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Manuskript: Böen ins Netz!

Die Energiepolitik in Berlin bietet derzeit das Bild vom Zauberkünstler, der die Geister nicht mehr los wird, die er rief: Vor einem Jahr läutete die konservative Regierung die Energiewende ein, indem sie die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke zurücknahm. Seitdem ist klar: Schon die nahe Zukunft gehört den Erneuerbaren. Doch statt das Energiesystem mutig ins neue Fahrwasser zu steuern, versuchen allzu viele Politiker, sich gegen das Ruder zu stemmen und die Wende aufzuhalten. Ein beliebtes Argument dabei: Die Stromnetze könnten den erneuerbaren Strom in der Menge gar nicht verkraften. Techniker und Forscher setzen stattdessen auf einen anderen Weg: Sie entwickeln Komponenten, mit denen die Erneuerbaren Energien selbst das Stromnetz sichern. Diese könnten sehr viel schneller aufgebaut werden und das Netz durch stürmische Winter und heiße Sommer leiten - und den Umstieg auf Wind und Solarkraft beschleunigen.

Von Sönke Gäthke |
    Das Ziel ist klar, und beim Ziel sind sich alle einig. Angela Merkel:

    "Wir wollen das Zeitalter der Erneuerbaren Energien erreichen."

    Christian Schneller: "Was sich auf jeden Fall verändert hat, ist, dass wir heute in Deutschland auf jeden Fall einen politischen Konsens haben, wie seit Jahrzehnten nicht mehr."

    Angela Merkel: "Zentrale Säule der zukünftigen Energieversorgung sollen die Erneuerbaren Energien werden."

    Gerd Rosenkranz: "Und trotzdem sieht jeder, wie in der Öffentlichkeit diskutiert wird, als würde alles zusammenbrechen."

    Januar 2012: Der Wirtschaftsminister will die Solarenergie bremsen. Begründung: Zu teuer. Und stromnetzgefährdend.

    März 2012: Tennet kann keine Stromkabel mehr zu den Offshore-Windpark legen. Die Politik zögert mit Rettungsmaßnahmen. Begründung: Zu teuer.

    August 2012: Rainer Brüderle will den Ausbau der Windkraft aussetzen. Begründung: Zu teuer, zu stromnetzgefährdend.

    Angela Merkel: "Die Energiewende ist, so wie wir sie beschlossen haben, machbar."

    So klang die Kanzlerin. Vor einem halben Jahr, kurz nachdem sie den Umweltminister Norbert Röttgen durch Peter Altmaier ersetzt hatte. Sie wollte Zuversicht verbreiten. Doch so richtig kam sie bei ihren Mitstreitern offenbar nicht an. Die arbeiten seit über einem Jahr daran, die Energiewende zu bremsen. Zentrales Argument: Die Wende belaste das Energiesystem übermäßig, die Netze kämen nicht mit. Also sollten erst einmal weniger Windräder und Solarzellen aufgestellt werden.

    Jochen Homann: "Ich würde das anders formulieren, ich sage immer: Es muss eine Synchronisation her zwischen Netzausbau auf der einen Seite und Ausbau der Erneuerbaren auf der anderen Seite."

    Das ist die offizielle Lesart, sie soll nach beiden Seiten offen klingen.

    Christian Schneller: "Das sollte in erster Linie bedeuten, dass wir den Netzausbau beschleunigen, und dort, wo das nicht möglich ist, in der Tat, stellt sich die Frage der Ausbaugeschwindigkeit bei den erneuerbaren Energien."

    Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur, und Christian Schneller vom Netzbetreiber Tennet. Viele Wind- und Solaranlagenbauer sind besorgt – Hermann Albers etwa, Präsident des Bundesverbandes Windenergie EV.

    "Eine Forderung der Netzbetreiber alarmiert uns zuhöchst, und sie würde in eine Sackgasse führen, nämlich zu verlangen von der Bundesregierung, dass das Tempo der Energiewende beim Zubau der Erneuerbaren Energien sich daran orientiert und sich danach zu richten habe, wie private Aktiengesellschaften Netze ausbauen oder es eben nicht tun. Das heißt, Netzbetreiber, die den Netzausbau nicht beschleunigen, werden dafür belohnt, dass es weniger wettbewerbliche Energie aus erneuerbaren Energien gibt. Das führt in der Tat in die falsche Richtung."

    Besser wäre es, die Stromnetze nicht einfach nur massiv auszubauen, sondern intelligent umzubauen. Experten sind sich sicher: Das geht.

    Das Stromnetz heute. Gesteuert wird es von vier Zentralen aus, die wichtigste steht hier in Brauweiler bei Köln – eine Halle groß wie zwei Einfamilienhäuser mit gerade einmal zwei Mitarbeitern; der Boden mit Teppich ausgelegt, zwei große Schreibtische aus hellem Holz, eine Wand ein Fenster, eine andere ein Bildschirm: Vier Meter hoch, sechzehn Meter breit. Nur ganz selten lässt der Netzbetreiber Amprion Journalisten in diese heilige Halle.

    Christoph Schneiders: "Wir sehen hier auf dem Rückmeldebild unser Netzgebiet, das Netzgebiet erstreckt sich vom Raum Emsland/Osnabrück bis runter nach Österreich, in Österreich und die Schweiz, mit Übergabestellen Richtung Niederlande, Luxemburg ist teilweise Teil unseres Netzgebietes."

    Christoph Schneiders von Amprion beschreibt den gewaltigen Wandbildschirm, der in farbigen Linien das gesamte Netz abbildet. Und obendrein noch zeigt, wie stark die einzelnen Stromleitungen ausgelastet sind.

    "Und man sieht da ja auch schon hier die Haupt–… eine der Haupt-Nord-Süd Trassen, die Mittel-Rhein-Leitung in Brauweiler West, wir sehen zum Beispiel auch gerade sehr hoch ausgelastet, die blinkenden, numerischen Werte sind eben Zeichen dafür, das hier schon mal ein Schwellwert, ein Warnwert überschritten worden ist."

    Aufmerksamkeit ist also angesagt. Und Konzentration. Ein Computer checkt jede Stunde, ob alle Stromleitungen im Netz noch stabil sind. Das ist die eine Sache, auf die die Schaltingenieure achten. Schneiders:

    "Das Thema Ausgleich der Leistungsbilanz, dass heißt, können wir den Verbrauch in unserer Regelzone decken, mit der Erzeugung, das stellen wir sicher mit der Leistungs-Frequenz Regelung, da können wir vielleicht mal hier rüber gehen…"

    Schneiders wendet sich von der Mitte der Wand nach rechts und geht fast bis zum Rand des Bildschirms. Leistungsbilanz bedeutet: Erzeugen Sonne, Wind und Kraftwerke zu jeder Sekunde genug Strom, um den Verbrauch zu decken? Ob Erzeugung und Verbrauch im Gleichgewicht sind, erkennen die Ingenieure an der Frequenz, mit der der Strom im Stromnetz schwingt: 50 mal in der Sekunde sind das in Europa. Schneiders bleibt unter einem Zeigerdiagramm auf dem Bildschirm stehen.

    "Wir haben hier bei diesem Zeigerdiagramm links die Netzfrequenz in Europa in der Regel 50 Hertz, und dann messen wir die Abweichung von der aktuellen Frequenz, die Netzfrequenz."

    Alle Stromnetze in Europa hängen zusammen. Die Ingenieure können daher hier sehen, ob in Spanien ein Kraftwerk ausfällt. Ist alles in Ordnung, zeigt die Nadel nach oben – so wie jetzt. Steigt der Verbrauch, neigt sie sich nach rechts – die Frequenz sinkt.

    "Dann setzen wir Regelkraftwerke ein, das sind Kraftwerke, die eben sehr schnell Leistung hoch oder absenken können, Leistung hochfahren können."

    Binnen 30 Sekunden müssen diese Kraftwerke zwei Prozent mehr Strom liefern können als gerade im Netz sind. Und das müssen sie eine Viertelstunde lang durchhalten, bis die langsameren Kraftwerke hinterher gekommen sind. Dass die Erneuerbaren Energien das nicht können, und obendrein die Stromnetze mit ihrem Strom verstopfen – ungefähr dieses Bild ist es, was Politiker nutzen, wenn sie fordern:

    Jochen Homann: "Es muss eine Synchronisation her zwischen Netzausbau auf der einen Seite und Ausbau der Erneuerbaren auf der anderen Seite."

    Das muss aber nicht heißen: Netzausbau in großem Stil oder Bremse. Es gibt noch eine andere Lösung: Netz und Kraftwerke könnten auch intelligenter werden. Experten sehen hier durchaus Spielräume, und wollen Wind- und Solarkraftwerken beibringen, mitzuhelfen bei der großen Balance. Die Alternativen sollen lernen, das Stromnetz zu stützen wie die konventionellen Kraftwerke. Dann könnten diese häufiger abgeschaltet werden. Forscher und Ingenieure müssen dafür noch nicht einmal bei Null anfangen – sie arbeiten seit Jahren daran, den Windrädern beizubringen, wie diese das Netz balancieren können.

    Der erste Schritt:

    Jochen Kreusel: "Die ganz kurzfristige Stabilisierung des Systems."

    Flink und selbstständig balancieren.

    Eckard Quitmann: "... in Millisekunden."

    In Millisekunden reagiert kein Mensch. Aber in Millisekunden können sich theoretisch Verbrauch und Erzeugung im Stromnetz sehr stark verschieben. So stark, dass die Frequenz fast auf Null sacken oder in den Himmel schießen würde. Eckard Quitmann, Entwickler beim Windradhersteller Enercon:

    "Bisher sind im Europäischen Verbundnetz Tausende von Kraftwerken mit sehr großen, rotierenden Massen, und auch sehr viele Lasten mit rotierenden Massen, die sorgen dafür, dass, wenn irgendwo eine Störung auftritt, die Frequenz nicht schlagartig auf Null sinkt, sondern mit einem gewissen Gradienten abfällt."

    Diese Rotierenden Massen – Tonnenschwere Turbinen, Generatoren mit riesigen, schweren Kupferspulen, zig Elektromotoren und andere Verbraucher in der Industrie – haben eine ungeheure potenzielle Energie gespeichert: Generatoren und Turbinen zum Beispiel schleudern ihre Tonnengewichte 50 Mal in der Sekunde herum – und geben so den 50-Hertz-Takt des Stromnetzes vor: Sie erzeugen ihn. Und Tausende von Tonnen rotierendes Gewicht können nicht in Millisekunden zum Stehen kommen. Der Zeiger vom Frequenzdiagramm in der Netzwarte...

    Christoph Schneiders: "Wir haben hier bei diesem Zeigerdiagramm links die Netzfrequenz in Europa in der Regel 50 Hertz."

    ...bewegt sich daher nur langsam nach oben oder unten. Die Netzingenieure nutzen so – unausgesprochen - diese physikalische Eigenschaft

    Philipp Strauß: "um das Netz stabil und entsprechend träge zu machen, so dass es einfach zu regeln ist."

    Die Schwungmassen, so Philipp Strauß vom Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik in Kassel, sind also Baldrian für die Frequenz – und damit auch das Stromnetz.

    Das Problem:

    Jochen Kreusel: "Nun werden das immer weniger, weil wir ja mehr und mehr erneuerbare Einspeisung haben."

    Philipp Strauß: "Wenn wir uns Photovoltaikanlagen anschauen, dann haben wir keine Schwungmassen, die diese Energie inhärent zur Verfügung haben."

    Jochen Kreusel vom VDE und Philipp Strauß vom Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik, Kassel.

    Windräder, Biomasse-Generatoren und gasbetriebene Blockheizkraftwerke haben zwar Schwungmassen. Doch auch sie können das Potenzial drehender Rotorblätter oder Kolben nicht in Baldrian fürs Netz ummünzen. Windräder zum Beispiel unterscheiden sich von den Dampfturbinen in einem Punkt: Dampfturbinen lassen ihren Generator 50 Mal in der Sekunde drehen, damit der den Strom 50 Mal in der Sekunde schwingen lässt. Der so produzierte Strom darf ungefiltert ins Netz. Windräder können das natürlich nicht. Der Wind weht ja mal langsamer, mal schneller. Die Ingenieure haben daher einen Stromrichter entwickelt, der zwischen Windgenerator und Stromnetz gesetzt wird. Der richtet den Strom: Er wandelt den chaotischen Windstrom in schönen, gleichmäßigen Netzstrom um. Was heute noch fehlt: Irgendetwas, was einem Frequenzzucken Widerstand leisten könnte. Ingenieure und Forscher arbeiten daran.

    Eckard Quitmann: "Das ist das Stichwort der Massenträgheit oder der virtual inertia, der künstlichen Massenträgheit."

    Jochen Kreusel: "Und da halte ich es für sehr plausibel, dass man die dezentralen Elemente, und das sind sowohl Einspeiser als auch größere Verbraucher zukünftig so ausstatten kann, dass sie selbst auch auf Frequenzänderung stabilisierend reagieren."

    Philipp Strauß: "Durch die neuen Anlagen, die eben synthetisch diese Trägheit dem Netz aufprägen - damit gewinnt man Zeit. Man könnte sich sogar überlegen, das Netz noch träger zu machen, als es heute ist. Und damit noch stabiler und noch sicherer."

    "Ja, also diese Halle ist unsere Experimentierhalle für das Thema 'modulare Systemtechnik'. Hier geht es darum, dass wir viele verteilte Generatoren im Parallelbetrieb, im Netzbetrieb verwenden können, wir können experimentieren, wie die Netzregelung der Zukunft aussehen könnte."

    Durch eine Metalltür schreiten Reporter und Forscher in eine Halle. Rechts stehen - in Reih und Glied - graue Schränke. Das, erklärt Philipp Strauß, verbirgt sich in den grauen Kästen: Elektronik. Und diese Elektronik simuliert das Stromnetz: Einige Kästen treten auf in der Rolle der Windräder andere spielen Solarzellen, wieder andere die Stromrichter der beiden oder Verbraucher. Strauß:

    "Also, was wir hier machen ist folgendes: Wir wollen - wir bilden im Labormaßstab unser Europäisches Netz nach mit seinen Generatoren und Lasten, und können damit dann neue Netzregelungskonzepte ausprobieren."

    Natürlich fehlt bei dieser Simulation des Stromnetzes auch nicht die Rotierende Masse. Die steht zur Linken. Ein Motor mit einer Schwungmasse dran, der für dieses Labor die Eigenschaft des konventionellen Kraftwerks künstlich erzeugt: Baldrian fürs Netz zu sein. In diesem Labor haben die Kassler Forscher ausprobiert, ob ihr kleines, künstliches Stromnetz auch ohne die rotierenden Massen stabil läuft: Mit Hilfe der künstlichen Masseträgheit, virtual inertia in modernem Forscherdeutsch. Philipp Strauß:

    "Also, wenn ich einen Leistungsüberschuss im Netz habe, dann ist das eigentlich nichts anderes als dass die gesamten Maschinen im Netz die Frequenz nach oben treiben, wenn da nicht viele Maschinen sind, nicht viele Schwungmassen, dann geht also die Frequenz relativ schnell hoch, und wenn ich jetzt viele kleine Anlagen habe, die dann sozusagen automatisch diese Energie aufnehmen, oder weniger abgeben, dann erreiche ich eben genau diesen dämpfenden Effekt, den ich bisher aus den konventionellen Kraftwerken eben hatte."

    So funktioniert sie also: Die Kassler Forscher haben die Stromrichter der Windräder und Solarzellen mit Fühlern quasi versehen. Diese Fühler erspüren die Frequenz im Netz. Ändert sie sich, reagieren die Stromrichter blitzschnell, ändern ihre Stromlieferung, und stützen damit die Frequenz. Würden die Stromrichter der echten Windräder und Solaranlagen so programmiert sein, würden die Schaltingenieure keinen Unterschied spüren. Das haben die Versuche gezeigt. Strauß:

    "In der Leitwarte ist das überhaupt nicht sichtbar, das ist eigentlich eine Ergänzung aus dem Grund, dass wir viele Stromrichter in das Netz dazu bekommen, und jetzt bringen wir denen bei, dass die sich ähnlich verhalten wie Maschinen bisher."

    Bislang beruhigen konventionelle Kraftwerke das Netz. Damit sie langsam vom Netz genommen werden können, müsste nur die Leistungselektronik, die sowieso zu jedem Windrad oder Solarkraftwerk dazu geliefert wird, Frequenzmesser erhalten, und eine Programmierung, die die Elektronik in die Lage versetzt, ihre Leistung im Millisekundenbereich der Frequenz anzupassen. Eckard Quitmann:

    "Windenergieanlagen genauso wie Photovoltaikanlagen können heute schon dazu beitragen, das Netz zu stabilisieren,. Wenn die Frequenz zu hoch ist, dann können sie nämlich die eingespeiste Leistung reduzieren, das geht innerhalb von wenigen Sekunden, und damit einen Beitrag liefern. Schön."

    Und gerade erst in diesem Jahr hat der VDE – der für die Stromnetze die Normen festlegt – neue Bedingungen vorgestellt, wann ein Kraftwerk – auch ein Windrad oder eine PV-Anlage - vom Netz gehen darf und wann nicht -

    Jochen Kreusel: "Letztlich ist das schon ein Teil der – geht schon in die Richtung, weil dadurch, dass die Anlagen ja jetzt eine gestufte, oder eine kontinuierlicher gestreute Frequenzreaktion haben, tragen die natürlich schon zur Systemstabilisierung bei, also im Grunde genommen ist das schon ein Beispiel für das, was wir diskutieren."

    Mit einer ähnlichen Technik ließe sich übrigens auch die Spannung in den Netzen dezentral steuern. Technisch können die Erneuerbaren das Netz also sehr wohl stützen, meint Ronny Meyer von der Windagentur WAB.

    "Deswegen verstehen wir auch die Aussagen von Herrn Altmaier nicht."

    Dass es auf ein Mal viel zu schnell geht mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien,

    Der zweite Schritt:

    Speicher für die Balance

    Es braucht also nicht viel Innovation, damit Wind- und Solarkraftwerke ins Netz fühlen und ihre Leistung dezent anpassen, wenn zu viel Strom im Netz ist. Das ist eine Seite der Balance. Die andere ist: Was tun, wenn zuwenig Strom im Netz ist?

    Eckard Quitmann: "Dann braucht man zusätzliche Wirkleistung im Netz, die können Wind- und Solaranlagen, so wie sie heute gebaut werden, nicht so einfach zur Verfügung stellen, denn die arbeiten per se da drauf, dass sie das Maximum, was Wind und Sonne gerade hergeben, ins Netz einspeisen. Weil auch nur dafür werden sie bezahlt."

    Ist zuwenig Strom im Netz, können Wind- und Solaranlagen heute nicht helfen, das Stromnetz auszubalancieren. Das ist misslich. Doch Experten sehen zwei Auswege: der eine ist, nur 95 Prozent des erzeugten Stroms ins Netz zu speisen. Dann können Wind und Solarkraftwerke schnell mehr Energie liefern. Doch nicht alle Experten halten das für eine gute Lösung. Quitmann:

    "Nein – es ist nicht das einzige, das wäre ökonomisch für heutige Projekte mehr als gravierend, es wäre der Killer. Wenn Windparks zum Beispiel permanent auf 95 Prozent reduziert laufen würden, dann würde sich kaum noch ein Projekt hier in Deutschland rechnen. Die Banken würde so etwas nicht mehr finanzieren."

    Der andere Ausweg wären Energiespeicher. Das können Batterien sein, das können aber auch rotierende Massen sein – wie bei den konventionellen Kraftwerken die tonnenschweren Generatoren. So etwas gibt es auch bei den Erneuerbaren: Die tonnenschweren Rotoren der Windräder. An die hier in der Bewegung gespeicherte Energie kamen die Ingenieure bis jetzt jedoch nicht heran. Aber Eckard Quitmann von Enercon hat doch einen Weg gefunden.

    "Unsere Windanlagen können so etwas wie künstliche Massenträgheit bereitstellen, die ist ähnlich der physikalischen Massenträgheit, sie ist aber nicht identisch."

    Er hat die Stromrichter für die Windräder zusätzlich mit Frequenzfühlern versehen. Fällt die Frequenz unter 50 Hertz, dann kann die Elektronik sehr schnell aus dem Windrad zusätzliche Leistung herausholen

    "Indem wir den Generator als elektrische Bremse benutzen und den Rotor stärker abbremsen als der Wind ihn antreibt. In der Summe kommt dann mehr Leistung raus als wir im Moment davor hatten, das können wir aber nur für einen begrenzten Zeitraum. Wenn wir das ungefähr zehn Sekunden lang gemacht haben, dann ist der Rotor inzwischen ungefähr schon so weit verlangsamt, dass Ihnen die aerodynamischen Prozesse am Rotorblatt irgendwann zusammenbrechen würden quasi, und dann fehlt der Antrieb komplett."

    Der Entwickler will allzu große Hoffnungen noch dämpfen: eine ganz genaue Nachbildung der rotierenden Massen im Netz könne seine Entwicklung nicht sein – dafür sei sie nicht schnell genug.

    "Die physikalische Massenträgheit hat die Eigenschaft, dass sie sofort da ist, in weniger als Millisekunden, das, was wir heute mit der Technologie können, ist in Sekundenbruchteilen, aber eben nicht in weniger als Millisekunden, das sind immer noch Unterschiede."

    Und deshalb würde ein Netzingenieure wohl auch ein Zucken in der Frequenz bemerken. Die in den rotierenden Massen der Windradrotoren gespeicherte Energie hat auch noch einen zweiten Unterschied zu der in konventionellen Kraftwerken gespeicherten: Windräder drehen sich nicht jeden Tag gleich schnell. Mal weht mehr Wind, mal weniger. Und so schwankt denn auch der mögliche Beitrag der Windräder für die Netzbalance von Stunde zu Stunde. Besser wäre es jedoch, wenn die Erneuerbaren jeden Tag den gleichen Beitrag zur Balance liefern könnten.

    Clemens Triebel: "Das ist das, was wir in der Halle gemacht haben, wir haben die Insel Graciosa im Maßstab 1:3 nachgebaut, um die ganzen technischen Probleme, die entstehen, wenn man jetzt einen Speicher integriert…"

    Was die Berliner Experten des Unternehmens Younicos um Clemens Triebel im Maßstab 1:3 nachgebaut haben, ist das Stromnetz von Graciosa. Graciosa ist eine wirklich kleine Azoren-Insel im Atlantik, gerade einmal 5000 Menschen wohnen hier auf einem Oval von zehn mal sieben Kilometern. Der Nachbau passt in eine große Halle, mit Schaltschränken, die denen in Kassel recht ähnlich sehen. Der Entwickler erklärt, welche davon Windkraftwerke, welche Solarzellen simulieren,

    "Und was Sie auch nicht sehen können, das sind die Dörfer, und das ist in diesen hinteren Schränken, sozusagen die elektrische Simulation. Das heißt, wir können – wir können mal hier rüber laufen – wir können jetzt die Last, die diese drei Dörfer jetzt hier abbilden…"

    Was wir nicht hören, weil er steht, ist der Dieselgenerator – ein echter. Heute bekommen die 5000 Menschen und eine Steinmühle auf Graciosa ihren Strom von einem Dieselgenerator. Wind oder Solarzellen gibt es kaum. Das soll sich in Zukunft ändern, die Insel will weg vom Diesel, hin zu 100 Prozent erneuerbarem Strom. Clemens Triebel soll das organisieren. Und um das zu testen, und dabei möglichst alle Probleme zu lösen, bevor die Insel umsteuert, hat er dieses Labor bauen lassen. Und dabei einen echten Dieselgenerator installieren lassen, ebenso wie eine echte Batterie – als Gegenspieler. Triebel steuert auf einen fast drei Meter hohen Schrank zu ..

    "Und diese beiden Schränke, die Sie hier sehen, die sind jetzt von ihrer Leistung her genauso groß wie der – wie der Diesel, die können zusammen auch ein MW machen – ich mach das mal auf hier, und die können dieses eine MW sechs Stunden lang bereit stellen."

    Dazu kommt noch eine Batterie von Computern und Leistungselektroniken. Die simulieren Tag und Nacht auf der Insel, das Wetter, Sonnenschein, Wind und den Stromertrag daraus. Die Batterie ist so groß, weil sie für den Dieselmotor ganz oder teilweise einspringen muss. Denn die Simulationen haben eines gezeigt: Auf der Insel würden sich der Motor und Erneuerbare Energien überhaupt nicht gut vertragen. Der Wind, triebe den Diesel regelrecht vor sich her, und drückte damit auch die Frequenz hoch

    "Und dieses Problem haben wir auf der Insel bereits sehr früh, auf der Insel quasi, die mit solch einem Diesel versorgt wird, wenn da der Windzubau über 15 Prozent geht, dann wird das Netz gestört."

    Der Diesel muss daher möglichst oft abgeschaltet werden. Und dann müssen die erneuerbaren Energien und die Batterie, gesteuert von ihren Leistungselektroniken, das Stromnetz sicher führen. Um das zu testen, simuliert Triebel die Einspeisung durch Wind und Sonne, und beobachtet, wie die Batterie, die Stromkabel und die Leistungselektroniken damit umgehen.

    "Also wenn Sie im Millisekundenbereich eine Wolke haben, die über die Photovoltaik drüber geht, wenn Sie einen Windstoß haben, eine Böe, oder der Wind ändert seine Richtung sehr schnell, dass die Windkraftanlage nicht folgen kann, dann haben Sie da auch eine Störung im Netz, und gleichzeitig möglicherweise haben Sie noch im Dorf in unserem Fall eine Steinmühle, die auf und abgeschaltet wird – und wenn das alles im ungünstigen Fall zusammen kommt. Wie schnell kann dann die Batterie darauf reagieren, wie schnell können wir das Netz abfangen, damit es nicht zusammenbricht."

    Wie schnell die Batterie und ihre Elektronik das können, das demonstriert Clemens Triebel auf der Brücke – im Kontrollzentrum

    "Was Sie hier sehen…"

    … ist im wesentlichen ein Monitor, ein Überblick über die Halle, und viel Platz. Der Monitor gibt das im Kleinen wieder, was auch die Techniker von Amprion in ihrem Kontrollzentrum in Brauweiler sehen können: Wo welcher Strom fließt und wer wie viel erzeugt. Dass das im Versuch ganz zufriedenstellend klappt, geht aus einem Ausdruck hervor – einem Papier mit verschiedenen, nebeneinander stehenden bunten Säulen und einer ganz flachen Kurve in der Mitte

    "Das rot-grüne ist die Batterie, das graue ist die Last der Dörfer, und das hellblaue-dunkelblaue ist der Wind und der Solarstrom. Hier sehen Sie, Wind und Sonne macht so viel, dass es sowohl die Dörfer versorgen kann, als auch die Batterien laden. Und wenn man jetzt einen Kurzschluss macht und den Windpark und den Solarpark gleichzeitig abwirft, dann springt das System von dem Zustand des Ladens rüber in Entladen. Und im Entladen-Zustand speist nun die Batterie die Last, und entscheidend für die Ingenieure ist: Was passiert hier in diesem Punkt? Und man kann eben sehen an den Kurven, dass der Sprung so schnell realisiert wird, dass man keine Netzstörung hat."

    Die Kurve, auf die Clemens Triebel zeigt, ist die Frequenz. Vor seinem Finger läuft sie ganz kurz über 50 Hertz, dahinter kurz unter 50 Hertz. Auf dem Punkt selbst ist sie jedoch nicht sanft abgefallen, sondern gesprungen. Denn das simulierte Netz funktioniert ohne künstliche Masseträgheit, die den Frequenzumschlag abpuffern würde. Dass das Stromnetz trotzdem nicht kollabiert, liegt an der automatischen Steuerung.

    Was den Berlinern da gelang, ist ein beachtlicher Schritt - Sie haben die Reaktion der Netzsicherung so beschleunigt, dass sie ohne Baldrian auskommt – weil sich das Netz automatisch führt. Der Mensch ist nur noch Zuschauer. Natürlich ist das, was in Berlin passiert, nur die Simulation eines Inselnetzes. Deutschland dagegen ist Teil eines kontinentalen Stromnetzes, die Auswirkungen der Energiewende werden viel später zu spüren sein. Auch gleichen sich Schwankungen im Verbrauch und in der Erzeugung besser aus. Trotzdem sind alle Experten überzeugt, dass die Lösungen der Inselnetze übertragbar sind auf den Kontinent. Eckard Quitmann:

    "In anderen Netzen Europas, in anderen Synchrongebieten, konkret gesagt, in Großbritannien und Irland, oder Inselnetzen wie den Kanaren, da ist die Situation anders, das ist diese Leistungs-, Frequenzregelung heute schon sehr akut, weil diese räumlich sehr kleinen Netze einfach ein Problem bekommen bei der hohen Einspeisung aus Wind und Sonne, die sie heute schon haben, zum Beispiel in Irland, wenn dort die Windenergieanlagen nicht in intelligenter Weise zur Frequenzregelung beitragen in Kürze, dann schmiert das Netz einfach ab. Dann hat man einen Blackout. Und das ist natürlich zwingend zu vermeiden."

    Jochen Kreusel: "Und da halte ich es für sehr plausibel, dass man die dezentralen Elemente, und das sind sowohl Einspeiser als auch größere Verbraucher zukünftig so ausstatten kann, dass sie selbst auch auf Frequenzänderung stabilisierend reagieren. Das heißt also, wenn die Frequenz zu niedrig ist, wahlweise den Verbraucher etwas drosseln oder die Erzeugung steigern und umgekehrt."

    Das würde die Art und Weise, wie die Netze ausbalanciert werden, ändern: Statt hierarchisch von oben balancierte sich das Netz von unten aus. Jedes neu hinzugefügte Windrad, jede Solarzelle, jeder Speicher stützten das Stromnetz automatisch mit, statt es zu belasten. Kraftwerke, die heute noch unbedingt am Netz hängen müssen, könnten abgeschaltet werden, würden Platz in den Netzen frei machen für mehr erneuerbaren Strom.- Ein existentieller Baustein für den Erfolg der Energiewende, sagen Experten – denn der Ausbau der Stromnetze allein werde nicht schnell genug zu leisten sein. Eckard Quitmann:

    "Die Netzausbauperspektiven, die in den Dena-Studien gezeigt wurden, sind sehr ehrgeizig, aber ich glaube, ebenso hoffnungslos. Es ist für die nächsten zehn Jahre aussichtslos Tausende von Kilometern Hochspannungsleitung durch dieses Land zu ziehen, die ganzen Planungsverfahren und die Bürgerproteste und dann auch noch die Finanzierung sind so komplex, das ist nicht so in kurzer Zeit zu machen, einige Kilometer, OK, sind ja schon gebaut worden, aber die Tausende von Kilometern, das wird noch sehr, sehr lange dauern."

    Neben den Erzeugern werden sich künftig auch die Verbraucher am Ausgleich im Netz beteiligen können. Oder neuartige, leistungsstarke Speicher, wie Clemens Triebel sie in Berlin testet. Das geht im Prinzip mit derselben Technik, mit der die Erneuerbaren die Netze stabilisieren sollen: Denn auch viele Elektromotoren zum Beispiel beziehen ihren Strom aus dem Netz über einen Stromrichter, der genau wie die der Windräder und Solarzellen einen Fühler für die Frequenz bekommen könnten – und bei Bedarf die Leistung der Motoren ein wenig senken oder steigern könnten. Das Prinzip ist durchdacht, die Wege klar. Nur die notwendigen Techniken sind noch nicht fertig entwickelt, es sind alles noch Forschungsmuster oder Prototypen. Die Geräte müssen aber fehlerlos funktionieren, und das bedeutet: Wissenschaftler und Techniker werden die virtuelle Massenträgheit und Speichertechniken ganz genau testen wollen, bevor sie sie ins Netz lassen. Bananenprodukte würden im Netz nicht reifen, sondern Stromausfälle provozieren.

    Zeit ist also ein wichtiger Faktor. Und Zeit ist da. Noch.

    Ronny Meyer: "Also wir haben ja noch einen großen Anteil konventioneller Kraftwerke, nuklear und fossil, und erst einen, aus meiner Sicht geringen Anteil erneuerbarer Energien, der macht ja jetzt auch noch nicht so viel Stress, deswegen verstehen wir auch die Aussagen von Herrn Altmaier nicht, dass es auf einmal viel zu schnell geht mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Klar ist aber, wir müssen uns heute überlegen, was müssen wir heute machen, um in fünf Jahren das Stromnetz zu betreiben Dass heißt, wir müssen heute uns um diese Speichertechnologien, Verbrauchssteuerung et cetera kümmern, weil wir sie dann in fünf Jahren oder vielleicht auch erst in zehn Jahren im Markt brauchen. Aber die Innovation müssen wir heute entwickeln."

    Denn – auch das lässt sich übertragen – Probleme wie mit dem Diesel auf Graciosa würden wohl auch in Europa entstehen – wenn der Anteil der Erneuerbaren Energien europaweit über 20 Prozent steigt.

    Clemens Triebel: "Da sitzen jetzt die Politiker immer hier und sagen: Oh, da haben wir Glück gehabt, wir haben ja in Deutschland schon 20 Prozent…"

    Und keine Probleme...

    "dann sage ich immer: Pech gehabt - es ist ein Europäisches Verbundnetz, da sind das nur sieben Prozent. Das heißt, hätten wir in Europa 20 Prozent Erneuerbare, dann hätten wir die gleichen Problem wie die auf der Insel Graciosa."

    20 Prozent erneuerbare – das will Europa bis 2020 erreicht haben. Noch ist also Zeit da – aber sie muss auch genutzt werden. Triebel:

    "Entscheidend ist, dass Sie den Einsatz von schnellen Systemen im Netz haben. Dass Sie genug Piloten haben. Dass Sie tatsächlich den Nachweis erbringen, dass diese Systeme das tun, was die Ingenieure vorausgesagt haben. Und dazu fehlt im Moment jeglicher Ansatz. In der Bundesrepublik und erst recht in Europa. Also es gibt niemanden, der qualifiziert über Speicher reden kann, weil man keine Erfahrung hat. Das heißt also, dieser erste Sprung, dass man das Zeug ins Netz bringt, um dann Messungen zu machen, denke ich mal, der muss jetzt auf jeden Fall gemacht werden, und der verlangt zumindest mal einen Konsens, der glücklicherweise unter den Wissenschaftlern jetzt mehr oder weniger geschlossen ist, dass wir diese Systeme brauchen."

    Und sie muss genutzt werden, um den Stromnetzbetreibern Zeit zu geben, sich auf die neue Betriebsweise einzustellen. Eckard Quitmann:

    "Wenn man den Leuten sagt: Macht das mal in Zukunft anders! Da brauchen Sie eine gewisse Überzeugungskraft. Und de facto braucht es Zeit, und es braucht auch mathematische Modelle, in meinen Gesprächen mit Netzbetreibern auf verschiedenen Ebenen kommt immer wieder raus, die haben keine mathematischen Modelle, um ihre Netze auf der 110-Kilovolt-Ebene und darunter dynamisch zu berechnen, und sie haben im Zweifel auch nicht die Leute, die das noch können."

    Treten die Politiker aber auf die Bremse, wie es derzeit den Anschein hat, nehmen sie damit dieser Entwicklung den Wind aus den Segeln. Ohne Notwendigkeit wird sich schwerlich ein Geldgeber finden, der die notwendige Forschung bezahlt – oder ein Netzbetreiber, der sie testet. Bleibt es bei der Bremse, könnte die Kanzlerin also irren, wenn sie sagt:

    "Die Energiewende ist, so wie wir sie beschlossen haben, machbar."