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Mann, ein vielschichter Mensch

2005 ist nicht nur ein Schiller-, sondern auch ein Thomas-Mann-Jahr: Der Nobelpreisträger wurde vor 130 Jahren geboren und starb vor 50 Jahren. Für den Germanisten Dieter Borchmeyer ist vor allem die Vielschichtigkeit der Person Mann ein Grund für dessen Faszination. Mann verkörpere viele Aspekte der deutschen Tradition, die bei ihm aber nicht durch Kapitulation vor dem Nationalsozialismus beschmutzt worden sind.

Moderation: Doris Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: Im 50. Todesjahr ist Thomas Mann den Deutschen sehr präsent. Das liegt allerdings nicht daran, dass jeder plötzlich "Josef und seine Brüder", "Die Buddenbrooks" oder "Felix Krull" lesen würde, sondern wohl eher an der dreiteiligen Fernsehdokumentation "Die Manns. Ein Jahrhundertroman" von Heinrich Breloer. Thomas Mann sieht in den Köpfen vieler seitdem so aus, wie Armin Müller-Stahl ihn verkörperte. Der Schauspieler sprach explizit nicht so, wie man es von Thomas Mann aus Filmaufnahmen kennt, und wurde vom Filmemacher sogar als der bessere Thomas Mann geadelt. Anlässlich des 50. Todestages von Thomas Mann im August und seines 130. Geburtstages im Juni hat das Goethe-Institut nun in München eine Podiumsdiskussion veranstaltet. Auf dem Podium saß auch Dieter Borchmeyer, Professor für Germanistik und Präsident der bayrischen Akademie der Künste. "Zur Wirkung eines modernen Klassikers", so lautete der Titel der Veranstaltung. Herr Borchmeyer, wie wirkt denn Thomas Mann heute?

    Dieter Borchmeyer: Thomas Mann wirkt heute als ein Schriftsteller mit dem leichten au goût des Gewesenen, er verkörpert eine bürgerliche Kultur, die uns mehr und mehr entschwindet, wenn sie nicht schon entschwunden ist. Ein Stück Vergangenheit, das aber doch eine bleibende Faszination bewahrt, weil man in diesem Vergangenen etwas Verlorenes sieht, das man doch vielfach gerne wiedergewinnen würde.
    Schäfer-Noske: Dieses Jahr ist ja zugleich ein Schiller-Jahr und ein Thomas-Mann-Jahr. Wie kommt es denn oder hat es möglicherweise mit dem zu tun, was Sie gesagt haben, dass uns Schiller dieses Jahr viel präsenter erscheint als Thomas Mann?

    Borchmeyer: Das ist eine interessante Feststellung. Das hängt natürlich damit zusammen, dass das Theater Schiller weithin nicht mehr spielt, außer den Jugenddramen bis zum Don Carlos. Das entspricht aber nicht dem Bewusstseinstand der Menschen. Die Menschen, die Leser haben plötzlich Schiller für sich entdeckt. Und das Schiller-Jahr ist ja ein ganz erstaunlicher Erfolg. Damit hätte keiner gerechnet.

    Schäfer-Noske: Sie haben schon angesprochen, dass die Leser Schiller für sich wieder entdeckt haben. Was könnten uns denn Thomas Manns Werke heute noch bedeuten?

    Borchmeyer: Thomas Mann war ein Autor, der wohl mehr als jeder andere des 20. Jahrhunderts aus der Tradition der deutschen Literatur lebte. Er ging in Spuren Goethes, er ging in Spuren Wagners - dieses In-Spuren-Gehen ist ein Begriff von ihm selber - er ging auch in Spuren Schillers. Seine große Essayistik ist in großen literarischen Erscheinungen der deutschen Vergangenheit gewidmet. Er interpretiert sich aus der deutschen Tradition heraus, und weil auch diese deutsche Tradition uns vielfach verloren gegangen ist, deshalb sieht man sie in Thomas Mann wiederkehren. Viele Traditionen des deutschen Bürgertums sind beschmutzt durch den Nationalsozialismus, weil das deutsche Bürgertum letzten Endes kapituliert hat vor dem Nationalsozialismus. Aber Thomas Mann hat eben nicht kapituliert und Thomas Mann hat einerseits das konservative Bürgertum repräsentiert, aber auch liberale Tendenzen, linke Tendenzen bis an den Rand des Sozialismus und er hatte vor allem etwas, was deutsche Bürger selten haben: Ironie. Und diese Ironie und diese Möglichkeit der Selbstinfragestellung, das sind alles Dinge, die zu Thomas Manns Bürgerlichkeit hinzukommen. Seine Art von Bürgerlichkeit, die hat etwas Integres, die möchte man gerne haben. Hinzu kommen dann natürlich auch die Schattenseiten, die Hintergründe und Abgründigkeiten dieser Bürgerlichkeit, etwa was die erotische Sphäre betrifft. Das ist alles bei ihm vorhanden. Alles was ein Deutscher sein kann, das wird gewissermaßen von Thomas Mann repräsentiert, und das ist wohl gewiss ein Stückchen seiner Faszination.

    Schäfer-Noske: Die Person Thomas Mann ist ja auch eben sehr präsent geworden durch den Dreiteiler von Heinrich Breloer. Nun hat Heinrich Breloer vor kurzem angekündigt, auch "Die Buddenbrooks" zu verfilmen. Inwieweit könnte das denn neues Interesse an der Literatur von Thomas Mann wecken?

    Borchmeyer: Ich muss gestehen, dass ich dieses Verdrängen des originalen Thomas Mann durch eine Dokumentation mir doch gründlich missfällt und dass man nun Armin Müller-Stahl für "Thomas-Mannischer" als Thomas Mann selbst hält, das gefällt mir auch nicht. Er hat ja eigentlich gar keine Ähnlichkeit mit Thomas Mann. Er sieht ja viel mehr aus wie Günter Grass. Ich habe doch große Skepsis gegenüber dem Genre der Literaturverfilmung, weil sich einfach die Bilder der Filme über die imaginären Bilder der Werke lagern und "Die Buddenbrooks" haben eigentlich eine Verfilmung gar nicht nötig. Es ist ja in der Regel so: Sehr gute Bücher werden nie adäquat verfilmt, während die besten Literaturverfilmungen oft die sind, wo die Bücher nicht so vollkommen sind.