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Mannheim
Vier Saddam Husseins im Sufiröckchen

Nach vielen Enttäuschungen nahm das von Matthias Lilienthal kuratierte Festival "Theater der Welt" noch mal richtig Fahrt auf - mit einer skurrilen Saddam-Performance aus Israel und zwei überwältigenden Tanzaufführungen von Anne Teresa de Keersmaeker.

Von Christian Gampert |
    Künstler in Mannheim beim Bemalen einer Holzkonstruktion für das Festival "Theater der Welt"
    Trotz guter Vorbereitungen gab es beim Festival "Theater der Welt" in Mannheim doch zahlreiche Enttäuschungen, meint Christian Gampert. (picture alliance / dpa)
    Reden wir also nicht über die neumodischen Kindertümeleien des Philippe Quesne, der unsere lieben Kleinen auf die Bühne stellt und mit Schaumstoffklötzchen werfen lässt; reden wir auch nicht über Manuela Infante und ihr Teatro de Chile, die uns zwei angeblich überlebende Indios eines angeblich ausgestorbenen Stammes aus Feuerland als Imbezile vorführen, um dann die Ethnologen als die eigentlich Wahnsinnigen zu entlarven.
    Theater der Political Correctness
    Diese Art von Vorlesungstheater ist einfach nur pseudokomisch, lehrhaft und öde, und dass das Ganze aus Südamerika kommt, zeigt uns nur, dass edle Einfalt weltweit verbreitet ist. "Theater der Welt" heißt das Festival, es hätte über weite Phasen auch "Theater der Political Correctness" heißen können.
    Reden wir über diejenigen, die aus dem Mainstream ausscheren und die eine theatrale Idee haben. Yonatan Levy aus Tel Aviv überraschte mit einer musikalischen, völlig durchchoreografierten Performance, die sich in litaneihaften, dadaesken Lobgesängen auf Israels ehemaligen Hauptfeind Saddam Hussein ergeht. Levy macht sich die Tatsache zunutze, dass Saddam sich aus Sicherheitsgründen zum Teil von Doppelgängern vertreten ließ, und lässt gleich vier Saddams auftreten - im Sufiröckchen.
    Mächtige werden lächerlich gemacht
    Man wird mit Weihrauch empfangen, auf Gebetsteppichen hocken Musiker und spielen Arabisches, und zwischen ständigen Erschießungen hören wir eine einstündige Ode, die die Vorzüge der Saddam-Diktatur preist und nebenbei auch George Bush mit Öl einschmiert - eine Art spiritistische Sitzung, die die Mächtigen lächerlich macht, indem sie sie poetischen Unsinn reden lässt.
    Sag "Wow" zur Tyrannei! Dies ist das Motto, und diese theatrale Umarmungs-Taktik ist ungemein wirksam. Man mag einwenden, dass dies auch eine Form des Nicht-Ernstnehmens ist - schließlich war Saddam Hussein ein Massenmörder. Aber hier geht es mehr um die Mechanismen von Diktatur und Subalternität - und um deren religiöse Verkleidung. Yonatan Levy ist ein Sprach- und Ritualkünstler, ein Hoherpriester des Dada und der Ironie, der christliche Ikonographie, islamische Moschee-Atmosphäre und auch das Pathos der israelischen innenpolitischen Rhetorik wild mixt. Und dann seine Saddams wieder hingebungsvoll singen lässt und sagt: Das alles ist doch nur ein surrealer Spaß, der leider einen ernsten Kern hat...
    Anne Teresa de Keersmaeker als überzeugender Schlusspunkt
    Mit den Auftritten der Anne Teresa de Keersmaeker hat Kurator Matthias Lilienthal an diesem letzten Festival-Wochenende dann einen überzeugenden Schlusspunkt gesetzt. Natürlich muss so ein Festival eine Vielfalt von Tendenzen präsentieren (wobei sich die Frage stellt, ob denn tatsächlich nur ein einziger Kurator die Auswahl treffen soll). Aber während man im Theater mittlerweile auf jede denkbare Idiotie gefasst sein muss, ist im Tanz ein Minimum an Technik, Handwerkszeug und dramaturgischer Präzision geboten. Das gilt sowohl für Eisa Jocson aus Manila, die auf einem Laufsteg die Posen sich feilbietender Dritte-Welt-Machos dekonstruierte, als auch für das Düsseldorfer Ensemble der Sabine Seume, die zu den Goldberg-Variationen lauter kindergerechte Themen vertanzte.
    De Keersmaekers Ensemble Rosas" zeigte das detailgenaue musikalische Gespür dieser Ausnahme-Choreografin zunächst mit "Vortex Temporum", einem zum Teil nervös in den Obertönen flimmernden Spätwerk des 1998 verstorbenen Gérard Grisey. Der "Zeitwirbel", den diese Musik entfacht, wird vielfach gebrochen in die Körper der Tänzer übersetzt, die sich quasi auf Umlaufbahnen bewegen und mit den Musikern interagieren. Bachs Partita Nr 2, die de Kaersmaeker zusammen mit dem viel jüngeren Boris Charmatz als Duo, als Dialog zweier Stimmen tanzt, begleitet und angetrieben von der unglaublichen Violinistin Amandine Beyer, war dann der Höhepunkt des gesamten Festivals: eine Mischung aus heiliger Messe und durchstrukturierter tänzerischer Leichtigkeit. Die Ernsthaftigkeit, mit der hier jemand die abstrakten Muster von Bach freilegt und in eine ebenso abstrakte heutige Körpersprache bringt, ist wegweisend. De Keersmaeker ist der Maßstab. Vor allem ihretwegen verlässt man Mannheim halbwegs versöhnt.