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"Man wird quasi in diese Familie mit reingezogen"

Der 1954 geborene Fotokünstler Thomas Struth hat Familien in verschiedenen Ländern aufgenommen. Die 28 großformatigen Bilder werden in der Sparkassenstiftung in Köln einzeln präsentiert, wodurch sie eine große Präsenz erreichen. Parallel zeigt die Stiftung eine kleine August-Sander-Ausstellung, die Familien vor fast 100 Jahren zeigt.

Studiogespräch mit Stefan Koldehoff | 09.01.2008
    Michael Köhler: Die Sparkassenstiftung zu Köln zeigt großformatige Familienbilder in Einzel- und Doppelportraits, die der 1954 geborene, bekannte, große Fotokünstler Thomas Struth für sein aktuelles Buch in verschiedenen Ländern aufgenommen hat. Erste Frage an den Kollegen Stefan Koldehoff, der die Ausstellung gesehen hat. Herr Koldehoff, wir meinen ja, Familienportraits so mehr oder weniger zu kennen, als gelungene Aufnahmen von der Kleinfamilie. Wenn es gut geht, ist dann auch schon mal ein bisschen von der Verwandtschaft dabei. Bevor ich frage, was Struth zeigt: Was hat er aufgenommen?

    Stefan Koldehoff: Er hat tatsächlich alle diese Formen von Familie, die Sie vorhin beschrieben haben, aufgenommen. Von der klassischen Patchwork-Familie bis hin zur ganz klassischen Familie, Mama, Papa und einige Kinder. Manchmal auch größere Gruppen, da sind dann Oma und Opa noch dabei oder die Schwiegertöchter und Schwiegersöhne. Das will er aber eigentlich gar nicht so gerne. Er hat in einem Interview zu dieser Ausstellung gesagt: "Eigentlich möchte ich mich für dieses Projekt auf die Kernfamilie konzentrieren."

    Köhler: Man kennt Familien, wo man den Familienvater fragt bei Besuch: "Wie geht es dir denn so?" Und die Mutter antwortet: "Ja, uns geht es gut." Meine Frage: Sind da einzelne Menschen zu sehen oder Familien, von denen man ahnt, die gehören zusammen?

    Koldehoff: Das ist das Spannende an dieser Ausstellung, beides. Und sie ist ganz raffiniert präsentiert. Es handelt sich um 28 großformatige Bilder, zum Teil bis 1,20 Meter mal 1,60 Meter groß, auf einzelnen Wänden gehängt. Das heißt, man kann sich diesen Bildern gar nicht entziehen. Man wird quasi in diese Familie mit reingezogen. Und wenn man vor denen steht, die da fast lebensgroß vor einem abgebildet sind, dann beginnen sofort die Fragen. Natürlich das: Wer ist das eigentlich? Natürlich das: Wo wohnen die? Wie wohnen die? Sind die reich? Sind die arm? Sind die glücklich? Sind die nicht so glücklich? Die Ausstellung selbst verrät es nicht. Es stehen nur kleine Nummern neben den Bildern. Und wenn man will, kann man sich an der Kasse einen Zettel holen. Und dieser Zettel, der verrät aber auch nur, dass es hier sich jetzt um The Terhardt Family aus Düsseldorf handelt. Und das ist ein chromogener Farbabzug, Exemplar eins von zehn ist. Sie erfahren wieder nichts und sind eigentlich diesen Bildern ausgeliefert. Dann stehen Sie vor der Darstellung der Familie Falletti aus Florenz, sehen die Mutter im Türrahmen stehen, selbstbewusst in einem schwarzen Kleid, davor einen Sohn mit kurzen Haaren, offenbar ein Sohn mit Kapuzenpullover, streichelt den Hund. Auf der anderen Seite von einem Kachelofen schmiegt sich ein Paar fast aneinander. Ist es ein Paar? Ist es kein Paar? Sind das alles Geschwister? Wo ist der Vater? Dieser Topos Familienbild, der ja so alt ist wie die Fotografie selbst, der funktioniert nach wie vor.

    Köhler: Nun hat er im Wesentlichen nicht irgendwelche hergelaufenen Familien genommen, sondern Bekannte, Sammlerfamilien, Künstler, Freunde. Es ist in der Wohnung aufgenommen. Es ist intim. Aber es ist jetzt, lassen Sie uns gattungsgeschichtlich mal reden, so ein klassisches, frontales Familienportrait?

    Koldehoff: Das ist es. Und es steht auch in der Ausstellung in einem historischen Kontext. Die SK Stiftung Stiftung Köln ist eine der großen deutschen Fotosammlungen und hat unter anderem das Archiv von August Sander, dem großen Portraitisten der 10er und 20er Jahre. Und zu dieser Thomas-Struth-Ausstellung gibt es eine kleine August-Sander-Ausstellung, die zeigt, wie man vor fast 100 Jahren denn Familienbilder aufgefasst hat. Und man ist völlig verblüfft, wenn man aus der großen, zeitgenössischen Ausstellung nach unten in die kleine, historische kommt, zu sehen, dass sich da so gut wie gar nichts verändert hat, dass nach wie vor das Familienbild die Möglichkeit ist, Hierarchien, Machtgefüge auszudrücken, Selbstdarstellung auszuüben.

    <im_42242>"Thomas Struth - Familienleben" (NUR IM ZUSAMMENHANG MIT DER AUSSTELLUNG BIS 20.4.2008)</im_42242>Das hat Thomas Struth in seinen Bildern, die zwischen 1982 und heute entstanden sind, alles wieder aufgegriffen. Er hat diesen Familien überwiegend freigelassen, wie sie sich denn selbst darstellen möchten. Und dann finden Sie tatsächlich welche, in denen das Posing im Vordergrund steht, ein Ehepaar auf einem Sofa in Paris, er ganz selbstbewusst die Hand lässig über die übereinander geschlagenen Beine gelegt, Cordhose, geblümte Socken, keine Schuhe, sie im extrem kurzen Rock auf einem geblümten Sofa. Da merkt man, da möchte sich jemand selbst darstellen. Und wenn Sie dann nach unten gehen und sehen da den Dorfschullehrer aus dem Westerwald von 1922 ...

    Köhler: Von Sander?

    Koldehoff: Von Sander. Dann versucht der schon, genauso selbstbewusst aus der Wäsche zu schauen.

    Köhler: Bei aller Begeisterung über die Fotokunst des Thomas Struth, der ja zu den sogenannten Struffkys gehört, Thomas Struth, Andreas Gursky, Thomas Ruff, den großen deutschen Fotokünstlern. Ist das nicht ein bisschen ein altes Thema? Ich will auf was hinaus. Ist das ein bisschen ästhetisch und insgesamt ein bisschen konservativ, langweilig? Denn seit der Fotografie, seit Daguerre, seit Anschütz ist das ja eine uralte Geschichte.

    Koldehoff: Vom Thema her gebe ich Ihnen recht, länger schon. Schon als die Malerei sich emanzipierte aus der Themenherrschaft der Kirche, tauchte ja das Familienbild auf. Ja, es ist konservativ. Aber, wie ich vorhin schon sagte, es macht nach wie vor Spaß. Es funktioniert nach wie vor. Und dann, finde ich, hat es auch heute seine Berechtigung.

    Köhler: Stefan Koldehoff sah neue Bilder aus zwei Jahrzehnten des deutschen Fotokünstlers Thomas Struth in der Sparkassen-Stiftung zu Köln. "Familienportraits" heißen sie.