisiert wird, also dass sich auch Ligen, die von Profis gestaltet werden, einrichten lassen. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es zu einer Art Boris-Becker-Effekt kommt, also dass das Interesse von Mädchen, jungen Frauen am Fußball noch weiter wächst, als es ohnehin schon da ist. An ein sportliches zweites Märchen kann ich nicht so recht glauben, da ist wohl der Wunsch Vater des Gedankens, so wie man ohnehin sich ein bisschen die Augen reibt und auch – wie soll man sagen? – an seinen eigenen Ohren zweifelt, wenn man hört, wie sich die FIFA-Offiziellen und die DFB-Offiziellen zum Frauenfußball äußern. Wenn man so stark gelobt wird und so begeistert in den Himmel gehoben wird, sollte man eigentlich skeptisch werden, und ich fürchte, die Skepsis, die wird nach dem Event dann umso größer sein.

    Fischer: Klingt ein bisschen so, wie wenn man beim Jungssport immer die integrative Funktion der Feldarbeit betont.

    Bolz: Sehr guter Vergleich, sehr, sehr guter Vergleich. Also es ist in der Tat so ein bisschen auch therapeutisches Gerede dabei und ich verstehe einerseits die Verantwortlichen, die immer auch neben dem Sport so etwas wie Gesellschaftspolitik mit im Blick behalten wollen und vielleicht auch müssen. Aber bei realistischer Betrachtung muss man doch sagen, es gibt da nach wie vor gewaltige Unterschiede. Ich will das nicht praktisch aufs Niveau der alten Stereotype herabdrücken; natürlich hat sich der Frauenfußball extrem verändert und extrem gesteigert. Aber ich denke, die Qualitätsunterschiede sind immer noch viel zu groß, als dass man Frauenfußball als Profifußball auf Dauer stellen könnte.

    Fischer: Medientheoretiker Norbert Bolz war das über die Anziehungskraft der Frauen-Nationalmannschaft. Die Mädels, wie sie sich selbst nennen, sind heute ins WM-Hotel in Berlin eingezogen.