Archiv


Mangelndes Selbstmanagement

Ein Grund für den aktuellen Mangel an Ingenieuren: 30 Prozent der Studierenden schaffen ihr Studium nicht. An der Fachhochschule Südwestfalen versucht man nun, mehr Ingenieure als bisher durchs Studium zu bringen - mit autogenem Training.

Von Dorothee Räber |
    Meschede, eine kleine Stadt mitten im Hochsauerland, beherbergt einen von vier Standorten der Fachhochschule Südwestfalen. In einem hellen, modernen Zweckbau hat Torsten Pätzold sein Büro. Der Studierendenberater bekommt viel Besuch, denn sein Rat ist gefragt:

    "Im Grunde ist es ein Saisongeschäft und immer kurz vor den Klausuren oder wenn die Ergebnisse raus sind, ist das Lerncoaching besonders intensiv. Und deshalb ist das Thema Lernen sicherlich ein großer Anteil der Beratung."

    An der FH Südwestfalen wollen mehr als die Hälfte aller 8000 Studierenden Ingenieur werden. Da ist es nur logisch, dass unter den Ratsuchenden, die an Torsten Pätzolds Tür klopfen, viele angehende Ingenieure mit Lernproblemen sind. Die meisten haben keine intellektuellen Schwierigkeiten:

    "Also, ich stelle fest, dass die meisten Studierenden, wenn sie denn endgültig scheitern, am mangelnden Zeit- und Selbstmanagement scheitern. Also, man fängt viel zu spät erst an, sich vorzubereiten beziehungsweise möchte zu viel. Wenn dieser Drittversuch in einem Prüfungsblock ist, sollte man eben keine weiteren Klausuren schreiben. Viele schreiben aber ganz viele andere Dinge noch und damit fährt man das Ganze vor die Wand."

    Wenn ein dritter Prüfungsversuch daneben geht, ist das Studium vorbei, auch wenn die Noten in allen anderen Fächern gut sind. Das mangelnde Selbstmanagement hat nach Meinung des Beraters mehrere Ursachen: den vollen Bachelorlehrplan, Nebenjobs und die Tatsache, dass bei vielen FH-Studierenden die Schulzeit und damit das letzte Lernen lange zurückliegt.

    Pätzold bietet den Ratsuchenden verschiedene Lösungsmöglichkeiten: Wer gestresst ist, kann zuerst durch autogenes Training Entspannung lernen. Wer schon einen Schritt weiter ist, kann mit dem Berater einen Zeitplan fürs Lernen aufstellen und sich Lesetechniken beibringen lassen. Und oft müssen die Studierenden auch private Probleme bewältigen. Das war zum Beispiel bei Christian (Name von der Redaktion geändert) so. Er studiert eine Mischung aus Maschinenbau und Management:

    "Wo ich 14 war, war ich halt schwer krank, ich hatte Leukämie und danach kamen halt die Folgeerkrankungen immer. Knie kaputt, Hüfte kaputt. Ich muss jedes Jahr zu dieser Untersuchung hin, jedes Mal macht man sich halt wieder einen Kopf, wenn die wieder was finden, hier und da. Die ersten zwei Sitzungen, wo ich hier war, da haben wir wirklich halt nur über das gesprochen auch und Unisachen außen vor gelassen."

    Der 27-Jährige bezeichnet sich als besonders schweren Fall. Neben seiner Krankheit beeinträchtigen auch seine Nervosität und seine Arbeit das Lernen. Regelmäßig ist er als Handelsvertreter für technische Bauteile unterwegs. Um seinen Traumjob behalten zu können, will er sein Studium auf jeden Fall beenden. In drei Fächern standen bei Christian (Name von der Redaktion geändert) zwischenzeitlich Drittversuche an. Zwei davon hat er mithilfe von Entspannungstechniken und mehr Lerndisziplin schon geschafft.

    Sein Kommilitone Mike hat dagegen mehr Probleme mit dem Studieninhalt. Mathe und Statistik sind für ihn die schwierigsten Fächer. Nach den ersten Prüfungsversuchen konnte er sich nicht mehr aufs Lernen konzentrieren, weil er zu viel Angst hatte, wieder durchzufallen. Besser wurde es auch bei Mike, als er gelernt hatte, sich zu entspannen:

    "Das autogene Training hat mir total viel gebracht, ich kann mich wirklich zurückziehen entspannen und mal zur Ruhe kommen und dann mal die ganze Sache von außerhalb so ein bisschen betrachten und nicht immer nach innen gekehrt das sehen und verkrampfen. Also, ich kann deutlich lockerer mit der Sache jetzt umgehen."

    Zum Beratungspaket am FH-Standort Meschede gehört noch mehr: So gibt es einen vierwöchigen Mathevorkurs für Studienanfänger. Und wer nicht so viele Leistungspunkte sammelt wie vorgesehen, der bekommt eine Mail vom Frühwarnsystem des Rechenzentrums. Darin findet sich die Empfehlung, den Studienberater aufzusuchen. An den anderen drei Standorten der Hochschule sind noch mehr angehende Ingenieure unter den Studierenden. Auch dort werden nun Beratungssysteme aufgebaut, weil sich die Angebote in Meschede bewährt haben. Torsten Pätzold:

    "Bisher klappt das sehr gut, das heißt, diejenigen, die das durchgehalten haben, haben auch bisher alle die Prüfung dann bestanden. Wer sich wirklich drauf einlässt, da war bisher wirklich diese hundertprozentige Erfolgsquote. Jeder Studierende, der hier zum Schluss kommt, ist natürlich jemand, der dann auf dem Arbeitsmarkt auch seinen Weg finden kann."

    Und so leistet der Studienberater einen kleinen Beitrag dazu, den Ingenieursmangel zu verringern. Bei Christian (Name von der Redaktion geändert) und Mike stehen in den kommenden Monaten übrigens wieder dritte Prüfungsversuche an. Dann wird sich zeigen, ob sie die bisherige Erfolgsquote halten können.