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Manieristischer Virtuose

Welche idealistischen Gedanken ursprünglich einmal die Motivation der Künstler waren, ist derzeit in einer Ausstellung in Wien zu sehen. Dort feiert eine großangelegte Werkschau den Flamen Jean Boulogne, der unter dem Namen Giambologna am Hofe der Medici zu Weltruhm gelangte. Seine Skulpturen - in Bronze wie in Marmor - sind inzwischen über 400 Jahre alt. Und doch zählen sie zu den großartigsten Kunstwerken, die in Europa jemals entstanden sind.

Von Wolf Schön |
    Der Bildhauer Giambologna war ein Künstler mit Handicap: Die Punktlandung im Zentrum der Renaissance hatte er als Nachzügler verpasst, während andererseits die Ungnade der frühen Geburt verhinderte, dass er nahtlos zu den Meistern des Barock aufschließen konnte. Im toten Winkel auf der kunstgeschichtlichen Rennbahn gab es nur eine Überlebensstrategie: Auffallen um jeden Preis, etwas anstellen, was die Sinne kitzelt und eine formale wie emotionale Sensation verspricht.

    Giambologna schaffte das Kunststück, indem er die ehernen Gesetze des eigenen Metiers auf den Kopf stellte. Wie ein Zirkusartist leugnete er die Statik des Standbildes und tat so, als gäbe es die Schwerkraft nicht. Sein berühmter geflügelter "Bronzemerkur", der ein internationaler Bestseller wurde, scheint tatsächlich zu fliegen, wenn er auf der Zehenspitze balanciert.

    Andere Figuren der antiken Mythologie sind derart ineinander verschlungen, verkeilt und verdreht, dass die starre Materie in Schwindel erregende Bewegung gerät. Muskulöse Energie explodiert, wenn Samson mit dem Philister kämpft, Herkules den Kentauren Eurytion erschlägt oder eine Sabinerin in halsbrecherischer Schraubenbewegung vom römischen Junggesellen aus den väterlichen Armen geraubt wird.

    Mit der wiedererwachten Sehnsucht nach klassischer Ausgewogenheit geriet das outrierte, auf Disharmonien abonnierte Kapitel des Manierismus aus dem Blickfeld. Erst im vergangenen Frühjahr hat es Italien für nötig befunden, dem manieristischen Virtuosen eine erste Überblickschau zu gönnen.

    Die nun in kurzem Abstand folgende Ausstellung im Wiener Kunsthistorischen Museum verlegt den Fokus auf die Kleinbronzen, die zu Lebzeiten des Künstlers ein Exportschlager waren und besonders Kaiser Rudolf II. entzückten - weshalb die 52 Katalognummern zählende Skulpturenparade auf üppigen Eigenbesitz zurückgreifen kann.

    Aber auch der Medici-Prinz Francesco hatte einen Narren an dem genialen Talent aus Flandern gefressen. Der 20-jährige Jean de Boulogne, dessen Name in der italienischen Version zum Markenzeichen wurde, war um die Mitte des 16. Jahrhunderts zu Studienzwecken nach Rom aufgebrochen.

    Auf der Rückreise machte er in Florenz Station und sollte die Renaissance-Metropole bis zu seinem Lebensende nicht mehr verlassen. Und das vor allem deshalb, weil es ihm gelang, die Kunstszene aus der ehrfürchtigen Erstarrung vor dem übermächtigen Vorbild Michelangelo zu lösen. Ein Wettkampf mit der herrischen Monumentalität des Titanen stand nicht zur Debatte. Vielmehr verlegte sich der Zugereiste darauf, den weiblichen Körper in immer neuen Posen jenseits der Konventionen zu erkunden.

    Dabei löste sich der Künstler völlig von der thematischen Aufgabenstellung, sodass es keine Rolle spielt, welche Schönheit da dem Bade entsteigt, ein Tuch ergreift und sich mit anmutiger Geste den glänzend polierten Körper trocknet. Venus, die Göttin der Weiblichkeit, ist es, dann eine scheue Nymphe, die Stadtpatronin Fiorenza oder eine der Musen Apolls.

    Alle sind austauschbar, Schwestern im Dienst eines überpersönlichen Ideals. Mit ihrem Titel "Triumph des Körpers" verweist die Wiener Ausstellung erstmals auf die überraschende Modernität Giambolognas, sein für die Spätrenaissance extremes Abstraktionsvermögen. In unerschöpflicher Variation zeigt sich die reine Form, wie sie im 20. Jahrhundert erst wieder Maillol präsentiert.

    Vielleicht ist Giambologna auch der erste Konzeptkünstler gewesen, weil ihm die Idee wichtiger war als die Ausführung. Der alte Michelangelo soll ihn bei einem Zusammentreffen darin bestärkt haben, sich auf den innovativen Entwurf zu konzentrieren, als er ihm bei Korrekturen zur Hand ging.

    Der geschäftstüchtige Flame organisierte einen arbeitsteiligen Manufakturbetrieb, in dem selbstständige Mitarbeiter die komplette Nachbearbeitung der zahlreich wiederholten Güsse übernahmen. Das war bereits eine richtige Kunstfabrik, so wie sie 400 Jahre später der Business-Künstler Warhol als "Factory" in Manhattan betreiben sollte.