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Mangelware Wirtschaftsmathematiker

Ob es der Mikrochip im Handy ist oder die Simulation der Belastung eines Autolenkers am Computer: Überall werden mathematische Formeln gebraucht. Heute mehr denn je. Die Mathematik explodiert derzeit, sagen die Fachleute: Vor allem die angewandte Mathematik. Finanzmathematiker sind trotz Bankenflaute gefragt. Und immer mehr Studenten interessieren sich für diesen Bereich der Mathematik, eine neue praktische Seite einer abstrakten Wissenschaft.

    Olaf Weick grübelt, sein Computer rechnet. Der Mathematikstudent schreibt gerade seine Diplomarbeit an der Freiburger Uni. Sein Thema: Portfolio-Optimierung.

    In der Portfolio-Optimierung geht es darum, verschiedene Geldanlagemöglichkeiten, die man hat, so auszuwählen, dass das Risiko möglichst minimiert wird oder der Ertrag maximiert wird. Das versuche ich jetzt mit einem etwas anderen mathematischen Modell zu machen – was eben nicht dem standard-mathematischen- Modell entspricht.

    Geldvermehrung dank mathematischer Formeln. Rational und pragmatisch. Immer mehr Mathematiker brüten ganz praktische Probleme aus – statt abstrakte Gedankenspiele zu betreiben. Mittlerweile wird Wirtschaftsmathematik an 25 deutschen Universitäten angeboten. Mathematische Modelle sind gefragter denn je, sagt Gert-Martin Greuel - Mathematik-Dozent in Kaiserslautern.

    In der Automobilindustrie werden Versuchsreihen immer mehr ersetzt durch Simulationen am Computer, da brauchen sie Mathematik von der Wahrscheinlichkeitstheorie. Dann im Handy: das Handy steckt voller Mathematik: angefangen vom Mikrochip bis zum Verschlüsseln der Daten: das sind Modelle der Zahlentheorie Algebra, die dort eingeht. Dann gibt es in der Finanzwelt mathematische Formeln, die das Verhalten von Aktien versuchen zu beschreiben. Natürlich können die nichts voraussagen. Aber sie können vielleicht Risiken minimieren.

    Vor 20 Jahren – da haben die Banken nur ein paar Statistiker beschäftigt, sagt der Finanzmathematiker Ernst Eberlein. Er lehrt an der Freiburger Universität, und war Anfang der 90er einer der ersten, die in diesem Spezialgebiet der Mathematik begonnen haben, wissenschaftlich zu arbeiten. Häufig werden Forschungs-Projekte gemeinsam mit Banken erarbeitet, sagt Ernst Eberlein:

    IIIch lasse mich einfach von den Banken auch inspirieren: was sind die wirklich interessanten Fragen? Man sollte an diese Fragestellung nicht rein wissenschaftlich herangehen, sondern man sollte fragen: was sind die relevanten Fragen für die Praxis?
    Ich kümmere mich im Augenblick um die Bewertung von Caps and Floors; das sind Optionen auf Zinsen, also der Anlagenbereich. Und hierfür werden Formeln entwickelt, mit denen man diese Produkte präzise bewerten kann.

    Die Finanzmathematik sei im Vergleich zur reinen Mathematik wissenschaftlich hochinteressant und sehr anspruchsvoll, sagt der Freiburger Experte. Er hat beobachtet, dass angewandte Mathematik bei den Studenten immer gefragter ist. Seit kurzem interessieren sich wieder mehr Studenten für die Naturwissenschaften. Derzeit gibt es etwa 600 Mathematikstudenten in Feiburg. In den 80ern waren es um die 1000.

    Ich stelle in Gesprächen deutlich fest, dass die Studierenden heute genauer nachfragen bei der Studienplanung: welche Möglichkeiten werden mir dadurch eröffnet? Ich hab das vor 10, 15 Jahren kaum gehört. Da hat zunächst mal sein Studium abgeschlossen und dachte sich, mit dem Diplom in der Tasche findet sich schon irgendwas. Heute fängt die Planung wesentlich früher an.

    Und häufig ist bereits das Studium wesentlich berufsorientierter als früher. So hat Oliver Weik, der gerade seine Diplomarbeit über Portfolio-Optimierung schreibt, bereits ein Auslandssemester in Adelaide in Australien hinter sich und auch zwei Praktika an Banken in Sydney und Frankfurt absolviert. Gute Vorraussetzungen für einen Job, sagt dazu Ralf Rudolf, der sich bei der deutschen Bank in Frankfurt um die Einstellung von Akademikern kümmert:

    Wir sind an den Hochschulen unterwegs und zeigen unser Gesicht auch in einer Zeit, in der sicherlich die Einstellungen in der Bundesrepublik überdacht werden. Wir finden die Mathematiker, die gut sind. Mathematiker haben in den letzten anderthalb Jahren begriffen, dass Investmentbanking spannend und aussichtsreich sein kann für einen Karrierestart.

    15 Prozent der Hochschulabsolventen, die bei der deutschen Bank eingestellt werden, sind derzeit Mathematiker. Dreimal soviel wie früher. Sie arbeiten nicht nur in klassischen Bereichen, wie der Datenverarbeitung oder im Risikomanagement, sondern sie entwickeln auch ganz neue Anlageformen. Das Einstiegsgehalt liegt zwischen 37.000 Euro bis 51.000 Euro im Jahr - je nach Arbeitsgebiet, Qualifizierung und Erfahrung. Die Nachfrage ist seit dem Börsenboom der letzten Jahre groß, sagt Ralf Rudolf:

    Hier haben sie natürlich eine wirkliche Explosion erlebt, in diesem Handel, dieser Nachfrage nach verschiedenen Finanzinnovationen von institutionellen und Privatanlegern nach immer wieder neuen Produkten. Und die bedarf natürlich Mathematikern, die uns dabei geholfen haben, diese Produkte ordentlich und risikoorientiert auf den Markt zu geben.