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Manager der Bühne des Lebens

William Makepeace Thackeray wird in einem Zug genannt mit Charles Dickens - sie sind gleichsam das Doppelgestirn der viktorianischen Literatur. Thackeray gelangte aus finanzieller Not über den Journalismus zum Roman - und schrieb das echte Leben nieder wie kaum ein anderer - außer Dickens.

Von Florian Ehrich | 18.07.2011
    "Dickens und Thackeray sind unübertroffen in daguerrotypisch-treuer Abschilderung des Lebens und seiner mannigfachsten Erscheinungen. Der letzte Knopf am Rock und die verborgenste Empfindung des Herzens werden mit gleicher Treue wiedergegeben. Sie sind vollendete Charakterdarsteller."

    So urteilte Theodor Fontane über das Doppelgestirn der viktorianischen Literatur. William Makepeace Thackeray wurde am 18. Juli 1811 in Kalkutta als Sohn eines wohlhabenden Kolonialbeamten geboren. Mit fünf Jahren wurde er nach England geschickt, um eine standesgemäße Erziehung zu erhalten. Als junger Mann brach er jedoch sein Studium ab und ging nach Paris, um Maler zu werden. Obwohl ein talentierter Zeichner – er sollte später seine Romane selbst illustrieren – scheiterten seine Künstlerträume vorerst. Nach dem Verlust seines Vermögens musste der auf großem Fuß lebende Bohemien schreiben, um zu überleben, wie der Anglizist Norbert Kohl schildert:

    "Thackeray hatte sehr viel Geld geerbt, ein großes Vermögen, allerdings, wahrscheinlich durch das Missmanagement einer indischen Bank, ist ein großer Teil des Vermögens verloren gegangen, überdies hat er gespielt. Das war ein leidenschaftlicher Spieler, hat einen großen Teil des Geldes damit durchgebracht, also musste er sich dann, 'writing for life' hat einmal ein Kritiker gesagt, er musste gleichsam um sein Leben schreiben."

    Thackeray wurde über den Umweg des Journalismus zum Romancier. Ein erster Erfolg gelang ihm mit seiner wöchentlichen, im Satiremagazin "Punch" erscheinenden Reihe "Die Snobs von England", mit denen er eine in der englischen Gesellschaft verbreitete Geisteshaltung angriff:

    "Es gibt nur wenige nüchterne und vorurteilsfreie Philosophen, die das Wesen der Gesellschaft, nämlich die ausgemachte Speichelleckerei, die gemeine und dabei vom Gesetz begünstigte Verherrlichung der Höherstehenden und des Mammons, mit einem Wort, das verewigte Snobtum, erfasst haben und dieses Faktum nun kühl registrieren. Und doch, gibt es selbst unter diesen Moralisten wohl auch nur einen, dessen Herz nicht vor Freude höher schlüge, wenn man ihn Arm in Arm mit Herzögen die Pall Mall auf und ab promenieren sehen könnte? Nein, unter den bei uns nun einmal herrschenden Gesellschaftsverhältnissen ist es nun einmal unmöglich, bisweilen nicht selbst ein Snob zu sein."

    Ein kritisches Sittenbild ist auch Thackerays 1848 erschienenes Meisterwerk "Jahrmarkt der Eitelkeit":

    "Bei Thackeray ist es eindeutig, dass er den Menschen anschaut aus der Perspektive des Satirikers. Wobei es sehr typisch ist, dass er, gerade in 'Jahrmarkt der Eitelkeit' die Position eines Puppenspielers einnimmt. Er bezeichnet sich ja als 'manager of the performance', also einer der so die Figuren beobachtet auf der Bühne des Lebens mit ihren großen und kleinen Schwächen und Lastern. Was hat er da gegeißelt? Natürlich den Materialismus der Zeitgenossen, den Standesdünkel, den Kastengeist das Schmarotzertum."

    Mit der Figur der Becky Sharp, die als arme Waise mit Berechnung und Einfühlung um einen Platz in der sogenannten guten Gesellschaft kämpft, gelang Thackeray eine der faszinierendsten Frauengestalten in der Literatur des 19. Jahrhunderts:

    "Ich werde nie etwas anderes besitzen, als ich durch meiner Hände Arbeit besitze. Während das junge Ding mit den roten Wangen, diese Amelia, nur die Hälfte von meinem Verstand hat und ihr trotzdem zehntausend Pfund und glänzende Aussichten sicher sind, muss sich die arme Rebecca (und meine Figur ist viel besser als ihre) auf sich selbst und ihren Verstand verlassen. Nun, wir wollen abwarten, ob mein Verstand mir nicht einen anständigen Unterhalt verschaffen kann und ob ich nicht eines Tages Miss Amelia meine wahre Überlegenheit zeigen kann."

    Nach dem Erfolg weiterer Romane wie den "Newcomes" oder "Henry Esmond" kandidierte der liberale Autor für einen Sitz im Parlament, den er jedoch nicht gewann. Thackeray unternahm ausgedehnte Vortragsreisen nach Amerika und besuchte wiederholt Deutschland. Über dessen Kleinstaaterei machte er sich zwar lustig, er liebte jedoch die deutschen Landschaften.

    "Oh, die herrlichen Rheingärten! Liebliche Bilder des Friedens und Sonnenscheins! Ihr majestätischen rotglühenden Berge, deren Gipfel sich in dem prächtigen Strom spiegeln ...
    Die Feder niederzulegen und nur an das schöne Rheinland zu denken, macht schon glücklich."


    William Makepeace Thackeray starb am Heiligabend des Jahres 1863 in London.