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Manteltiere decken den Tisch

Biologie. - In der Nahrungsbilanz der Tiefsee klafft eine große Lücke. Dort leben viel mehr Tiere als nach bisherigen Angaben ernährt werden könnten. In der aktuellen "Science" berichten US-Forscher von einer bislang unbekannten Nahrungsquelle.

Von Dagmar Röhrlich |
    Die zarten Tunikaten leben im Meer. Spektakulär wirken sie mit ihren durchsichtigen Walzenkörpern wirklich nicht, dabei gehören sie zu den nächsten Verwandten von uns Wirbeltieren. Zu den Tunikaten zählen auch die geschwänzten Manteltiere, die frei im Wasser schwimmen und kleine Nahrungspartikel heraus filtern. Und damit die Mahlzeit reichlicher ausfällt, haben sie sich etwas einfallen lassen: Sie bauen fragile Häuser aus Schleim. Die größten stammen von einem etwa zeigefingerlangen Tier:

    "Bathochordaeus charon baut große Schleimhäuser, die mehr als einen Meter Durchmesser haben können. Diese Netze, die äußerst fein aufgebaut sind, halten größere, störende Partikel aus dem Meerwasser zurück und lassen - wie ein Sieb - nur die kleinen zum Mund durch, die Bathochordaeus fressen kann."
    Rob Sherlock vom Forschungsinstitut des Monterey Bay Aquarium. Wie schützende Schleier schweben die Netze um die Tiere herum. Sie filtern damit so lange das Wasser, bis sie mit zu großem Plankton verstopft sind. Sherlock:

    "Wir haben untersucht, was dann passiert. Die Tiere stoßen ihr altes Haus ab und "bauen" ein neues. Das passiert - je nach Nahrungsangebot - ein- bis zweimal am Tag. Ihre abgestoßenen Häuser jedoch sinken zum Meeresboden. Sie bestehen selbst aus organischem Kohlenstoff und sind ja vollgestopft mit zahllosen anderen organische Partikeln. Alles klebt im Netz und sinkt mit hinab."
    Je tiefer sie kommen, um so mehr drückt der wachsende Umgebungsdruck die zarten Häuser zusammen. Sherlock:

    "Sie sinken dann schnell ab, 800 Meter pro Tag sind problemlos möglich, wobei sie noch mehr Partikel aufsammeln, die an ihnen kleben bleiben."
    Den Boden erreichen die fressbaren Kugeln als willkommene Speisung für die immer hungrigen Finsterlinge der Tiefsee. Wie die Forscher im Lauf ihrer zehnjährigen Untersuchung beobachten konnten, tun sich vor allem Isopoden, also Meeresasseln, an ihnen gütlich - und die werden dann selbst wieder von anderen verspeist. Sherlock:

    "Wir wissen seit langem, dass die von uns gemessene Biomasse, die die Tiefsee unterhalb von 1000 Metern erreicht, bei weitem nicht ausreicht, um die Lebewesen dort unten zu ernähren. Zwischen Nachschub und Bedarf klafft eine Riesenlücke von geschätzt 50 Prozent. Die absinkenden Häuser der Manteltiere sind anscheinend einer der fehlenden Puzzlesteine, nach denen wir lange gesucht haben."

    In der Bucht von Monterey schaffen die abgestoßenen Häuser noch einmal die Hälfte dessen an fressbarem Kohlenstoff nach unten, was aus allen anderen Quellen zusammen bekannt ist. Die Lücke schrumpft also auf etwa 25 Prozent: Die Häuser sind damit eine wichtige Nahrungsquelle, die bislang schlicht übersehen worden ist: Der Grund dafür ist einfach. Sherlock:

    "Diese Häuser sind sehr zerbrechlich und empfindlich. Wir können sie nur mit einem ferngesteuerten Tauchboot einfangen - und auch da gelingt nur einer von vier Versuchen, obwohl unsere Piloten sehr geübt sind. Die kleinste Wasserbewegung reicht, um sie zu zerreißen. Traditionelle Methoden wie Sedimentfallen zum Einsammeln von herabsinkendem Plankton versagen hier total. Deshalb blieb die Bedeutung der Manteltier-Häuser bislang unerkannt."
    Die Geschwänzten Manteltiere sind die Häuslebauer des Meeres. Und es gibt viele verschiedene Arten, von ganz klein bis eben fingergroß mit ebenso unterschiedlichen Häusern, die sich in diversen Lebensräumen wohl fühlen. Und sie alle stoßen regelmäßig ihre Schleimhäuser wieder ab. Anscheinend spielen die fragilen Tiere eine große Rolle im Kohlenstoffkreislauf der Meere - und sie decken den Tisch für die Tiere der Tiefsee.