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Mannheim setzt auf Autoren-Theater

Was macht eigentlich gerade Herbert Achternbusch? Jetzt kommt ein Stück von ihm auf die Mannheimer Bühne. Das Schauspiel Mannheim lässt die Uraufführungen nur so rasseln. Mit dabei ist auch Gesine Dankwart und der junge Christoph Nußbaumeder. Die erste Spielzeit des neuen Intendanten Burkhard C. Kosminski ist geprägt vom Autorentheater: Lauter Uraufführungen.

Von Christian Gampert |
    Der alte Traum: Das Theater in Bewegung setzen, mitten ins Leben, in die Stadt hinein fahren, um dort ganz andere Spielformen auszuprobieren. Gesine Danckwarts Straßenbahn-Projekt "Müller fährt" ist ein enorm aufwendiges Unternehmen: wie eine Schülerschar werden die Zuschauer gruppenweise einem Fremdenführer anvertraut, sie bekommen Kopfhörer übergestülpt - und erleben die Straßenbahnfahrt durch das abendliche Mannheim nun als akustische Doku-Fiction, als Collage poetischer Assoziationen, journalistischer Interviews mit Passanten und Straßenbahnführern, als Abfolge möglicher Geschichten. Immer wieder tauchen als Fixpunkte Schauspieler auf, zunächst kaum von Alltagspersonen zu unterscheiden; in der tristen, stillgelegten Geschäftspassage unter dem Wohnturm des Collini-Centers, wo wir aussteigen, erleben wir seltsame Kontaktversuche an einer Theke, und am Ende, im Straßenbahn-Depot, wird sich das amouröse Suchen natürlich als Geschichte des Sich-Verfehlens herausstellen.

    Die Idee ist nicht neu, die Gruppe "Rimini Protokoll" hat solche ins Soziale eingreifenden Projekte schon oft veranstaltet. Neu ist allerdings die Konsequenz, mit der Gesine Danckwart die Stadtkulisse mit ganz subjektiven, literarischen Satzfetzen bepflastert und uns - en passant - die Möglichkeiten eines Orts aufschließt.

    Bedenkenswert ist auch das Konzept des neuen Mannheimer Schauspieldirektors Burkhard C. Kosminski, einen Großteil des Spielplans nicht mehr mit Klassikern, sondern mit frischen, gerade geschriebenen oder erst noch zu schreibenden Stücken zu bestreiten - das (hohe) Risiko des Scheiterns immer inbegriffen. Gesine Danckwarts Straßenbahnfahrt ist weniger ein Stück, sondern vor allem ein fulminantes Hörspiel geworden, aber die Dramaturgie des Hauses wollte genau so ein Unternehmen. Die Mannheimer gehen direktemang auf Autoren zu, bieten Themen an oder betreuen Arbeiten, die erst im Entstehen begriffen sind. Die Freunde und Förderer des Theaters finanzieren viele dieser Projekte - man will die Gegenwartsdramatik eng an die Arbeitsprozesse des Hauses binden, sagt Chefdramaturg Ingoh Brux:

    "Damit meinen wir eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit Autoren. Dass wir auch Autoren anregen, Stücke zu schreiben. Dass wir in jeder Spielzeit einen Hausautor haben. Der augenblickliche Hausautor Reto Finger wird für uns auch in der übernächsten Spielzeit ein Stück schreiben, und mit Christoph Nußbaumeder werden wir auch weiter zusammenarbeiten."

    Nußbaumeder, der bislang eher mit volksstückhafter Genauigkeit aufgefallen war, schrieb für Mannheim mit den "Offenen Türen" soeben eine etwas reißbrett-artige Vater-Sohn-Konfrontation, bei der ein bigotter, für den Friedensnobelpreis (!) vorgesehener Alt-68iger und Dritte-Welt-Wohltäter vom video-filmenden Sohn in die Enge getrieben wird.

    Brux: "Der hat mehrere Fassungen geschrieben. Er war öfter hier, hat das Haus angeguckt. Man hat nicht ein fertiges Stück hingeknallt gekriegt, sondern hat mit ihm dann schon über den Text, die unterbelichteten Stellen diskutiert und geredet."

    Auf der Bühne ist das freilich - in der Regie von Christiane J. Schneider - alles sehr brav und überschaubar, ebenso wie die Mannheimer Uraufführung eines etwas älteren Nachwuchs-Dramatikers, dem die Kritikerin Christine Dössel im österreichischen Exil offenbar noch einen Text entrissen hat. Herbert Achternbusch, um diesen handelt es sich, hat der manischen Verarbeitung seiner Familiengeschichte ein weiteres Kapitel hinzugefügt: Den Dialog des noch ungeborenen Fötus Achternbusch mit der abtreibungswilligen Mutter. Die Aufteilung des gewohnt anarchisch dahintreibenden Redestroms auf zwei Personen hat allerdings erst der Regisseur Burkhard C. Kosminski besorgt - dem aber eine historische Erdung des Stücks in der Nazizeit nicht gelingt.

    Ein wenig wirkt die Uraufführung (mit dem famosen Rüdiger Hacker als bier-stürzendem Achternbusch-Ersatz) wie die Reanimation einer schönen bundesrepublikanischen Siebziger-Jahre-Leiche. Aber man soll nicht schlecht reden über das, was man einst geliebt hat: Achternbusch und sein produktives Film- und Stücke-Chaos sind allemal wiederentdeckenswert, und auch eine Reise zum neuen Mannheimer Autoren-Theater lohnt unbedingt. Erster Mannheimer Hausautor war bekanntlich Friedrich Schiller. Die Heutigen werden sicher noch ein wenig wachsen.