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Mann mit Widersprüchen

Berthold Beitz ist ehemahliger Krupp-Manager. Er wurde 1953 Generalbevollmächtigter des Unternehmens. Der "Spiegel"-Redakteur Norbert F. Pötzl ist beim ersten Anlauf gescheitert, das lange Leben des Kruppianers zu beschreiben. Nun hat er einen zweiten Versuch unternommen.

Von Otto Langels | 19.12.2011
    Vor zehn Jahren hatte Berthold Beitz den "Spiegel"-Redakteur Norbert F. Pötzl gefragt, ob er seine Lebensgeschichte aufschreiben wolle, in Form einer Autobiografie, bei der Pötzl als Ghostwriter fungieren sollte. Um Material zu sammeln, besuchte Pötzl den Krupp-Patriarchen an seinem Urlaubsort.

    "Als ich dort ankam, eröffnete er mir plötzlich, dass er es sich anders überlegt habe. Er wolle keine Autobiografie, sich – wie er sagte – nicht selbst belobigen, sondern viel raffinierter, er wollte eine Biografie, die aber nur mit seiner Zustimmung veröffentlicht werden dürfe. Und vielleicht hätte ich da gleich wieder abreisen sollen."

    Stattdessen ließ sich Norbert F. Pötzl auf diese Vorgabe ein, ein erstaunliches Zugeständnis für einen "Spiegel"-Journalisten. Als er im Frühjahr 2004 das fast fertige Buch vorlegte, verweigerte Berthold Beitz die Veröffentlichung ohne nähere Angabe von Gründen. Das Manuskript verschwand in der Schublade, der Autor erhielt ein Ausfallhonorar und musste sich verpflichten, kein Material aus den geführten Interviews zu verwenden. Jahre später entschloss sich Norbert F. Pötzl, dennoch eine Biografie über Berthold Beitz zu schreiben. Kann man gewissermaßen im zweiten Anlauf eine sachliche und nüchterne Lebensbeschreibung verfassen, wenn der erste Versuch einer Annäherung scheiterte? Pötzl ist überzeugt, dass es ihm trotz der vorherigen frustrierenden Erfahrung nicht an der nötigen Distanz mangelt; im Gegenteil, durch die vielen Gespräche mit Beitz hat er biografische Details eines Menschen erfahren, der Journalisten gegenüber normalerweise zugeknöpft auftritt.

    "Ich habe mir also einen umfassenden, persönlichen Eindruck von ihm machen können, was gewiss nicht möglich gewesen wäre, wenn ich von vornherein eine von ihm und seiner Einflussnahme unabhängige Biografie in Angriff genommen hätte."

    Gleichwohl ist die Zurückweisung, die Norbert F. Pötzl durch Beitz erfahren hat, an manchen Stellen des Buches zu spüren. Unverkennbar will der Autor die "Risse, Kerben und dunklen Stellen" im Leben des Krupp-Patriarchen offen legen, etwa indem er an dem Image des erfolgreichen Unternehmers kratzt.

    "Tatsächlich hat er die Firma Krupp dreimal praktisch gegen die Wand gefahren, und nur durch äußerst glückliche Umstände ist die Firma jedes Mal wieder gerettet worden. Die Leistung von Beitz bestand darin, dass in den Publikationen, die er immer kontrolliert und gesteuert hat, das Überleben des Krupp-Konzerns hervorgehoben wird, während das vorausgegangene Versagen des Konzernlenkers gnädig in den Hintergrund gerückt wird."

    Der Krupp-Konzern stand freilich im Verlauf seiner 200-jährigen Geschichte häufiger kurz vor der Pleite. Schon der Firmengründer Friedrich Krupp war als Unternehmer ein Versager. Von den fünf Familien-Mitgliedern an der Spitze der Firma war nur Friedrichs Sohn Alfred wirklich erfolgreich. Unter der Führung von Berthold Beitz erlangte Krupp wieder Weltgeltung und erfand sich als ziviler, auf Anlagenbau spezialisierter Konzern gewissermaßen neu. Immerhin überführte der Generalbevollmächtigte Beitz das Familienunternehmen 1967 in eine Stiftung und sorgte so dafür, dass der Name unter der Bezeichnung ThyssenKrupp heute überhaupt noch existiert.
    Norbert F. Pötzl verschweigt in seiner gut lesbaren, flott geschriebenen Biografie keineswegs die Leistungen des Konzernlenkers, zum Beispiel als Strippenzieher im internationalen Handel oder Wegbereiter der Ostpolitik. Aber der Autor zeigt Beitz vor allem als einen Mann der Widersprüche, der im Zweiten Weltkrieg als junger Direktor der "Karpathen-Öl" im besetzten Polen vielen verfolgten Juden das Leben rettete, in den 1950er-Jahren als Krupp-Manager aber hartleibig auftrat, als der Konzern ehemalige Zwangsarbeiter entschädigen sollte. Ebenso merkwürdig findet Pötzl, dass Beitz, den Israel als "Gerechten unter den Völkern" auszeichnete, in der frühen Bundesrepublik ohne Not die Nähe von einstigen Hofschranzen des NS-Regimes suchte.

    "Am Erstaunlichsten war für mich ja die Erkenntnis, dass der Judenretter Beitz, der mit menschlichem Mut und aus gewiss unpolitischen Motiven dem Holocaust ein Stück Widerstand entgegen gesetzt hatte, dass derselbe Beitz sich nach dem Krieg in der Gesellschaft alter Nazis so wohl gefühlt hat."

    Berthold Beitz erzählte in der Öffentlichkeit wenig aus seinem Leben und gab nur selten Interviews. Was manche als Zurückhaltung oder Bescheidenheit interpretieren, beschreibt Pötzl als Bestreben des Krupp-Patriarchen, an der eigenen Legende zu stricken. Beitz versucht bis heute, so der Autor, negative Berichte zu beeinflussen oder zu verhindern. Davon ließ sich Pötzl nicht mehr schrecken, nachdem der erste Versuch einer Lebensbeschreibung fehlgeschlagen war. Er fördert interessante Episoden ans Tageslicht, zum Beispiel Golo Manns Scheitern als Krupp-Biograf; und er hakt dort kritisch nach, wo andere Beobachter – darunter Joachim Käppner in seiner vor einem Jahr erschienenen umfangreichen Beitz-Biografie - großzügig weggesehen haben. Und so fragt Pötzl etwa, warum ausgerechnet der ehemalige SS-Obersturmbannführer Otto Skorzeny in den 1950er Jahren als Repräsentant des Krupp-Konzerns in Südamerika auftrat? Und musste Beitz ausgerechnet enge Beziehungen mit dem Schah von Persien oder Erich Honecker pflegen? Berthold Beitz‘ Leben bewegte sich, so der Autor, zwischen Leistung und Legendenbildung, Heldenmut und Hochmut.

    "Er ist nach allem, wenn man Positives und Negatives zusammen zählt, immer noch eine faszinierende, überragende Gestalt des 20. Jahrhunderts. Er ist natürlich gerade auch durch sein langes Leben sehr begünstigt worden, verschiedene Epochen der deutschen Geschichte auch prägend mitzugestalten, das will ich überhaupt nicht schmälern. Aber man muss eben auch sehen, dass dieser große Mann auch ganz beträchtliche Schattenseiten hat."

    Manchmal schießt Norbert F. Pötzl in seiner Suche nach den Schattenseiten freilich übers Ziel hinaus, etwa wenn er das Kuratorium der Krupp-Stiftung wegen des hohen Altersdurchschnitts mit dem Politbüro der SED vergleicht, oder wenn er Berthold Beitz eine Verwicklung in die Affäre um die ermordete Frankfurter Prostituierte Rosemarie Nitribitt nachzuweisen versucht. Beitz habe, so der Autor, Schweigegeld an einen Freund der Ermordeten gezahlt, damit Harald von Bohlen und Halbach nicht öffentlich als Freier der Prostituierten genannt wurde. Abgesehen von solchen Invektiven liefert Pötzl mit seiner Darstellung ein notwendiges Korrektiv zu den bisherigen wohlwollenden Annäherungen an die Jahrhundertgestalt Berthold Beitz.

    Norbert F. Pötzl: "Beitz. Eine deutsche Geschichte", Heyne Verlag, 512 Seiten, 22,99 Euro, ISBN: 978-3-453-17955-4