Am Ende stand das Märtyrertum zweier für die "gerechte" Sache des Sozialismus gefallener Helden, ermordet von Rechtsradikalen in den unruhigen Tagen des Aufstands am 15. Januar 1919 in Berlin. Die Stilisierung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu reinen Opfern und Propheten einer besseren Welt wurzelt hier, wie auch ihre Verehrung als Heldenfiguren durch die "Neue Linke", für die sie eine demokratisch-sozialistische Alternative zum bürokratisch erstarrten real existierenden Sozialismus verkörperten. Von solcherart andächtiger Verklärung unterscheidet sich das nun im Berliner Transit-Verlag herausgekommene Buch von Manfred Scharrer "’Freiheit ist immer...’ Die Legende von Rosa und Karl" wohltuend. Diesem mit seinen 185 Seiten relativ schmalen Bändchen geht es vornehmlich um die historisch-kritische Darstellung und Hinterfragung des Politikkonzepts von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, also nicht um eine umfassende lebensgeschichtliche Beschreibung.
Der Autor, Leiter einer gewerkschaftlichen Bildungsstätte und durch seine Dissertation über "Die Spaltung der europäischen Arbeiterbewegung" als Kenner der Geschichte von SPD und KPD ausgewiesen, hält insbesondere folgende Kritikpunkte bereit: Das politische Konzept der beiden Revolutionäre habe von Anfang an demokratische Defizite aufgewiesen und sei letztlich wegen seiner inneren "Logik" zum Scheitern verurteilt gewesen: Zwar gebe es das berühmte Diktum: "Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden". Dies stammt aus Luxemburgs postum veröffentlichter Schrift "Zur russischen Revolution". In ihr hat sie sich sehr kritisch und weitsichtig mit der Politik der Bolschewiki auseinander gesetzt und von ihnen innerparteiliche Demokratie und Meinungsfreiheit anstelle von Zentralismus und elitärer Parteidiktatur eingefordert. Auf der anderen Seite jedoch, darauf weist Scharrer mit Recht hin, habe Rosa Luxemburg als gläubige Marxistin nie Abstand genommen vom höchst problematischen Konzept der "Diktatur des Proletariats". Obwohl sie die Anfänge seiner realpolitischen Verwirklichung unter Lenins Herrschaft als Ein-Parteien-Diktatur und sein hartes Vorgehen gegen "Klassenfeinde" noch hätte beobachten können.
Hinzu kommen die vom Autor gut dokumentierten Verbalradikalismen aus dem gleichen Text zu Russland: Rosa Luxemburg propagiert hier in an Lenin erinnernder Diktion, dass die sozialistischen Maßnahmen in "energischster, unnachgiebigster, rücksichtslosester Weise in Angriff" genommen werden sollten. Liebknecht, theoretisch unbedarfter, stößt immer wieder ins gleiche Horn eines vorerst noch rhetorischen Radikalismus. Scharrers Befund eines ambivalenten Demokratieverständnisses wird noch dadurch unterstrichen, dass schon die "frühe" Luxemburg Demokratie lediglich als ein Kampfmittel betrachtet hat, das es ermögliche, die kapitalistischen Widersprüche zur Reife zu bringen. Demokratie eben nicht als Ziel schlechthin für gesellschaftliche Organisation. Dies zeigt sich bereits in ihrer Auseinandersetzung mit Eduard Bernstein um die Frage Revolution versus sozialer Reformismus von 1898. An anderer Stelle spricht die Revolutionärin zwar später immer wieder von "sozialistischer Demokratie" als Signum der "Diktatur des Proletariats". Aber dies überzeugt nicht - vor allem vor dem Hintergrund der von Luxemburg und Liebknecht betriebenen verhängnisvollen Politik im Dezember 1918 und Januar 1919. Wobei wir beim zweiten Hauptkritikpunkt Scharrers wären.
Der Autor zeigt deutlich, dass Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg nach der Novemberrevolution 1918 und der Machtergreifung des Rats der Volksbeauftragten (unter Führung der SPD und unter Beteiligung der USPD) politisch isoliert waren, ohne wirkliche Durchschlagskraft auf die Massen der Werktätigen in Berlin, schon gar in ganz Deutschland. Gleichwohl hielten sie an ihrem antiparlamentarischen und rätedemokratischen Kurs mit martialischen Worten fest. So tönte man z.B.: Der Kampf um den Sozialismus "ist der gewaltigste Bürgerkrieg". Und dies zu einem Zeitpunkt, als zum ersten Mal in der Geschichte der Arbeiterbewegung die reale politische Mitbestimmung und Emanzipation der Arbeiter auf der Tagesordnung standen und Ansätze eines friedlichen demokratisch-konstitutionellen Reformprozesses zu erkennen waren.
Noch schlimmer: Als Anlass für den Aufruf zum gewaltsamen Sturz der Regierung Ebert nahm man am 6. Januar, vor allem Liebknecht, die Entlassung des (linken) Polizeiministers Eichhorn. Die Spartakisten gingen auf die Barrikaden. Ein aufgrund der politischen Kräfteverhältnisse aussichtsloses, putschistisches Unterfangen. Scharrer dokumentiert in diesem Kontext Rosa Luxemburgs Rolle als rhetorische Scharfmacherin: Ihre - teilweise wider besseres Wissen - verfassten Artikel in der "Roten Fahne", mit denen sie die Massen im Januar 1919 zur Revolution aufpeitschen wollte und mit heroischem Gestus Bürgerkrieg und Blutvergießen das Wort redete. Auch dann noch, als die markigen Phrasen der beiden selbst ernannten Führer des Proletariats kaum mehr von den Massen gehört wurden, die sich stattdessen in Versammlungen für eine Beendigung von Blutvergießen und Bürgerkrieg aussprachen. Die zu erwartende Niederschlagung des Aufstands hat dann Gustav Noske, der vom Rat der Volksbeauftragten zum Leiter des Militärressorts ernannte Bevollmächtigte, in Law-and-order-Manier und mit folgendem Schreckensszenario gerechtfertigt:
In höchster Not habe ich mich zu dieser Anordnung entschlossen. Aber ich durfte die Abschlachtung von einzelnen Soldaten nicht weiter dauern lassen. Ich gedenke zu erschüttert mit Ehren der wackeren Männer, die in diesen Schreckenstagen für die Ruhe und die Sicherheit im Lande ihr Leben gelassen haben. Grausen muss jeden Menschen packen bei der Erinnerung an eine tierische Bestialität mit der eine Anzahl von Soldaten dahingemordet sind. Es steht fest, dass Bestien in Menschengestalt sich ausgerast haben wie Amokläufer.
Die gleichsam logische Folge derartiger Hetzreden war die Ermordung von Luxemburg und Liebknecht. Die blutige Niederschlagung des Spartakisten-Aufstandes mit Freikorps-Truppen, die alte Schmach der SPD, wird in diesem Zusammenhang von Scharrer mit Recht kritisiert. Auf der anderen Seite zeigt der Autor vor allem im Kapitel "Aufstand" sehr anschaulich, dass Luxemburg und Liebknecht politisch blinde, dogmatische Ideologen waren, die in wirklichkeitsfernen Kategoriensystemen dachten. Eine abstrakte Arbeiterschaft wurde zum "Heilsbringer" der eigenen Sozialutopie stilisiert. Und wenn das real existierende Proletariat der gemäßigten Mehrheitssozialdemokratie und der USPD hinterherlief, beruhigte man sich mit dem Glauben an die vorübergehende "Unreife der Masse". Tatsachen wie die verheerende Abstimmungsniederlage Luxemburgs auf dem Rätekongress vom 16. Dezember, auf dem sie für ein Rätesystem agitierte und eine parlamentarische Nationalversammlung ablehnte, deutete sie in ihrem selektiven Sinne verschwörungstheoretisch und reagierte mit Beschimpfungen: Die Delegierten seien "williges Werkzeug der Gegenrevolution". Dass nicht Luxemburg und Liebknecht die Massen hinter sich hatten, sondern der sozialdemokratische Mainstream, zeigen auch die von Scharrer angeführten Ergebnisse der Wahl zur Nationalversammlung vom 19. Januar 1919: Hier erhielten die Mehrheitssozialdemokraten 37,9 Prozent und die USPD 7,6 Prozent. Als die KPD, die parteigewordene Nachfolgerin des Spartakusbundes, sich ein Jahr später an Reichstagswahlen beteiligte, erhielt sie lediglich 2,4 Prozent der Stimmen!
Im besten Sinne aufklärerisch ist neben der akribischen Schilderung der Novemberrevolution und der Januartage 1919 auch Scharrers relativ kurzer Abriss der politisch-ideologischen Instrumentalisierung von Luxemburg und Liebknecht im DDR-Staat. Freilich hätte man sich an dieser Stelle auch eine eingehendere Auseinandersetzung mit der westdeutschen politischen Linken gewünscht, die ab den 60ern begann, Rosa und Karl zu Ikonen eines "demokratischen Sozialismus" aufzubauen. Fazit: Manfred Scharrer räumt in lobenswerter Klarheit auf mit alten Mythen. Vor allem widerlegt seine überzeugende Analyse des fragwürdigen Demokratie- und Politikkonzepts von Luxemburg und Liebknecht die Illusion einer angeblichen demokratisch-sozialistischen Alternative. Obwohl die von Scharrer dargestellten Fakten nüchternen Historikern lange bekannt sind, leistet sein Bändchen also einen wichtigen und fundierten Beitrag zur Entmythologisierung beider.
Gerald Glaubitz über Manfred Scharrer: Freiheit ist immer... - Die Legende von Karl und Rosa. Transit Buchverlag Berlin, 160 Seiten zum Preis von 16 Euro 80.
Der Autor, Leiter einer gewerkschaftlichen Bildungsstätte und durch seine Dissertation über "Die Spaltung der europäischen Arbeiterbewegung" als Kenner der Geschichte von SPD und KPD ausgewiesen, hält insbesondere folgende Kritikpunkte bereit: Das politische Konzept der beiden Revolutionäre habe von Anfang an demokratische Defizite aufgewiesen und sei letztlich wegen seiner inneren "Logik" zum Scheitern verurteilt gewesen: Zwar gebe es das berühmte Diktum: "Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden". Dies stammt aus Luxemburgs postum veröffentlichter Schrift "Zur russischen Revolution". In ihr hat sie sich sehr kritisch und weitsichtig mit der Politik der Bolschewiki auseinander gesetzt und von ihnen innerparteiliche Demokratie und Meinungsfreiheit anstelle von Zentralismus und elitärer Parteidiktatur eingefordert. Auf der anderen Seite jedoch, darauf weist Scharrer mit Recht hin, habe Rosa Luxemburg als gläubige Marxistin nie Abstand genommen vom höchst problematischen Konzept der "Diktatur des Proletariats". Obwohl sie die Anfänge seiner realpolitischen Verwirklichung unter Lenins Herrschaft als Ein-Parteien-Diktatur und sein hartes Vorgehen gegen "Klassenfeinde" noch hätte beobachten können.
Hinzu kommen die vom Autor gut dokumentierten Verbalradikalismen aus dem gleichen Text zu Russland: Rosa Luxemburg propagiert hier in an Lenin erinnernder Diktion, dass die sozialistischen Maßnahmen in "energischster, unnachgiebigster, rücksichtslosester Weise in Angriff" genommen werden sollten. Liebknecht, theoretisch unbedarfter, stößt immer wieder ins gleiche Horn eines vorerst noch rhetorischen Radikalismus. Scharrers Befund eines ambivalenten Demokratieverständnisses wird noch dadurch unterstrichen, dass schon die "frühe" Luxemburg Demokratie lediglich als ein Kampfmittel betrachtet hat, das es ermögliche, die kapitalistischen Widersprüche zur Reife zu bringen. Demokratie eben nicht als Ziel schlechthin für gesellschaftliche Organisation. Dies zeigt sich bereits in ihrer Auseinandersetzung mit Eduard Bernstein um die Frage Revolution versus sozialer Reformismus von 1898. An anderer Stelle spricht die Revolutionärin zwar später immer wieder von "sozialistischer Demokratie" als Signum der "Diktatur des Proletariats". Aber dies überzeugt nicht - vor allem vor dem Hintergrund der von Luxemburg und Liebknecht betriebenen verhängnisvollen Politik im Dezember 1918 und Januar 1919. Wobei wir beim zweiten Hauptkritikpunkt Scharrers wären.
Der Autor zeigt deutlich, dass Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg nach der Novemberrevolution 1918 und der Machtergreifung des Rats der Volksbeauftragten (unter Führung der SPD und unter Beteiligung der USPD) politisch isoliert waren, ohne wirkliche Durchschlagskraft auf die Massen der Werktätigen in Berlin, schon gar in ganz Deutschland. Gleichwohl hielten sie an ihrem antiparlamentarischen und rätedemokratischen Kurs mit martialischen Worten fest. So tönte man z.B.: Der Kampf um den Sozialismus "ist der gewaltigste Bürgerkrieg". Und dies zu einem Zeitpunkt, als zum ersten Mal in der Geschichte der Arbeiterbewegung die reale politische Mitbestimmung und Emanzipation der Arbeiter auf der Tagesordnung standen und Ansätze eines friedlichen demokratisch-konstitutionellen Reformprozesses zu erkennen waren.
Noch schlimmer: Als Anlass für den Aufruf zum gewaltsamen Sturz der Regierung Ebert nahm man am 6. Januar, vor allem Liebknecht, die Entlassung des (linken) Polizeiministers Eichhorn. Die Spartakisten gingen auf die Barrikaden. Ein aufgrund der politischen Kräfteverhältnisse aussichtsloses, putschistisches Unterfangen. Scharrer dokumentiert in diesem Kontext Rosa Luxemburgs Rolle als rhetorische Scharfmacherin: Ihre - teilweise wider besseres Wissen - verfassten Artikel in der "Roten Fahne", mit denen sie die Massen im Januar 1919 zur Revolution aufpeitschen wollte und mit heroischem Gestus Bürgerkrieg und Blutvergießen das Wort redete. Auch dann noch, als die markigen Phrasen der beiden selbst ernannten Führer des Proletariats kaum mehr von den Massen gehört wurden, die sich stattdessen in Versammlungen für eine Beendigung von Blutvergießen und Bürgerkrieg aussprachen. Die zu erwartende Niederschlagung des Aufstands hat dann Gustav Noske, der vom Rat der Volksbeauftragten zum Leiter des Militärressorts ernannte Bevollmächtigte, in Law-and-order-Manier und mit folgendem Schreckensszenario gerechtfertigt:
In höchster Not habe ich mich zu dieser Anordnung entschlossen. Aber ich durfte die Abschlachtung von einzelnen Soldaten nicht weiter dauern lassen. Ich gedenke zu erschüttert mit Ehren der wackeren Männer, die in diesen Schreckenstagen für die Ruhe und die Sicherheit im Lande ihr Leben gelassen haben. Grausen muss jeden Menschen packen bei der Erinnerung an eine tierische Bestialität mit der eine Anzahl von Soldaten dahingemordet sind. Es steht fest, dass Bestien in Menschengestalt sich ausgerast haben wie Amokläufer.
Die gleichsam logische Folge derartiger Hetzreden war die Ermordung von Luxemburg und Liebknecht. Die blutige Niederschlagung des Spartakisten-Aufstandes mit Freikorps-Truppen, die alte Schmach der SPD, wird in diesem Zusammenhang von Scharrer mit Recht kritisiert. Auf der anderen Seite zeigt der Autor vor allem im Kapitel "Aufstand" sehr anschaulich, dass Luxemburg und Liebknecht politisch blinde, dogmatische Ideologen waren, die in wirklichkeitsfernen Kategoriensystemen dachten. Eine abstrakte Arbeiterschaft wurde zum "Heilsbringer" der eigenen Sozialutopie stilisiert. Und wenn das real existierende Proletariat der gemäßigten Mehrheitssozialdemokratie und der USPD hinterherlief, beruhigte man sich mit dem Glauben an die vorübergehende "Unreife der Masse". Tatsachen wie die verheerende Abstimmungsniederlage Luxemburgs auf dem Rätekongress vom 16. Dezember, auf dem sie für ein Rätesystem agitierte und eine parlamentarische Nationalversammlung ablehnte, deutete sie in ihrem selektiven Sinne verschwörungstheoretisch und reagierte mit Beschimpfungen: Die Delegierten seien "williges Werkzeug der Gegenrevolution". Dass nicht Luxemburg und Liebknecht die Massen hinter sich hatten, sondern der sozialdemokratische Mainstream, zeigen auch die von Scharrer angeführten Ergebnisse der Wahl zur Nationalversammlung vom 19. Januar 1919: Hier erhielten die Mehrheitssozialdemokraten 37,9 Prozent und die USPD 7,6 Prozent. Als die KPD, die parteigewordene Nachfolgerin des Spartakusbundes, sich ein Jahr später an Reichstagswahlen beteiligte, erhielt sie lediglich 2,4 Prozent der Stimmen!
Im besten Sinne aufklärerisch ist neben der akribischen Schilderung der Novemberrevolution und der Januartage 1919 auch Scharrers relativ kurzer Abriss der politisch-ideologischen Instrumentalisierung von Luxemburg und Liebknecht im DDR-Staat. Freilich hätte man sich an dieser Stelle auch eine eingehendere Auseinandersetzung mit der westdeutschen politischen Linken gewünscht, die ab den 60ern begann, Rosa und Karl zu Ikonen eines "demokratischen Sozialismus" aufzubauen. Fazit: Manfred Scharrer räumt in lobenswerter Klarheit auf mit alten Mythen. Vor allem widerlegt seine überzeugende Analyse des fragwürdigen Demokratie- und Politikkonzepts von Luxemburg und Liebknecht die Illusion einer angeblichen demokratisch-sozialistischen Alternative. Obwohl die von Scharrer dargestellten Fakten nüchternen Historikern lange bekannt sind, leistet sein Bändchen also einen wichtigen und fundierten Beitrag zur Entmythologisierung beider.
Gerald Glaubitz über Manfred Scharrer: Freiheit ist immer... - Die Legende von Karl und Rosa. Transit Buchverlag Berlin, 160 Seiten zum Preis von 16 Euro 80.