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Mangelhafte Kontrolle

Medizin. - Bewegung beugt dem Herzinfarkt vor, gesunde Ernährung auch, und wer regelmäßig Kreuzworträtsel löst, leidet im Alter weniger unter Gedächtnisstörungen. Präventionsmaßnahmen bekommen häufig Vorschlusslorbeeren. Ob das tatsächlich berechtigt ist, haben Wissenschaftler des Kölner Instituts für Gesundheitsökonomie nun untersucht.

Von Kristin Raabe | 10.01.2008
    Regelmäßig zur Krebsvorsorgeuntersuchung zu gehen ist Prävention, Treppensteigen aber auch. Das Beispiel zeigt, wie unterschiedlich Präventionsmaßnahmen gestaltet sein können. Um herauszufinden, ob sie wirklich effizient sind, mussten die Wissenschaftler vom Kölner Institut für Gesundheitsökonomie sich auf wenige Themenfelder beschränken. Milly-Anna Schroer:

    "Wir haben insgesamt vier Risikofaktoren untersucht. Zum Einen die Bewegung, Ernährung, Depression und das Rauchverhalten. Wir haben eine Vielzahl an Treffern, also Publikationen, gefunden. Und haben dann für jeden Risikofaktor eine gewisse Anzahl von Studien evaluiert."

    Die Wissenschaftlerin stellte zunächst einige Qualitätskriterien für das Studiendesign auf. Wichtig war ihr beispielsweise, ob die Studienteilnehmer zufällig ausgewählt wurden und ob es eine Kontrollgruppe gab, die die Präventionsmaßnahme nicht erhielt. Als sie schließlich mehr als 100 internationale Studien ausgewertet hatte war das Ergebnis ernüchternd. Schröer:

    "”Zum einen haben wir festgestellt, dass internationale Studien, die wir untersucht haben, in 13 verschiedenen Ländern, qualitativ nicht hochwertig waren und die Effekte fraglich.""

    Milly-Anna Schröer konnte nicht eine Studie finden, die ihren Qualitätskriterien genügte. Und das bedeutet letztlich auch, dass es nicht wirklich einen wissenschaftlich haltbaren Beweis gibt, dass die untersuchte Präventionsmaßnahme tatsächlich greift. Einige der in den Studien beschriebenen Maßnahmen waren dagegen ganz offensichtlich reine Geldverschwendung. Plakate beispielsweise, die in Betrieben für das Treppensteigen werben, wurden von den Angestellten schlichtweg ignoriert. Letztlich wird im Bereich Prävention häufig unnötig Geld ausgegeben, weil für die Untersuchung von Präventionsmaßnahmen nicht genug finanzielle Mittel da sind. Das glaubt jedenfalls Markus Lüngen, der derzeitige Leiter des Kölner Instituts für Gesundheitsökonomie:

    "Ich denke der Bereich der Prävention oder Gesundheitsförderung Untersuchung ist generell unterfinanziert. Man hat sowieso zu wenig Geld um die eigentlichen Projekte durchzuführen und wenn man dann bei der Antragstellung sagt, ‚wir wollen auch noch eine sehr aufwendige Untersuchung machen, ob die ganze Maßnahme überhaupt wirksam war.’. Und das führt dann natürlich dazu, dass man ganz viel Geld ausgibt, wo man dann hinterher fragt, war es sinnvoll dieses Geld auszugeben? Es ist dann auch immer ein Problem beispielsweise, wenn man sagt, man braucht auch eine Kontrollgruppe. Also die wird dann auch beobachtet diese Gruppe, bekommt aber nicht die Präventionsmaßnahme. Und dann schaut man eben, ändern die auch ihr Rauchverhalten, bewegen die sich auch mehr. Und ohne diese Kontrollgruppe kann man nie sagen, ob es vielleicht Einflüsse gab, dass in der Gesellschaft sowieso weniger geraucht wird, das ist aber jetzt nicht die Ursache in der Präventionsmaßnahme und diese wirklich guten Evaluationen werden einfach nicht finanziert."

    Mit Prävention lässt sich in aller Regel kein Geld verdienen. Apotheker, Pharmaindustrie und Ärzte verdienen an den Kranken und nicht an den Gesunden, die dank einer effektiven Präventionsmaßnahme gar nicht erst krank werden. Die einzigen, die tatsächlich durch gesunde Mitglieder Geld sparen, sind die Krankenkassen. Lüngen:

    "Mit Prävention kann man kein Geld verdienen, weil die Leute hinterher rauchen, sie weniger konsumieren, in der Regel, und da stellt sich die Frage: Wer hat ein Interesse daran? Und die einzigen Spieler sozusagen, die ein Interesse daran haben, sind die Krankenkassen. Die würden sagen, wenn ich in Prävention investiere, dann haben die Leute in einigen Jahren weniger Krankheiten, sind gesünder und müssen nicht zum Arzt. Das Problem dabei ist aber, dass die Leute zwar Prävention in Anspruch nehmen, vielleicht später die Krankenkasse wechseln. Also wird eine Krankenkasse sagen, ich sorge dafür, dass Prävention von den anderen Krankenkassen gemacht wird und werbe dann später, die gesunden Versicherten bei mir an. Deshalb investiert im Prinzip keiner in gute Präventionsmaßnahmen. Deswegen ist der Ansatz, es muss von politischer Seite unterstützt werden und es müssen einheitliche Präventionsmaßnahmen durchgeführt werden, die auch von allen finanziert werden, schon der richtige Weg."

    Auf diesen Weg befindet sich Finnland zurzeit. Dort werden für einzelne Präventionsmaßnahmen klare Ziele formuliert und hinterher überprüfen Experten, ob diese Ziele auch erreicht wurden. Ob Finnland für Deutschland in Sachen Gesundheitsförderung ein Vorbild sein könnte, untersuchen die Kölner Experten zurzeit in einer weiteren Studie. Hierzulande muss sich bei der Prävention jedenfalls einiges ändern.