Lange Zeit dominierte das Bild vom Unternehmer als einem Patriarchen, der seinen Familienbetrieb persönlich lenkt. Der seine Mitarbeiter genauso kennt wie den Markt auf dem er sich bewegt. Sein Gewinnstreben verbindet sich mit Vernunft und Weitsicht, so dass er das Schiff sicher durch kritische Zeiten steuert, auch zum Wohl seiner Angestellten. Selbst Großunternehmen pflegten dieses Image eines patriarchalischen Konzerns, obwohl sie doch meist keinen persönlichen Eigentümer mehr kennen. Es sind Aktiengesellschaften, die von Vorständen gemanagt, von Aufsichträten kontrolliert werden. Doch in den letzten Jahren ist dieses Bild patriarchalischer Obhut zerstört worden. Nicht nur durch das raue Klima des Neoliberalismus, sondern auch durch das Fehlverhalten vieler Manager.
Jüngst erklärte Bundespräsident Köhler, die wachsenden Zweifel vieler Bürger an der sozialen Marktwirtschaft hingen mit dem Vertrauenslust der führenden Akteure zusammen. Nach einer Umfrage, so der Bundespräsident, glaubten 42 Prozent der Bundesbürger die meisten Wirtschaftsführer seien korrupt. Auch wenn das ein Vorurteil darstellt, so gilt doch: Unternehmensführung - englisch corporate governance - ist ökonomisch, politisch und auch moralisch zu einem Problem geworden, das international diskutiert wird. In Deutschland ist jetzt an der privaten Universität Witten Herdecke ein eigenes Institut für Corporate Governance gegründet worden, das - so sein Direktor Maxim Nohroudi - die Sache in einem umfassenden Sinn erforschen will.
"Die ganzen Fragen der Führung, der Aufsicht, der Ethik, der Organisationskultur, der Organisationspsychologie, Themen wie Gruppendynamik in Vorständen und Aufsichtsräten, das sind alles Aspekte, die doch weitestgehend unerforscht sind, und wenn wir Forschung haben, haben wir eher Partikularforschung. Unser Ansatz ist es, all diese Bereiche zusammenzudenken, also die Führung und Aufsicht von Unternehmen juristisch zu betrachten, ökonomisch, psychologisch, soziologisch zu betrachten. Ich denke, das wäre ein Gewinn für die ganze Debatte, aber es ist auch ein Ausdruck dessen, was wir heute erleben, denn all die Skandale bei der Telekom, bei Siemens, bei der IKB sind natürlich darauf zurückzuführen, dass wahrscheinlich auch in den entsprechenden Gremien nicht richtig gearbeitet wurde."
Maxim Nohroudi sieht außer der Forschung noch eine zweite Aufgabe für das neue Institut. Die Studenten, aber auch Nachwuchskräfte der Unternehmen, die zur Weiterbildung ins Haus kommen, sollten sich hier in Menschenführung üben.
"In Deutschland tun wir immer so, als ob das angeboren ist, man muss das können, wir gehen an Universitäten das Thema kognitiv an, also gucken uns Theorien an und beschäftigen uns mit solchen Ansätzen - das ist auch eine Aufgabe des Instituts: die Führungskunst, die übrigens andere Bereiche unserer Gesellschaft schon immer als Führungskunst betrachtet haben, nämlich das Militär und die Kirche, denen ist klar, dass man das nicht einfach können kann, sondern dass das erlernt werden muss. Mit diesem Thema der Führungskunst müssen wir uns am Institut auch auseinandersetzen, damit die Persönlichkeiten, die in den Gremien, Vorständen, Aufsichtsräten oder wo immer sein mögen, drauf vorbereitet sind, entsprechend zu handeln."
Auch die Politik versucht seit 2001 das Problem schlechter Unternehmensführung - mangelnde Transparenz, Machtmissbrauch der Manager, fehlende Unabhängigkeit der Aufsichtsräte - zu lösen, aber nicht auf gesetzlichem Weg, sondern über eine freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft. Eine Regierungskommission unter Leitung des neuen Siemens-Aufsichtsratsvorsitzen Gerhard Cromme hat dafür einen so genannten Deutsche Corporate Governance Kodex erarbeitet. Jährlich müssen die börsennotierten Unternehmen eine Erklärung abgeben, welchen Regeln sie entsprochen haben und eigens begründen, welchen nicht. Die DAX unternehmen erfüllen die Empfehlungen zu 95 Prozent. Trotzdem bemängeln viele Kritiker, dass diese Regeln nicht ausreichten, insbesondere weil die neuralgischen Punkte Managerhaftung und Höhe von Abfindungen nicht geklärt seien. Thomas Middelhoff, Vorstandsvorsitzender der Arcandor AG und Mitglied in verschiedenen Aufsichtsräten, zieht jedoch eine positive Zwischenbilanz.
"Wir haben sehr sinnvolle Entwicklungen in der Hinsicht gehabt, dass wir gesagt haben, wir wollen es erstmal mit Selbstheilungskräften versuchen und nicht überregulieren, die Cromme-Kommission hat ohne Zweifel sehr gute Arbeit geleistet. Ich denke, es kommt jetzt darauf an, dass wir auch wissenschaftlich und aus der Lehre heraus das Thema Corporate Goverance gezielt aufarbeiten, und dabei auch abstellen beispielsweise auf Entscheidungsprozesse innerhalb von Gremien, auf die Qualität der Gremien, wie sie besetzt sind, auf die Frage, nach welchen Kriterien können wir denn die Qualität eines Aufsichtsratsgremiums messen, beispielsweise Rating-Agenturen gehen ja in Amerika schon in diese Richtung, und da ist in Summe noch sehr viel Nachholbedarf in Deutschland."
Die zum Teil katastrophalen Versäumnisse der Aufsichtsräte sind ein Kapitel der Malaise, das zeigte vor allem die Bankenkrise. Es fehlt ihnen an Unabhängigkeit bei der Kontrolle. Maxim Nohroudi plädiert deshalb für eine Professionalisierung der Aufsichtsräte. Der Wirtschaftssoziologe Dirk Baecker meint, sie seien strukturell fehlbesetzt.
"Da läuft in der Tat etwas schief. Bisher saßen die Banken in den Aufsichtsräten, und das war auch sinnvoll so, weil die Banken im Wesentlichen die Fremdkapitalgeber waren. Als die Banken ihre Kreditgeberrolle verloren haben an die Kapitalmärkte, sind interessanterweise nicht die Investoren nachgerückt, sondern es sind in der Tat die Exvorstände nachgerückt, so dass die ehemals Kontrollierten so tun müssten, als könnten sie selbst kontrollieren - dass da Interessenkonflikte auf der Hand liegen, ist ganz klar."
So zuletzt in der Korruptionsaffäre bei Siemens. Der zurückgetretene Aufsichtratschef Heinrich von Pierer sollte Vorgänge und Entscheidungen einer Zeit aufarbeiten und bewerten, für die er als ehemaliger Vorstandschef selbst verantwortlich war. Die Konstellation ist typisch und beweist, dass die Montesquieusche Gewaltenteilung in der Wirtschaft nicht funktioniert. Noch schwerer wiegt heute freilich ein anderer Umstand: Die Aufsichtsräte sind mit ihrem schmalen Zeitbudget, der Komplexität der Vorgänge in einem Unternehmen nicht mehr gewachsen verglichen mit früher.
"Man kannte sich persönlich, man traf sich auch außerhalb der Aufsichtsratssitzungen, man wusste aus Branchenkenntnis heraus, was in den jeweiligen Unternehmen los war, so dass gleichsam diese punktuelle wechselseitige Information völlig ausreichte. Das ist aber heute nicht mehr der Fall. Heute hat man es mit einer Vielzahl von Märkten auch bei kleinsten Unternehmen zu tun, mit einer Vielzahl von Fragen der Personalentwicklung, der Sortierung der unterschiedlichen Kapitalien, die ein Unternehmen braucht, so dass der Sachverhalt so komplex wird, dass er mit punktuellen Zweistundensitzungen nicht mehr bearbeitet werden kann."
Bei der ganzen Corporate Governance Debatte stellt sich aber auch ein grundsätzliches moralisches Problem. Wenn Corporate Governance als verantwortungsbewusste Unternehmensführung definiert wird, so ist zu fragen, worauf diese Verantwortung zielt. Von dem Ökonom Milton Friedman gibt es den berühmten Satz: "Die einzige Verantwortung, die Untennehmen haben, ist, ihren Profit zu steigern." Das wäre die neoliberale Position: Doch selbst Friedman schränkt dieses einzige Prinzip der Gewinnmaximierung ein, wenn er an anderer Stelle schreibt, "innerhalb der ethischen Normen und Standards". Dann aber wäre ein Corporate Governance nicht ausschließlich auf die Prosperität des Unternehmens ausgerichtet, sondern auch zur moralischen Rücksicht auf die Allgemeinheit verpflichtet. Wem also sind Manager verantwortlich?
"Ich glaube, dass die theoretische Frage aus Sicht der Ökonomie sehr klar zu beantworten ist, dass wir sozusagen eine Prinzipal-Agent-Struktur haben, in der Sie einen Auftraggeber haben, der jemanden anderen beauftragt, in seinem Interesse zu handeln. Und das ist auf die Ökonomie übertragen, das klassische Problem, das sie mit Aktionären und Managern rekonstruieren können. Aus philosophischer und normativer Perspektive, auch aus soziologischer und politischer Perspektive sieht das anders aus: Da ist die Organisation immer in gesellschaftliche Zusammenhänge eingebunden, und bekommt ihre grundsätzliche Legitimität auch nur durch die Erfüllung der Interessen der Anspruchsgruppen, und damit haben Sie immer andere Stakeholder mit im Boot."
Professor Alexander Brink, der an der Universität Witten Herdecke Wirtschaftsethik lehrt, fasst mit Stakeholder all jene zusammen, die als Mitarbeiter, Zulieferer, Kunden, Gläubiger, oder auch Steuereinnehmer wie der Staat direkt und indirekt mit dem Unternehmen und dessen Schicksal verbunden sind. Es gibt also eine enge betriebswirtschaftliche Sicht der Corporate Governance, die nur die Aktionäre, die Eigentümer als Instanz anerkennt und ausschließlich deren Interessen dient, und eine ganzheitliche Betrachtung, wonach ein Unternehmen mit viel mehr Anspruchsgruppen verflochten bleibt und als Teil einer Zivilgesellschaft auch das Gemeinwohl mit bedenken sollte - so wie es im Grundgesetz heißt: Eigentum verpflichtet.
Unter den Konkurrenzbedingungen des Marktes stehen ökonomisches Profitinteresse und humane Orientierung, zum Beispiel der Erhalt von Arbeitsplätzen, meist in einem Spannungsverhältnis. In einer anonymen Umfrage meinte fast die Hälfte der Manager, dass sich Moral und Geschäft überhaupt nicht in Einklang bringen ließen. Dirk Baecker behauptet, dass wir hier in eine selbst gestellte Falle tappen, denn die Entgegensetzung von Profitstreben und Moral sei ein Scheinproblem.
"Adam Smith sagt: Der Egoismus der einzelnen Kaufmanns, viel Geld zu verdienen mit den Produkten, die er verkaufen möchte, ist gekoppelt an den Zwang genau die Produkte zu verkaufen, die von Kunden gekauft werden wollen. Wenn ihm seine Produkte nicht abgekauft würden, würde er auch keine Gewinne machen. So dass der Egoismus der Kaufmanns gebunden ist an den Zwang zu einer altruistischen Orientierung an den Bedürfnissen der jeweiligen Kunden. Wenn man die grundsätzliche Problematik des Geschäftemachens von dieser Smithschen Ecke aus aufzieht, dann gibt es diese große Kluft zwischen Moral einerseits und Geld andrerseits gar nicht."
Gegen Dirk Baecker ließe sich allerdings - wie schon gegen Adam Smith - folgendes einwenden: Die Gleichung, wonach das Gewinnstreben des einzelnen Kaufmanns, der seine Produkte maßgeschneidert anbietet, zur Befriedigung und zum Wohlstand aller führt, setzt einen unbedingten Glauben an den Markt voraus, wo diese wunderbare Verwandlung von Egoismus in Gemeinwohl stattfindet. Aber so ist es nicht. Schon das Konzept einer sozialen Marktwirtschaft entsprang der Einsicht, dass der Markt allein das Problem einer gesellschaftlichen Balance keineswegs löst, sondern im Gegenteil noch verschärft. Gegenwärtig gibt es auch international in der Corporate Governance Debatte verschiedene Auffassungen und Tendenzen. Manche Unternehmen reklamieren für sich das Konzept einer corporate social governance, betonen also eine soziale Verantwortung, andere erklären sich der Idee eines nachhaltigen Wirtschaftens verpflichtet. Meist geht die Initiative zu solchen Ausrichtungen, die natürlich auch der Imagepflege dienen, aber nicht von den Unternehmen selbst aus, sie erfolgt vielmehr wie zum Beispiel bei Nestlé auf Druck der Öffentlichkeit.
"Was wir im Moment feststellen können, ist eine Art strategische Desorientierung, das heißt, die Firmen wissen zurzeit nicht recht, welche Konzepte sich durchsetzen. Wir haben auf der einen Seite das Problem, dass wir lokale Normen haben, die bestimmte Gültigkeiten beanspruchen. Das gilt insbesondere für bestimmte Länder, aber auch für Kulturkreise, wir haben darüber hinaus internationale Standards, auf die wir uns verständigen müssen. Solche Standards sind zum Beispiel die ILU-Standards, Menschenrechte, Verhinderung von Kinderarbeit, Vermeidung von Korruption - das sind globale Normen, auf die wir uns verständigen, - das Problem bei Corporate Governance ist zur Zeit, dass wir sehr viele Kodifizierungen feststellen können, die sozusagen national funktionieren und die Idee ist jetzt zu versuchen, globale Standards der guten Corporate Governance zu finden, auf die multinationale Unternehmen sich weltweit einigen können."
In der Corporate Governance Debatte ist viel die Rede von Regeln, die eingehalten werden sollen, von Prozeduren der Kontrolle, die durchzuführen sind. Das alles wird in den Kodices festgehalten, die eine Art moralisches Geländer darstellen. Aber Moral lässt sich nicht verordnen. Wertorientierungen bedürfen einer inneren Haltung, unterstützt durch ein positives Umfeld, ein gutes Klima. Damit die Manager das verlorene Vertrauen zurückgewinnen, braucht es ein solches Klima vor allem in den Unternehmen selbst, mit einem Wort: eine Unternehmenskultur, in der Vertrauen, Loyalität, aber auch Zivilcourage und Mut zur Kritik gedeihen können.
"Sie können eine perfekte Corporate Governance Systematik entwickeln, und die sieht auf dem Papier glänzend aus, nur: wenn sie in der betrieblichen Praxis von der Unternehmensführung ad absurdum geführt wird, also genau das Gegenteil dessen, was festgelegt ist, getan wird, dann hat man ein offensichtliches Problem, dem man aber gar nicht mehr mit den Regelungsmechanismen einer gut funktionierenden Corporate Governance auf den Leib rücken kann. Also Corporate Governance muss Hand in Hand gehen mit Aspekten gezielter Führungskräfte- und Personalentwicklung, mit einer gelebten Unternehmenskultur, die offen, ehrlich und transparent ist. Und das Ganze muss unterlegt sein, dass man also ein Rückmeldesystem hat, das offen ist, das auch frei ist von irgendwelchen Repressalien, in dem betroffene Mitarbeiter eines Unternehmens auch unmittelbar Hinweise geben können, wenn es zu Fehlentwicklungen gekommen ist."
Jüngst erklärte Bundespräsident Köhler, die wachsenden Zweifel vieler Bürger an der sozialen Marktwirtschaft hingen mit dem Vertrauenslust der führenden Akteure zusammen. Nach einer Umfrage, so der Bundespräsident, glaubten 42 Prozent der Bundesbürger die meisten Wirtschaftsführer seien korrupt. Auch wenn das ein Vorurteil darstellt, so gilt doch: Unternehmensführung - englisch corporate governance - ist ökonomisch, politisch und auch moralisch zu einem Problem geworden, das international diskutiert wird. In Deutschland ist jetzt an der privaten Universität Witten Herdecke ein eigenes Institut für Corporate Governance gegründet worden, das - so sein Direktor Maxim Nohroudi - die Sache in einem umfassenden Sinn erforschen will.
"Die ganzen Fragen der Führung, der Aufsicht, der Ethik, der Organisationskultur, der Organisationspsychologie, Themen wie Gruppendynamik in Vorständen und Aufsichtsräten, das sind alles Aspekte, die doch weitestgehend unerforscht sind, und wenn wir Forschung haben, haben wir eher Partikularforschung. Unser Ansatz ist es, all diese Bereiche zusammenzudenken, also die Führung und Aufsicht von Unternehmen juristisch zu betrachten, ökonomisch, psychologisch, soziologisch zu betrachten. Ich denke, das wäre ein Gewinn für die ganze Debatte, aber es ist auch ein Ausdruck dessen, was wir heute erleben, denn all die Skandale bei der Telekom, bei Siemens, bei der IKB sind natürlich darauf zurückzuführen, dass wahrscheinlich auch in den entsprechenden Gremien nicht richtig gearbeitet wurde."
Maxim Nohroudi sieht außer der Forschung noch eine zweite Aufgabe für das neue Institut. Die Studenten, aber auch Nachwuchskräfte der Unternehmen, die zur Weiterbildung ins Haus kommen, sollten sich hier in Menschenführung üben.
"In Deutschland tun wir immer so, als ob das angeboren ist, man muss das können, wir gehen an Universitäten das Thema kognitiv an, also gucken uns Theorien an und beschäftigen uns mit solchen Ansätzen - das ist auch eine Aufgabe des Instituts: die Führungskunst, die übrigens andere Bereiche unserer Gesellschaft schon immer als Führungskunst betrachtet haben, nämlich das Militär und die Kirche, denen ist klar, dass man das nicht einfach können kann, sondern dass das erlernt werden muss. Mit diesem Thema der Führungskunst müssen wir uns am Institut auch auseinandersetzen, damit die Persönlichkeiten, die in den Gremien, Vorständen, Aufsichtsräten oder wo immer sein mögen, drauf vorbereitet sind, entsprechend zu handeln."
Auch die Politik versucht seit 2001 das Problem schlechter Unternehmensführung - mangelnde Transparenz, Machtmissbrauch der Manager, fehlende Unabhängigkeit der Aufsichtsräte - zu lösen, aber nicht auf gesetzlichem Weg, sondern über eine freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft. Eine Regierungskommission unter Leitung des neuen Siemens-Aufsichtsratsvorsitzen Gerhard Cromme hat dafür einen so genannten Deutsche Corporate Governance Kodex erarbeitet. Jährlich müssen die börsennotierten Unternehmen eine Erklärung abgeben, welchen Regeln sie entsprochen haben und eigens begründen, welchen nicht. Die DAX unternehmen erfüllen die Empfehlungen zu 95 Prozent. Trotzdem bemängeln viele Kritiker, dass diese Regeln nicht ausreichten, insbesondere weil die neuralgischen Punkte Managerhaftung und Höhe von Abfindungen nicht geklärt seien. Thomas Middelhoff, Vorstandsvorsitzender der Arcandor AG und Mitglied in verschiedenen Aufsichtsräten, zieht jedoch eine positive Zwischenbilanz.
"Wir haben sehr sinnvolle Entwicklungen in der Hinsicht gehabt, dass wir gesagt haben, wir wollen es erstmal mit Selbstheilungskräften versuchen und nicht überregulieren, die Cromme-Kommission hat ohne Zweifel sehr gute Arbeit geleistet. Ich denke, es kommt jetzt darauf an, dass wir auch wissenschaftlich und aus der Lehre heraus das Thema Corporate Goverance gezielt aufarbeiten, und dabei auch abstellen beispielsweise auf Entscheidungsprozesse innerhalb von Gremien, auf die Qualität der Gremien, wie sie besetzt sind, auf die Frage, nach welchen Kriterien können wir denn die Qualität eines Aufsichtsratsgremiums messen, beispielsweise Rating-Agenturen gehen ja in Amerika schon in diese Richtung, und da ist in Summe noch sehr viel Nachholbedarf in Deutschland."
Die zum Teil katastrophalen Versäumnisse der Aufsichtsräte sind ein Kapitel der Malaise, das zeigte vor allem die Bankenkrise. Es fehlt ihnen an Unabhängigkeit bei der Kontrolle. Maxim Nohroudi plädiert deshalb für eine Professionalisierung der Aufsichtsräte. Der Wirtschaftssoziologe Dirk Baecker meint, sie seien strukturell fehlbesetzt.
"Da läuft in der Tat etwas schief. Bisher saßen die Banken in den Aufsichtsräten, und das war auch sinnvoll so, weil die Banken im Wesentlichen die Fremdkapitalgeber waren. Als die Banken ihre Kreditgeberrolle verloren haben an die Kapitalmärkte, sind interessanterweise nicht die Investoren nachgerückt, sondern es sind in der Tat die Exvorstände nachgerückt, so dass die ehemals Kontrollierten so tun müssten, als könnten sie selbst kontrollieren - dass da Interessenkonflikte auf der Hand liegen, ist ganz klar."
So zuletzt in der Korruptionsaffäre bei Siemens. Der zurückgetretene Aufsichtratschef Heinrich von Pierer sollte Vorgänge und Entscheidungen einer Zeit aufarbeiten und bewerten, für die er als ehemaliger Vorstandschef selbst verantwortlich war. Die Konstellation ist typisch und beweist, dass die Montesquieusche Gewaltenteilung in der Wirtschaft nicht funktioniert. Noch schwerer wiegt heute freilich ein anderer Umstand: Die Aufsichtsräte sind mit ihrem schmalen Zeitbudget, der Komplexität der Vorgänge in einem Unternehmen nicht mehr gewachsen verglichen mit früher.
"Man kannte sich persönlich, man traf sich auch außerhalb der Aufsichtsratssitzungen, man wusste aus Branchenkenntnis heraus, was in den jeweiligen Unternehmen los war, so dass gleichsam diese punktuelle wechselseitige Information völlig ausreichte. Das ist aber heute nicht mehr der Fall. Heute hat man es mit einer Vielzahl von Märkten auch bei kleinsten Unternehmen zu tun, mit einer Vielzahl von Fragen der Personalentwicklung, der Sortierung der unterschiedlichen Kapitalien, die ein Unternehmen braucht, so dass der Sachverhalt so komplex wird, dass er mit punktuellen Zweistundensitzungen nicht mehr bearbeitet werden kann."
Bei der ganzen Corporate Governance Debatte stellt sich aber auch ein grundsätzliches moralisches Problem. Wenn Corporate Governance als verantwortungsbewusste Unternehmensführung definiert wird, so ist zu fragen, worauf diese Verantwortung zielt. Von dem Ökonom Milton Friedman gibt es den berühmten Satz: "Die einzige Verantwortung, die Untennehmen haben, ist, ihren Profit zu steigern." Das wäre die neoliberale Position: Doch selbst Friedman schränkt dieses einzige Prinzip der Gewinnmaximierung ein, wenn er an anderer Stelle schreibt, "innerhalb der ethischen Normen und Standards". Dann aber wäre ein Corporate Governance nicht ausschließlich auf die Prosperität des Unternehmens ausgerichtet, sondern auch zur moralischen Rücksicht auf die Allgemeinheit verpflichtet. Wem also sind Manager verantwortlich?
"Ich glaube, dass die theoretische Frage aus Sicht der Ökonomie sehr klar zu beantworten ist, dass wir sozusagen eine Prinzipal-Agent-Struktur haben, in der Sie einen Auftraggeber haben, der jemanden anderen beauftragt, in seinem Interesse zu handeln. Und das ist auf die Ökonomie übertragen, das klassische Problem, das sie mit Aktionären und Managern rekonstruieren können. Aus philosophischer und normativer Perspektive, auch aus soziologischer und politischer Perspektive sieht das anders aus: Da ist die Organisation immer in gesellschaftliche Zusammenhänge eingebunden, und bekommt ihre grundsätzliche Legitimität auch nur durch die Erfüllung der Interessen der Anspruchsgruppen, und damit haben Sie immer andere Stakeholder mit im Boot."
Professor Alexander Brink, der an der Universität Witten Herdecke Wirtschaftsethik lehrt, fasst mit Stakeholder all jene zusammen, die als Mitarbeiter, Zulieferer, Kunden, Gläubiger, oder auch Steuereinnehmer wie der Staat direkt und indirekt mit dem Unternehmen und dessen Schicksal verbunden sind. Es gibt also eine enge betriebswirtschaftliche Sicht der Corporate Governance, die nur die Aktionäre, die Eigentümer als Instanz anerkennt und ausschließlich deren Interessen dient, und eine ganzheitliche Betrachtung, wonach ein Unternehmen mit viel mehr Anspruchsgruppen verflochten bleibt und als Teil einer Zivilgesellschaft auch das Gemeinwohl mit bedenken sollte - so wie es im Grundgesetz heißt: Eigentum verpflichtet.
Unter den Konkurrenzbedingungen des Marktes stehen ökonomisches Profitinteresse und humane Orientierung, zum Beispiel der Erhalt von Arbeitsplätzen, meist in einem Spannungsverhältnis. In einer anonymen Umfrage meinte fast die Hälfte der Manager, dass sich Moral und Geschäft überhaupt nicht in Einklang bringen ließen. Dirk Baecker behauptet, dass wir hier in eine selbst gestellte Falle tappen, denn die Entgegensetzung von Profitstreben und Moral sei ein Scheinproblem.
"Adam Smith sagt: Der Egoismus der einzelnen Kaufmanns, viel Geld zu verdienen mit den Produkten, die er verkaufen möchte, ist gekoppelt an den Zwang genau die Produkte zu verkaufen, die von Kunden gekauft werden wollen. Wenn ihm seine Produkte nicht abgekauft würden, würde er auch keine Gewinne machen. So dass der Egoismus der Kaufmanns gebunden ist an den Zwang zu einer altruistischen Orientierung an den Bedürfnissen der jeweiligen Kunden. Wenn man die grundsätzliche Problematik des Geschäftemachens von dieser Smithschen Ecke aus aufzieht, dann gibt es diese große Kluft zwischen Moral einerseits und Geld andrerseits gar nicht."
Gegen Dirk Baecker ließe sich allerdings - wie schon gegen Adam Smith - folgendes einwenden: Die Gleichung, wonach das Gewinnstreben des einzelnen Kaufmanns, der seine Produkte maßgeschneidert anbietet, zur Befriedigung und zum Wohlstand aller führt, setzt einen unbedingten Glauben an den Markt voraus, wo diese wunderbare Verwandlung von Egoismus in Gemeinwohl stattfindet. Aber so ist es nicht. Schon das Konzept einer sozialen Marktwirtschaft entsprang der Einsicht, dass der Markt allein das Problem einer gesellschaftlichen Balance keineswegs löst, sondern im Gegenteil noch verschärft. Gegenwärtig gibt es auch international in der Corporate Governance Debatte verschiedene Auffassungen und Tendenzen. Manche Unternehmen reklamieren für sich das Konzept einer corporate social governance, betonen also eine soziale Verantwortung, andere erklären sich der Idee eines nachhaltigen Wirtschaftens verpflichtet. Meist geht die Initiative zu solchen Ausrichtungen, die natürlich auch der Imagepflege dienen, aber nicht von den Unternehmen selbst aus, sie erfolgt vielmehr wie zum Beispiel bei Nestlé auf Druck der Öffentlichkeit.
"Was wir im Moment feststellen können, ist eine Art strategische Desorientierung, das heißt, die Firmen wissen zurzeit nicht recht, welche Konzepte sich durchsetzen. Wir haben auf der einen Seite das Problem, dass wir lokale Normen haben, die bestimmte Gültigkeiten beanspruchen. Das gilt insbesondere für bestimmte Länder, aber auch für Kulturkreise, wir haben darüber hinaus internationale Standards, auf die wir uns verständigen müssen. Solche Standards sind zum Beispiel die ILU-Standards, Menschenrechte, Verhinderung von Kinderarbeit, Vermeidung von Korruption - das sind globale Normen, auf die wir uns verständigen, - das Problem bei Corporate Governance ist zur Zeit, dass wir sehr viele Kodifizierungen feststellen können, die sozusagen national funktionieren und die Idee ist jetzt zu versuchen, globale Standards der guten Corporate Governance zu finden, auf die multinationale Unternehmen sich weltweit einigen können."
In der Corporate Governance Debatte ist viel die Rede von Regeln, die eingehalten werden sollen, von Prozeduren der Kontrolle, die durchzuführen sind. Das alles wird in den Kodices festgehalten, die eine Art moralisches Geländer darstellen. Aber Moral lässt sich nicht verordnen. Wertorientierungen bedürfen einer inneren Haltung, unterstützt durch ein positives Umfeld, ein gutes Klima. Damit die Manager das verlorene Vertrauen zurückgewinnen, braucht es ein solches Klima vor allem in den Unternehmen selbst, mit einem Wort: eine Unternehmenskultur, in der Vertrauen, Loyalität, aber auch Zivilcourage und Mut zur Kritik gedeihen können.
"Sie können eine perfekte Corporate Governance Systematik entwickeln, und die sieht auf dem Papier glänzend aus, nur: wenn sie in der betrieblichen Praxis von der Unternehmensführung ad absurdum geführt wird, also genau das Gegenteil dessen, was festgelegt ist, getan wird, dann hat man ein offensichtliches Problem, dem man aber gar nicht mehr mit den Regelungsmechanismen einer gut funktionierenden Corporate Governance auf den Leib rücken kann. Also Corporate Governance muss Hand in Hand gehen mit Aspekten gezielter Führungskräfte- und Personalentwicklung, mit einer gelebten Unternehmenskultur, die offen, ehrlich und transparent ist. Und das Ganze muss unterlegt sein, dass man also ein Rückmeldesystem hat, das offen ist, das auch frei ist von irgendwelchen Repressalien, in dem betroffene Mitarbeiter eines Unternehmens auch unmittelbar Hinweise geben können, wenn es zu Fehlentwicklungen gekommen ist."