
Doris Schäfer-Noske: "Ich bin ein Mansfeldisch Kind" hat Martin Luther in einem Brief geschrieben – 1545, also ein Jahr vor seinem Tod. In Mansfeld hat Luther seine Kindheit verbracht. 13 Jahre wohnte er dort, und damit ist Mansfeld nach Wittenberg auch der Ort, an dem Luther die längste Zeit gelebt hat. Als Luther ein Kind war, da hat der Bergbau die Menschen in Mansfeld ernährt. Luthers Vater arbeitete auch als Hüttenmeister.
Nun ist das Elternhaus von Martin Luther saniert und mit einem neuen Ausstellungsgebäude als Museum eröffnet worden. Das Mansfelder Luther-Haus ist das vierte in Sachsen-Anhalt: Es gibt nämlich noch ein Luther-Haus in Wittenberg und ein Geburts- und ein Sterbehaus in Eisleben.
Frage an Stefan Rhein, den Direktor der Stiftung Luther-Gedenkstätten: Herr Rhein, wie ergänzen sich denn diese vier Luther-Häuser?
Stefan Rhein: Mansfeld füllt in der Tat eine Lücke, denn den Reformator Martin Luther, den kann man natürlich in Wittenberg kennen lernen. Den Reformator, der stirbt, der geboren wird, der lässt sich wunderbar in Eisleben erleben. Aber die Zeit, die ihn geprägt hat, also Kindheit und Schulzeit, da gibt es bislang überhaupt gar keinen Ort, weder in Sachsen-Anhalt, noch darüber hinaus. Diese prägenden Jahre der Kindheit und der Schulzeit, die werden erstmals in Mansfeld vorgestellt.
Schäfer-Noske: Welche Prägungen hat denn Luther während dieser 13 Jahre erfahren? Welchen Einfluss hatten die Eltern, die Schule oder auch die Kirche auf ihn?
Rhein: Wenn wir mit der Kirche beginnen: Mansfeld ist natürlich der erste Ort, wo er die ersten auch Begegnungen mit Kirche hatte. Er singt dort, er ist dort Ministrant, er erlebt die katholische Kirche ja in ihrer Pracht, gewiss auch mit ihren Zwängen.
Zwänge erlebt er auch sehr stark in der Schule. Er beschreibt diesen sehr strengen Unterricht, der ganz auf das Auswendiglernen orientiert ist. Er erzählt auch später von Prügelstrafen. Und manchmal, wenn man dann spätere Überlegungen Luthers zur Pädagogik liest, ja da hat man fast diese Prügelpädagogik im Hinterkopf, denn er sagt: Nein, es muss ein freies Lernen sein, es muss ein vielfältiges Lernen sein, es darf nicht geprügelt werden. Also der fast modern anmutende Pädagoge Luther überwindet seine Mansfelder Schuljahre.
Schäfer-Noske: Und wie kann man das jetzt in dem Luther-Haus erfahren, sehen, nachlesen?
Rhein: Wir versuchen, die Beziehungen Luthers zu seiner Heimatstadt Mansfeld durchzuspielen. Da ist natürlich erst mal die Stadt Mansfeld. Hier hat er sich immer verbunden gefühlt. Das ist seine Heimat. Er hat eine große Loyalität zu den Mansfelder Grafen, nicht ohne Grund geht er ja noch kurz vor seinem Tod nach Mansfeld, nach Eisleben zurück, um zwischen den Grafen – das sind verschiedene Linien – zu vermitteln.
Aber was das Faszinierende an der Mansfelder Ausstellung ist, das sind die archäologischen Funde zum Alltagsleben der Familie. Man hat ja zwischen 2003 und 2007 sehr große archäologische Grabungen rund um das Elternhaus gemacht und hat dort eine Abfallgrube gefunden. Und im Abfall, da liegen Speisereste, da liegen Kleiderreste, da kann man rekonstruieren, welches Geschirr die Familie hatte, da kann man rekonstruieren, welchen Speiseplan sie hatten. Ja man hat sogar Murmeln gefunden, mit denen der kleine Martin gespielt hat. Auch die lassen sich erstmals in Mansfeld jetzt blicken.
Schäfer-Noske: Diese Dinge, die Sie gefunden haben, stammen alle aus dem 16. Jahrhundert?
Rhein: Ja, sie sind alle datiert auf Ende des 15. Jahrhunderts. Man hat nämlich auch noch Münzen gefunden. 1484 ist ja die Familie nach Mansfeld gezogen und 13 Jahre hat der kleine Martin dort gelebt, und genau aus dieser Zeit ist diese Abfallgrube.
Schäfer-Noske: Sie haben auch noch über das Essen gesprochen. Was hat man da denn herausgefunden?
Rhein: Das ist ein ganz reicher Speiseplan. Das ist ganz erstaunlich. Was hat man alles dort gegessen? Das sind Süßwasserfische, da sind aber auch Fische von weit hergebracht worden, für uns ganz fremd. Das sind auch Singvögel, man hat damals auch Singvögel gefangen. Das hat übrigens Luther auch noch hier in Wittenberg gemacht. Es gab Vogelsteller. Es gab natürlich auch Huhn, es gab Fleisch, sei es Rind, sei es Schwein. Es gab natürlich auch sehr viele Weizengerichte, Gerstegerichte. Das ist ganz interessant, weil man natürlich auch diese ganzen Speisereste, die nicht alle in dieser Abfallgrube vergammelt, verkommen sind, immer noch in Resten finden kann.
Schäfer-Noske: Und daraus dann eben Schlüsse auf das Leben, auf den Alltag des Kindes Martin Luther ziehen kann.
Rhein: Natürlich! Luther hat sich bisweilen inszeniert als Sohn armer Leute. Offensichtlich wollte er auch seinen sozialen Aufstieg etwas unterstreichen. Das heißt, diese Familie Luther, das war eine Unternehmerfamilie.
Schäfer-Noske: Das heißt, es war doch eine wohlhabende Familie, aus der er stammte?
Rhein: So ist es! Das kann man an dem Haus ersehen, das kann man an den Speiseresten sehen, das kann man an den Kleiderresten sehen. Also das war eine Familie, die sich übrigens dann auch durch Heirat fast in das Patriziat dieser Landschaft hineingeheiratet hat. Übrigens hat auch der Vater für seinen erstgeborenen Martin eine Frau schon ausgesucht gehabt. Vielleicht ist er auch deswegen ins Kloster geflohen.
Schäfer-Noske: Das war Stefan Rhein, Direktor der Stiftung Luther-Gedenkstätten, über das neue Luther-Haus in Mansfeld.
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