Archiv


Manchmal erstaunlich humorvoll

Der 65-jährige Hans Neuenfels, dessen Berliner Idomeneo-Inszenierung gerade erst für kulturpolitische Wallungen gesorgt hat, sieht das Theater in bester Brecht'scher Manier als ein Medium der schonungslosen Gesellschaftskritik. Welchen Autor er aufführt, spielt dabei häufig jedenfalls nicht die wichtigste Rolle. Im Kölner Schauspielhaus hat er jetzt ein Stück des spanischen Dramatikers Federico García Lorca inszeniert.

Von Christiane Enkeler |
    Es ist eine Art "heiliger Erotik", mit der Elisabeth Trissenaar in der Kölner Inszenierung die Figur "Bernarda Alba" zwischen Verzückung und Obszönität spielt: Sie trägt eine halblebensgroße Kruzifix-Figur über die Bühne oder versucht, mit einem Nagel (oder was es ist) in einen abgerissenen Holzarm einzudringen. Sie sitzt dabei an einem Tisch, der wie ein Seziertisch aussieht – später hängen Christus-Arm und -Bein und –Rumpf als "Schmuck" an ihrer Wand. Sie kommt mit einem weißen Schleier wie eine Braut aus der Kirche und ist mit den Gedanken noch sichtlich woanders. Sie setzt sich am Ende die Dornenkrone auf, vor der sie vorher noch zurückgeschreckt ist. Aus dem Off kommt einmal ein bibelartiger Text zur Geschichte des brennenden Dornenbusches, während ein Stacheldraht-Gestrüpp auf der Vorderbühne kühl angeleuchtet wird – die ganze Bühne ist in diesem Moment leer, die Schauspielerinnen spielen den letzten Teil in "Sack-und-Asche"-Kleidern, mit Ledermanschetten an den Handgelenken.

    Vertrackt oder geheimnisvoll ist Hans Neuenfels’ Inszenierung also eher nicht. Dafür an manchen Stellen erstaunlich humorvoll, und das tut dem Stück sehr gut – denn García Lorcas Drama "Bernarda Albas Haus", in dem Bernarda ihre fünf Töchter komplett unter ihre Fuchtel zu bekommen versucht – nur die älteste darf heiraten, die anderen sollen acht Jahre Trauer tragen und hauptsächlich im Haus bleiben, denn Bernardas Mann ist gerade gestorben – Lorcas Stück transportiert viel Hass und schwesterlichen Verrat, wirkliche Nähe gibt es kaum. Also ist es erfrischend, wenn Dagmar Sachse auch in ihrer Figur als Tochter Magdalena einen lustigen, kindlichen Spieltrieb zeigt, manchmal geradezu über die Bühne springt.

    Die anderen versuchen anders auszubrechen, besonders natürlich die jüngste, Adela, die in der Gestalt von Anja Laїs ständig nach dem Mann schmachtet, der für die älteste und reichste Schwester bestimmt ist, und die sich mit großen Gesten und Allmachtsphantasien aus dem Gefängnis herausschreien will: hysterisch, lüstern, verzweifelt, sehnsuchtsvoll.

    Allerdings eher blass: Amelia, deren Ausbruchsversuche sich auf ein ewiges Flügelschlagen mit einer Art Morgenrock beschränken, und die ältere Magd, obwohl sie doch textlich die einzige wirkliche Gegenspielerin Bernardas ist.

    Immer wieder bilden die Schwestern hinter der Mutter eine bedrohliche Front, mal beim Kirchenliedsingen, mal mit Wolfsmasken beim Heulen, was mit den Windgeräuschen eine sehr schöne Szene ist – aber immer wieder löst die Front sich auf.

    In diesem Lorca-Stück treten mythische und volkstümliche Elemente in den Hintergrund – bei Neuenfels wird viel gebetet und mythische Figuren werden von den menschlichen gleich mit übernommen: eine verwirrte Großmutter, die Therese Dürrenberger fast wie einen Waldgeist und doch realistisch verkörpert und es gibt mit Vanessa Stern eine wunderbare junge Magd, die wie ein Kobold über die Bühne huscht und völlig amoralisch einen bösen Spaß am Geschehen zu zeigen vermag.

    Elisabeth Trissenaar führt als Titelfigur den Humor ein, indem sie dem Text die letzten Möglichkeiten dafür entreißt – Doppelmoral der Mutter oder trocken gewordener Humor einer Figur, die nicht will, dass andere aufblühen. Ihr Ton, ihr fast beiläufiger und doch tief verwurzelter Kampf mit sich selbst machen Bernarda oft auch menschlich.

    Christof Hetzer hat ein technologische Assoziationen hervorrufendes Bühnenbild mit vier Räumen wie für eine Drehbühne entworfen, das aber von schwarz gekleideten Helferinnen und von den Darstellerinnen per Hand gedreht wird, was den Eindruck von ewig gleichmäßiger Arbeit hervorruft. Das passt, denn auch die Schwestern sind eingesperrt in ihre mechanische Arbeit, die Aussteuer und die ihrer älteren Schwester zu nähen.

    Das Bühnenbild, die Stellung der Mädchen zu Beginn, aus der sie tanzend erwachen – was nicht schön ist, aber ihre innere Hitze abstrahlt, die repetitive Musik, die wie ein Hippodrom-Pferdchen im Kreis herumtrabende Schwester Martirio, Bernardas Achten auf die korrekte Bethaltung zu Beginn wie zum Ende – vieles erinnert an Uhrwerk oder Spieluhr, und das Bild des glatten Uhrenzahnrads ist passend und – funktioniert.

    [Der Humor bis hin zu Adelas pfropfenartigem Kleid, das bei allem so bauchig mitwippt, funktioniert, und das Spiel der meisten Schauspielerinnen überzeugt, mit Präsenz, Lust oder Mehrdeutigkeit.]

    Das Konzept der die Erotik verdammenden und sie doch mit der Religion verbindenden Bernarda – funktioniert, penetrant.

    Das Uhrwerk dreht sich ohne große Störung – und wahrscheinlich ist es das, was dann letztendlich doch enttäuscht: Dass Theater hier eben nicht der Sand im Getriebe ist, sondern vielmehr wie das Getriebe selbst wirkt.