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Manager in Geiselhaft

Die Folgen der Wirtschaftskrise sind spürbar und sie führen zu immer radikaleren Reaktionen. Und das besonders in Frankreich: So schalten Beschäftigte der Gas- und Stromversorger für mehrere Stunden die Energiezufuhr ab und immer wieder werden Chefs als Geiseln genommen, wie gestern zwei Führungskräfte des Autozulieferers Molex in der Nähe von Toulouse. Am Abend wurden kamen sie wieder frei.

Von Burkhard Birke |
    Die Verzweifelung wächst, die Gangart wird härter. Der vorerst letzte Streich: Der stellvertretende Geschäftsführer und die Personalchefin des Autozulieferers Molex im südfranzösischen Villemur-sur-Tarn wurden festgehalten. 283 Arbeitnehmer sollen ihren Job verlieren. Das ist seit einem halben Jahr bekannt. Neu ist der Vorwurf, die amerikanische Firma habe das Knowhow der Franzosen entführt. Um 100 Millionen Euro Schadenersatz wollten die Betriebsräte verhandeln, und haben dazu kurzerhand das Management entführt, genauer gesagt gekidnappt. Kidnapping der Bosse, oder Bossnapping droht zum neuen Volksport von Frankreichs Arbeitnehmern zu werden.

    Zuvor waren schon Geschäftsführer von Caterpillar, Scapa, eines Pharmaunternehmens und von Sony der Freiheit beraubt worden. Jetzt läutet Unternehmensverbandchefin Laurence Parisot die Alarmglocke:

    "In einem Rechtsstaat darf man nie legitimieren, was illegal ist! Ungerechtigkeit oder Verzweifelung dürfen niemals dazu führen, dass die Grenzen des Gesetzes überschritten werden."

    Bisher haben der Erfolg, Gewerkschaftsbosse und linke Politiker jedoch denen Recht gegeben, die ihre Bosse kurzerhand der Freiheit beraubten.

    Der frühere Sozialistenchef Francois Hollande:

    "Der Streik ist auch eine Form Druck auszuüben, und die Freiheitsberaubung der Bosse die extreme Form, wenn das die einzige Möglichkeit zu verhandeln ist ... "

    Caterpillar verspricht nach vorübergehender Freiheitsberaubung seiner Bosse statt 733 nur 600 Entlassungen- die Beschäftigten rebellieren dennoch weiter, Scapa hat die Abfindungssumme verdoppelt und Sony ihre aufgestockt. Gerettet wurde zwar keines der Werke, Sony etwa lagert seine Produktion in die Slowakei aus, aber der Schmerz konnte abgemildert werden.

    "Unser Ziel als Gewerkschafter ist es, solche Konfrontationen möglichst zu verhindern, aber wir stellen fest, dass in sämtlichen Unternehmen, wo es dazu kam, nicht verhandelt wurde."

    So moderat wie CFDT Chef Francois Chereque denken längst nicht alle Gewerkschafter. Bernard Thibault von der CGT:
    "Ich verstehe diese Aktionen und verteidige sie, so lange die Gesundheit der Betroffenen nicht bedroht wird."

    Auch der Präsident gibt vor, den sozialen Unmut zu verstehen, schimpfte selbst über Managergehälter, ausländische Firmen und Produktionsverlagerungen, bis Nicolas Sarkozy sich genötigt sah klarzustellen.

    "Was sind das für Geschichten der Freiheitsberaubung - wir leben doch in einem Rechtstaat - das Gesetz muss respektiert werden."

    Genau die Hälfte der Bevölkerung teilt diese Auffassung. Erstaunliche 45 Prozent zeigen jedoch laut Umfrage Verständnis für das Bossnapping, verärgert über Aktienboni, Abfindungen und Stellenabbau bei gewinnbringenden Firmen.

    "Es ist traurig, dass die Menschen keine andere Lösung sehen - das bedeutet wir haben ein tiefgreifendes Problem

    Sie haben recht, aber Geiseln nehmen, eines Tages läuft etwas schief ...

    Ich hoffe, dass man nicht demnächst noch in der Schule lernt, wie man seinen Boss kidnappt!"

    Das nicht: Aber Frankreichs Unternehmer können mittlerweile ihre Manager für das Kidnapping ausbilden lassen, bei der Firma Vao Solis Corporate. Vorstand Arnaud Dupui-Casteres:

    "Festgehalten zu werden führt zu einem persönlichen Trauma, das wollen wir verhindern helfen. Man muss erstens absolut ruhig bleiben, zweitens die Dramatik und das Persönliche aus der Situation herausnehmen, und drittens sollte der Festgehaltene nie der Unterhändler sein!"

    So sehr man der Anti-Kidnapping-Firma den Erfolg gönnt, so wäre das Gros der Probleme zweifelsohne durch einen vernünftigen sozialen Dialog zu lösen. Genau der scheint jedoch in Frankreich der wunde Punkt.