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Manuskript: Warten auf ein grünes Wunder

Mikroalgen sind das Genialste, was die Natur hervorgebracht hat, schwärmen Forscher weltweit. Fünfmal effizienter als Landpflanzen setzen sie Licht in Biomasse um. Und ihre wertvollen Fette beziehungsweise Öle taugen auch für die Treibstoffproduktion. Seit kurzem ist ein weltweiter Wettlauf entbrannt um die besten Kraftstoffalgen.

Von Maren Schibilsky | 23.09.2012
    Flughafen Berlin-Schönefeld. 8. Juni 2010. Der europäische Luft- und Raumfahrtkonzern EADS hat zu einer Weltpremiere geladen. Auf dem Rollfeld erscheint ein weißes Leichtflugzeug mit grünen Flecken. Beim genauerem Hinsehen entpuppen sie sich als Algen.
    Die ´Diamond DA 42´ steigt in den Himmel. Es ist das erste Flugzeug, das mit reinem Algentreibstoff fliegt. Nur wenige Minuten dauert der störungsfreie Testflug. Am Rande des Rollfeldes verkündet der EADS-Technik-Chef Jean Botti, dass dies die Zukunft der Luftfahrt sei.

    "It’s just a beginning. We need it. I´m convinced, that is the future of aviation."

    Bis heute ist dieser Flug der einzige mit reinem Algensprit geblieben.

    Warten auf ein grünes Wunder. Treibstoff aus Mikroalgen
    Von Maren Schibilsky

    Algenlabor an der Fachhochschule Lausitz im brandenburgischen Senftenberg.

    In säulenförmigen Glasgefäßen blubbern verschieden farbige Algensuppen vor sich hin: winzig kleinen Organismen, in einer wässrigen Lösung aus Stickstoff, Phosphor und Spurenelementen. Mit bloßem Auge sind sie kaum zu erkennen. Über einen durchsichtigen Plastikschlauch wird ein Kohlendioxid-Luftgemisch in die Nährlösung geblasen.

    Licht, Wasser, ein paar Nährstoffe und CO2 – mehr bräuchten die Algen zum Wachsen nicht – erzählt der Biologieprofessor Ingolf Petrick.

    "Das sind ganz verschiedene Mikroalgen. Mindestens die Hälfte aller Algen hier sind Grünalgen. Dazu kommen Blaualgen, Rotalgen, Braunalgen. Im Prinzip das gesamte Farbspektrum, was man bei den Algen wieder finden kann."

    Rund 400.000 verschiedene Algenarten soll es auf der Erde geben. Nur 35.000 sind bisher wissenschaftlich beschrieben. Ein winziger Bruchteil davon schlummert in wenigen Algensammlungen, die es auf der Welt gibt.

    An der Fachhochschule Lausitz in Senftenberg werden ausschließlich Mikroalgen für die Treibstoffproduktion gelagert. Rund 250 Algenarten umfasst die kleine, aber erlesene Stammsammlung.

    Aufbewahrt werden sie bei 15 Grad Celsius in verschiedenen Klimaschränken. Ingolf Petrick öffnet einen Schrank und holt ein Reagenzglas heraus. Ein Klecks grüne Algenmasse ist auf einem Gelee konserviert.

    "Erst mal sind die Algen, wenn wir sie bekommen, für uns ein weißes Blatt. Die werden hier Zeile für Zeile beschrieben, das heißt das Wachstum von der Stammsammlung über die einhundert Milliliter, geht dann in den 30-Liter-Reaktor, nach dem 30-Liter-Reaktor kommt der fünfhundert Literreaktor. Das ist die größte Einheit, die wir hier an der Einrichtung haben."

    Die südbrandenburgische Kleinstadt Senftenberg war früher ein wichtiges Zentrum des Braunkohlebergbaus. Heute will sie an einer neuen Energiegeschichte mitschreiben.

    "Die Mikroalgen müssen möglichst schnell wachsen, das heißt dass sie möglichst viel CO2 aufnehmen, erstes Ziel. Zweites Ziel, die Algen müssen bei diesem hohen Wachstum, bei dieser Wachstumsgeschwindigkeit möglichst viel Lipide bilden. Diese Fettsäuren sind dann ein interessanter Ausgangsstoff zur Produktion von Biodiesel oder Flugtreibstoffe, Kerosine."

    Die Herausforderung ist immens. Nur wenn viel Algenmasse mit hohem Ölgehalt entsteht, kann daraus Treibstoff gewonnen werden.

    Das Öl produzieren die Algen auf unterschiedliche Weise. Blaualgen lagern im Innern der Zelle kleine Öltröpfchen ab: als Energiereserve für schlechte Zeiten. Bei zahlreichen Grünalgen ist Öl Bestandteil der Zellmembran. Dieser Rohstoff lässt sich aus den Zellen extrahieren.

    Doch wenn Algen schnell wachsen, produzieren sie in der Regel kaum Fette. So ist das in der Natur – beklagt Ingolf Petrick.

    "Wenn ich wachse, werde ich nicht unnötig Lipid bilden. Ich möchte alles, was mir zur Verfügung steht, da hinein stecken, um möglichst viele Eiweiße zu bilden, das heißt man muss bei der Alge im Endeffekt das Wachstum irgendwie limitieren, um ihr die Chance zu geben, aus den Eiweißen und den Kohlenhydraten, die im Zellinnern vorhanden sind, im Endeffekt Lipide zu bilden."

    Nach einer schnellen Wachstumsphase versuchen die Senftenberger Forscher, die Organismen durch Stickstoff- oder Lichtentzug unter Stress zu setzen. Dann hören sie auf zu wachsen und bilden Reservestoffe, Fett.
    Ein mühsamer und aufwendiger Prozess.

    Einen Großteil der Algen in der Senftenberger Sammlung hat der Potsdamer Biotechnologe Otto Pulz eingebracht. Seit 30 Jahren erforscht er die winzigen Organismen. Algenpapst wird er in der weltweit boomenden Branche genannt.

    "Wir haben in unserer bisherigen Arbeit nicht mit gentechnisch modifizierten Organismen gearbeitet. Wir sind der Meinung, dass bei den Hunderttausenden von Algenarten, die in der Wildnis existieren, sicher einige dabei sind, die man auch ohne gentechnische Veränderungen nutzen kann."

    In den USA versuchen Biotechnikunternehmen mit Gentechnik nachzuhelfen. Allen voran die Firma ´Synthetics Genomics´ des Erbgut-Entschlüsselers Craig Venter. Bereits im vergangenen Jahr vermeldete die Firma, dass sie eine große Anzahl von gentechnisch veränderten Algenstämmen für die Ölproduktion habe. Doch davon hält Otto Pulz nicht viel. Jedes Jahr ist er mit Gummistiefeln und Probengläschen unterwegs, fahndet in Pfützen, Vogeltränken, Bächen, Seen und Meeren; selbst in konzentrierten Salzlösungen oder in verdünnter Schwefelsäure. Manche Arten vertragen Temperaturen unter dem Gefrierpunkt, manche Temperaturen über 60 Grad Celsius. Besonders an solchen Extremstandorten wie Vulkanseen oder Geysiren entwickeln Mikroalgen einen besonderen Stoffwechsel.

    "Mein spezielles Interesse gilt vulkanischen Inseln. In solchen Arealen findet man verschiedene Klimata, verschiedene Geologien, verschiedene Wassertypen. Demzufolge ist die Biodiversität auf solchen Inseln außerordentlich hoch. Ich war auf vielen Inseln im Atlantik, im Pazifik, um dort nach Algen zu suchen."

    Unter dem Lichtmikroskop zeigen die Mikroalgen dann ihre ganze Schönheit. Manche sehen aus wie Eiskristalle, manche spiralförmig wie aufgedrehte Haarlocken, andere sind einfach nur rund wie eine Kugel . Gerade einmal tausendstel Millimeter beträgt der Durchmesser der kleinen Energiewunder, die die Evolution schon früh hervorgebracht hat.

    Mikroalgen gehören zu den ersten Photosynthese treibenden Organismen. Sie verwandelten vor drei Milliarden Jahren die giftige Luft der Erde in eine sauerstoffreiche Atmosphäre und waren damit Wegbereiter für die Entwicklung von höherem Leben. Jetzt steht ihnen vielleicht eine zweite Karriere als grüner Energieträger bevor.

    "Wir sind bei Nummer 120 angekommen..."

    Im Senftenberger Algenlabor wurden bisher 120 Mikroalgenarten analysiert. Einige Kandidaten hält Ingolf Petrick für vielversprechend.

    "Ein großer Teil unserer Favoriten gehören zur Art ´Chlorella vulgaris´. Wir haben mittlerweile über einhundert´ Chlorella-vulgaris-Stämme´ hier im Haus. Von denen haben sich drei Favoriten herausgeschält."

    Welche Algenstämme es genau sind, bleibt ein Geheimnis. Denn es gibt einen weltweiten Wettlauf um die Kraftstoffalgen der Zukunft.

    Am längsten befinden sich in diesem Wettbewerb die USA. Bereits 1978 erforschten amerikanische Wissenschaftler im Rahmen des ´Aquatic Species Program´ Kraftstoffalgen. Heute investiert der Ölkonzern EXXON mobil 600 Millionen Dollar in die Entwicklung eines Treibstoffs aus Mikroalgen. Das Geld fließt an Craig Venters Firma Synthetics Genomics im kalifornischen La Jolla. Auch die ´US-Air-Force´ und das ´US-Department of Energy´ lassen für mehrere Millionen Dollar Forscher in einem für drei Jahre gegründeten Konsortium danach suchen. Allein für die US-Armee ist die Spritrechnung seit der Libyen-Krise um eine Milliarde Dollar angewachsen. US-Präsident Barack Obama will einen Teil der teuren Öleinfuhren demnächst durch siebzehn Prozent Algensprit ersetzen.
    Musik weg

    17 Prozent des gigantischen US-Treibstoff-Volumens auf Basis von Algenöl - das werde so schnell nicht gehen, meint dagegen der amerikanische Algen-Pionier John Benemann. Der deutschstämmige Forscher war bereits 1978 während des ´Aquatic Species Program´ in der Algenforschung tätig.

    "Wenn wir eine neue Art von Weizen oder Reis entwickeln, das dauert über ein Jahrzehnt. Und davon wissen wir schon sehr viel. Wenn man bedenkt, wir versuchen eine ganz neue Technologie mit ganz neuen Arten von Lebewesen, die wir gar nicht so furchtbar gut verstehen, dann sagt man, wie kann man das in zwei, drei Jahren machen. Geht ja gar nicht."

    An der ´City University of New York´ sucht der Zellbiologe Jürgen Polle seit zwei Jahren im Auftrag der ´US-Air-Force´ und des ´US-Departments of Energy´ nach Kraftstoffalgen. Doch anders als in Europa, wo man Mikroalgen in großen Bioreaktoren züchten will, setzt man in den USA auf riesige offene Teichanlagen.

    "Offene Systeme sind vermutlich billiger. Die meisten hier sind der Überzeugung, dass Photobioreaktoren zu teuer sind. Es ist nicht ökonomisch, Treibstoff mit einem teuren Reaktor zu produzieren. Für hochwertige Produkte mag das gehen, für Treibstoff muss das billiger werden."

    Neunundneunzig Prozent der weltweit kommerziellen Algenzuchtanlagen sind offene Becken. In Australien, China oder Japan kultiviert man Mikroalgen in Hektar großen Teichen, um daraus Eiweiße und Fette für die Nahrungsmittel-, Kosmetik- oder Pharmaindustrie zu gewinnen. Ein riesiger Wachstumsmarkt.

    Auch der Zellbiologe Jürgen Polle testet seine Algen in offenen Versuchsteichen, fünf Stockwerke über seinem Brookelyner Büro, auf dem Dach des Instituts. Ein Millionen-Budget kommt dafür zum Einsatz. Fünftausend Arten haben er und sein Team bisher untersucht, rund einhundert haben es in die engere Wahl geschafft. Sie müssen besonders robust sein, wenn sie in offenen Bassins mit zwanzig Zentimeter Wassertiefe überleben wollen.

    "All diese Außenanlagen haben eine Verbindung mit der Umwelt. Da gibt es Wind, Enten, Frösche und andere Algen auch. Die werden mit dem Wind über Tausende von Meilen eingetragen. Wenn andere Algen einwandern, kann es passieren, dass nicht das wächst, was wir wollen oder nur auf einem geringen Niveau."

    Ein großes Problem sieht Jürgen Polle, will man genetisch veränderte Mikroalgen in offenen Becken züchten. Dass Tiere oder der Wind sie in die Umwelt tragen, ließe sich kaum vermeiden. Andere sehen das gelassener wie Algenpionier John Benemann.

    "Die Frage dabei ist natürlich immer, was sind die Konsequenzen, könnten diese Algen, die man genetisch verbessert, könnten die dann wuchern und herumlaufen. Die Antwort dabei ist, nein. Man kann das ziemlich ausschließen, weil diese Algen können nicht mehr wachsen in der Natur von selber."
    Noch ist diese Kontroverse eher theoretischer Natur. Obwohl in den USA immens viel Geld in die Algenforschung fließt, gibt es auch dort noch keinen marktfähigen Treibstoff. In Europa und auch in Deutschland wird erst seit wenigen Jahren in diesen Forschungszweig investiert. Mit weitaus kleineren Budgets und anderen Konzepten. Welches sich durchsetzen wird, kann derzeit niemand beurteilen.

    An einer viel befahrenen Straße in Nuthetal bei Potsdam befindet sich das Institut für Getreideverarbeitung. Seit 1990 ist es eine GmbH.
    Hier werden die bisher größten Photobioreaktoren für die Algenzucht konstruiert.

    Auf dem Institutsgelände stehen allein zehn Glasröhrenreaktoren. In ihnen fließen je nach Modell 25 bis 4000 Liter Algensuppe. Gebaut wurden sie alle unter der Leitung des Potsdamer Biotechnologen Otto Pulz.

    Bereits 1987 hatte er seinen ersten Röhrenreaktor entwickelt. Zweitausend Liter umfasste er für die Farbstoffproduktion aus Mikroalgen in Neustadt-Glewe. Seitdem bauten Otto Pulz und sein Team rund zweihundert Reaktoranlagen, die in alle Welt verkauft wurden.
    Die größte je gebaute Einzelanlage läuft seit 2011 im spanischen Jerez mit
    85.000 Litern. Sechsunddreißig Kilometer Glasrohr wurden verbaut. Das Kohlendioxid kommt aus einer benachbarten Zementfabrik und bringt die Fotosynthese der Algen auf Hochtouren.

    Anders als seine amerikanischen Kollegen setzt Otto Pulz auf Photobioreaktoren. Diese geschlossenen Systeme liefen störungsfrei ohne Umwelteinflüsse. Außerdem glaubt Pulz an eine höhere Produktivität.

    "Bei offenen Systemen erreicht man Produktivitäten je Quadratmeter Grundfläche zwischen zehn und zwanzig Gramm je Quadratmeter und Tag und in unseren Rohrreaktoren 35 bis 40 Gramm je Quadratmeter und Tag."

    Seit Langem wissen Otto Pulz und sein Team, dass auch diese Produktivitätsraten für eine wirtschaftliche Kraftstoffalgenzucht nicht ausreichen. Hinzu kommen die hohen Investitionskosten von 10 Millionen Euro pro Hektar für einen Röhrenreaktor. Forscherkollege Jürgen Broneske.

    "Das Glas ist vom Material einfach zu teuer. Die Glasrohrsysteme sind für die sogenannte Vorkultur geeignet, um einfach sehr gute Biomasse zu produzieren für die industriellen Photobioreaktoren, die dann später den Treibstoff produzieren können."

    Die wichtigste Stellschraube für ein höheres Algenwachstum ist die Lichtausbeute. Seit zehn Jahren arbeitet Otto Pulz an einer speziellen Geometrie, die dafür sorgt, dass jede Algenzelle im Reaktor möglichst viel Licht bekommt und die Zellen sich nicht mehr selbst beschatten. Erfunden haben die Potsdamer Forscher das ´3-D-Matrix-System´.

    "Das Prinzip für diesen 3D-Matrix-Reaktor wurde schon Ende der 90er-Jahre patentiert. Schon da sind wir mit Gedanken unterwegs gewesen, die letztendlich darauf hinaus laufen, dünne Schichten zu kreieren in vertikaler Anordnung, die es dem Licht erlauben, zu jeder Algenzelle jederzeit durchzudringen und die ankommende Photonendichte zu verteilen, sozusagen zu verdünnen."

    Vorsichtig öffnet Otto Pulz ein Foliengewächshaus, das der höchsten Geheimhaltungsstufe unterliegt. Erst seit wenigen Wochen läuft hier die neueste Entwicklung des Hauses. Der sogenannte ´Regen-Reaktor´ mit einer 3D-Matrix.

    Feucht warme Luft beschlägt beim Eintreten die Brillengläser. Aus Düsen in 2,30 Meter Höhe regnet es in Strömen winzig grüne Tropfen. In nur einem einzigen dieser Milliliter großen Tropfen befinden sich achtzig Millionen Mikroalgen, die sich teilen wollen.

    Mikroalgen bestechen mit ihrer enormen Photosyntheseleistung. Die Einzeller sind vollgestopft mit Chlorophyll und können sich deshalb ganz dem Lichteinfang und der Umsetzung in Biomasse widmen. Das läuft bei ihnen fünfmal effizienter ab als bei Landpflanzen.

    Das Ambiente im Regenreaktor gleicht einem tropischen Gewitterguss. Die Algentropfen werden von kreisrunden, Wagenrad großen Kunststoffnetzen aufgefangen. Hier verweilen die einzelnen Tropfen solange bis sie von selbst in die nächst tiefere Netzetage fallen. Von der letzten Etage tropfen die Algen auf den Boden und sammeln sich in einer Senke. Von dort wird die Algensuppe wieder nach oben in die Düsen gepumpt und erneut verregnet – erzählt Thomas Wencker, der die Anlage überwacht.

    "Die ganze Kunst dahinter ist, die Algen solange wie möglich im Licht zu halten, im Sonnenlicht. Das natürliche Sonnenlicht wird hier über das Gewächshaus in das System gelassen und je länger wir den einzelnen Tropfen in diesem beleuchteten Raum halten, um so eher kann die einzelne Alge darin mit Sonnenlicht versorgt werden und dadurch zum Wachstum angeregt werden."

    In Vorversuchen wurden mit dieser Technologie bereits achtzig Gramm Algen pro Quadratmeter und Tag geerntet wurden. Nun soll das auch mit der vorindustriellen Pilotanlage gelingen.

    Ein Novum dieses Reaktors ist, dass das Kohlendioxid nicht in die Algenlösung gepumpt, sondern als Gas ins Gewächshaus geleitet wird. Damit schweben die Algentropfen im CO2 und können besonders viel davon verwerten.

    "Sie haben eine gigantische Austauschfläche für den Stoffaustausch vom CO2 zur Algensuspension, was bei gängigen Röhrenreaktoranlagen länger dauert oder bei offenen Anlagen, wo ein Großteil des eingespeisten CO2 sehr schnell wieder in die Atmosphäre entweicht. Im Endeffekt wird hier nur ein Teilstrom des eingegasten CO2 wirklich für die Biomasseerzeugung genutzt."

    Die Potsdamer Biotechnologen verbinden große Hoffnungen mit der neuen Technologie. Sie glauben an einen Quantensprung Richtung Wirtschaftlichkeit.

    "Also wir kalkulieren für diese neue Dünnschichtanlage ein Investitionsvolumen von circa einer Million Euro pro Hektar. Das ist ein Wert, wo wir zusammen mit den gesteigerten Produktivitätsraten eine Biomassewertigkeit erreichen, wo wir tatsächlich mit den Grundstoffmärkten konkurrieren können."

    Einer, der diese Reaktortechnologie im industriellen Maßstab bauen will, ist der Franzose Laurent Blériot. Sein Start-up-Unternehmen ´Bioalgostral´ hat seinen Sitz auf ´La Réunion´. Die französische Regierung verfolgt das ehrgeiziges Ziel, die zweieinhalbtausend Quadratkilometer große Ozeaninsel bis 2030 energieautark zu machen. Durch die ganzjährig gleichbleibende Sonneneinstrahlung und das warme tropische Klima wachsen Mikroalgen hier zehn- bis zwölf Mal besser als in mitteleuropäischen Breiten. Das macht Blériot optimistisch:

    "Wir wollen dazu beitragen, dass auf La Reunion als eine energetisch autonome Insel als erste Algentreibstoff produziert wird. Niemand auf der Welt kann das heutzutage. Wir sind sicher, dass wir in drei bis vier Jahren eine Demonstrationsanlage haben, die zeigt, das dies möglich ist."

    Im Potsdamer Büro des Algenprofessors Otto Pulz hängt eine große Reliefkarte der Insel. Mehrmals im Jahr fliegt Pulz für den Aufbau der industriellen Treibstoffalgenzucht in den indischen Ozean.
    Noch in diesem Jahr ist Baubeginn für eine 82.000 Liter Röhrenanlage. Spätestens 2014 sollen dann Kraftstoffalgen auf eintausend Quadratmetern im neuen Regenreaktor produziert werden. Eine Nische für eine eher skeptisch beäugte Technologie: Geplant ist, mit dem Algentreibstoff die Busflotte der Insel zu versorgen und die Flugzeuglinie zur Nachbarinsel Mauritius.

    "Es gibt viele tausend Inseln auf der Welt, die abhängig sind von Öllieferungen vom Festland. Wenn sich solche Inseln ganz oder zum Teil selbst versorgen können mit lokalen Produktionen von biologischem Treibstoff, dann ist es für jede Insel interessant, solche Lösungen zu haben. Das ist die Triebkraft, die hinter diesem Projekt steht."

    Für die Mineralölindustrie wäre heutzutage Algentreibstoff bei einem Preis von 50 bis 70 Cent wirtschaftlich. Außerdem bräuchte sie eine industrielle Mindestauftragsgröße von 50 Millionen Liter pro Jahr und Raffinerie. Doch davon ist man weit entfernt. So schätzt das Bundesumweltamt, dass die Preise für Algensprit auch in absehbarer Zukunft nicht unter 50 Euro pro Liter sinken werden.

    Die Verfahrenstechnik GmbH im brandenburgischen Schwedt. Mit seinen fünfzig Mitarbeitern hat sie ihren Sitz auf dem Industriegelände der Erdölraffinerie ´Petrolchemie und Kraftstoffe´, PCK Schwedt. Jährlich werden hier zehn Millionen Tonnen Erdöl verarbeitet, um daraus Kraftstoffe für die Bundeshauptstadt zu produzieren.

    Im Schatten dieses Raffinerie-Riesen ist der mittelständischen Firma 2010 immerhin eine kleine Sensation gelungen. Geschäftsführer Richard Kilian produzierte aus Algenöl den ersten europäischen Algenmustertreibstoff. Rund eintausend Liter im Auftrag des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS.

    Im Technikum steht die winzige Demonstrationsanlage, die Richard Kilian gebaut hat. In einer Glasflasche zeigt er eine kleine Probe des kostbaren Algentreibstoffs. Vom Aussehen unterscheidet er sich kaum von herkömmlichen Treibstoffen.

    "Die Grundparameter, damit waren wir eigentlich sehr zufrieden. Zum Beispiel ist der Brennwert des Treibstoffs genauso groß oder noch größer gewesen als bei klassisch produziertem Kerosin, aus Erdöl produziertem Kerosin, weil bestimmte Verhältnisse von CH-Atomen zueinander so günstig waren, dass ein größerer Energieinhalt auch entstanden ist."

    Die Triebwerkstechniker an den Motorenständen beim europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS konnten das bestätigen. Das Airbus-Mutterunternehmen führte umfangreiche Tests durch, bevor es das erste Leichtflugzeug an den Start schickte. Johannes Stuhlberger, Leiter für Antriebstechnologie in der Forschung bei EADS in München.
    "Wir hatten festgestellt, dass der Treibstoff etwas mehr Energiegehalt hatte. Man musste die Einspritzmenge zurück nehmen. Wir wollten wissen, ob das Triebwerk ruhig läuft, ob es irgendwie Störungen gibt.
    Wir haben festgestellt, dass das alles sehr zufrieden stellend geht und konnten infolge dessen ohne große Modifikationen – abgesehen von der Einspritzmenge – direkt an den Flugversuch gehen."

    Wieviel Geld EADS für den Liter Algenkerosin bezahlt hat, daraus macht Johannes Stuhlberger ein großes Geheimnis. Einhundert Euro pro Liter – munkelt die Branche. Der erfolgreiche Testflug auf der Internationalen Luftfahrtausstellung 2010 besitzt bis heute großen Wert.

    "Prinzipiell, was ja jetzt durch Versuche mit größeren Triebwerken und Beimischungen auch bestätigt wurde, dass es technisch kein Problem ist, diesen Treibstoff zu fliegen, den zu tanken. Dazu haben wir gelernt, dass die Abgaswerte sogar besser waren als mit dem Standardtreibstoff. Die Machbarkeit ist dementsprechend sicher gestellt worden. Das war eigentlich das Hauptanliegen: zu beweisen, es geht."

    Seitdem ist es ruhig geworden um den Algentreibstoff. Die Luftfahrtindustrie hat zwar in umfangreichen Flugreihen andere Biotreibstoffe getestet: Biosprit aus Raps, Jatropha und Palmöl. Erst im Frühjahr 2012 stellte die Lufthansa nach über 1000 Flügen ihre positiven Ergebnisse vor. Mit Algenkerosin ist sie allerdings nicht geflogen.

    Auch EADS nahm keine weiteren Testflüge vor - bedauert Johannes Stuhlberger.

    "Das liegt einfach an der Verfügbarkeit. Es war damals schon ein extrem teures Unterfangen, diesen Treibstoff zu verwenden. Diesen Versuch einfach zu wiederholen, bringt ja keinen Mehrwert. Dazu müsste man jetzt zu größeren Fluggeräten gehen. Da gibt es nicht ausreichend Algenölmengen im Moment. Das ist der Grund, warum man mit gebremster Motivation unterwegs ist. Die Luftfahrtgesell-schaften würden, wenn verfügbar, viel mehr Treibstoffe dieser Qualität abnehmen."


    Weltweit werden 10.000 Tonnen teures Algenöl erzeugt. Die größten Abnehmer für das Hochpreisprodukt sind bisher die Kosmetik- und Nahrungsmittelindustrie. Allein der Flugverkehr bräuchte 200 Millionen Tonnen im Jahr.

    Der Schwedter Verfahrenstechniker Richard Kilian möchte sein Know-How zur Algentreibstoffherstellung in einer vorindustriellen Pilotanlage umsetzen. Dafür sucht er Partner. Doch die Raffineriebranche hält sich zurück, solange sie mit ihren Erdölkraftstoffen noch so gut im Geschäft ist. Bisher gibt es nur Absichtserklärungen wie beim Mineralölkonzern TOTAL Deutschland. Ralf Stöckel ist dort in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung tätig.

    "Wir haben hier in Europa bislang in dieser Richtung noch keine Experimente getan. Wir sind aber auf dem Wege, uns dort umzuschauen und zu sehen, wie wir als ein Großunternehmen dort an einer entsprechenden Stelle uns engagieren können."

    Der Schwedter Verfahrenstechniker kennt die Schwerfälligkeit der Branche. Jahrzehntelang hat er selbst in der Petrolchemie- und Kraftstoffindustrie gearbeitet, bevor er seine eigene Firma gründete. Mit ihr will er neueste Verfahrenstechnik zur Herstellung von Biokraftstoffen entwickeln, zum Beispiel auch aus Raps, Jatropha oder Palmöl. Doch Schwerpunkt sind die Mikroalgen, denn sie konkurrieren nicht mit der Nahrungsmittelproduktion und besitzen eine 30-mal so hohe Ölausbeute wie Raps. Noch gibt es viel zu tun:

    "In den Naturstoffen sind zum Teil auch Sauerstoffverbindungen enthalten, die in irgendeiner Form stören, sodass man die erst mal rausbringen muss. Das ist die eine Herausforderung. Die andere ist, dass die erhaltenen schon teilgereinigten Öle, Fette im Prinzip immer noch zum Beispiel nicht winterhart genug sind."

    Die Luftfahrtindustrie benötigt Kerosin, das bei Temperaturen bis minus 47 Grad flüssig bleibt. Um Biotreibstoffen zum Durchbruch zu verhelfen, hat sich 2011 in Deutschland eine Initiative aus Flugzeugindustrie, Luftfahrtgesellschaften und Forschungseinrichtungen gegründet. AIREG – Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany e.V. Die Branche braucht dringend eine zukunftstaugliche Treibstofflösung – meint Siegfried Knecht, Gründungsmitglied und Vorsitzender der AIREG.

    "Das ist aus heutiger Sicht schlichtweg so, dass die Luftfahrtbranche keine Alternative hat zu flüssigem Treibstoff. Und insofern wäre es aus unserer Sicht wichtig, den Fokus auf die Luftfahrtbranche zu legen, weil andere Verkehrsträger , weil es da sehr wohl Alternativen gibt wie Batterien oder Brennstoffzellen. Für die ist sicher auch Wasserstoff eine Option."

    Forschungsziel der europäischen Kommission ist es, bis zum Jahr 2020 zwei Millionen Tonnen alternativen Flugkraftstoff in der EU zu produzieren und einzusetzen. Dies entspricht einem Anteil von circa vier Prozent am heutigen europäischen Kerosinbedarf. Hinzu kommt, dass sich die deutsche Luftfahrtindustrie verpflichtet hat, ihre CO2-Emissionen im Jahr 2050 gegenüber dem Jahr 2005 zu halbieren.

    "Um dies erreichen zu können hätte man am besten schon gestern angefangen als dass man sich überlegt, erst morgen zu beginnen. Natürlich steht die Branche unter einem gewissen öffentlichen Druck, aber es ist auch eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit."

    Die Luftfahrtbranche hofft auf einen neuen Treibstoff. Algenkerosin könnte eine Option neben anderen Lösungen sein. Ob und wann es verfügbar ist, weiß heute keiner. Auch der amerikanische Algen-Pionier John Benemann nicht. Trotzdem wird er immer wieder danach gefragt.

    "Es kommt, wenn es kommt. Man kann nicht erwarten, dass jedes Projekt was bringt. Das ist die falsche Anschauung. Leider ist das die Anschauung von Politikern, man tut einfach das Geld da rein und dann kommt etwas raus wie bei einem Geldautomaten. Leider ist das nicht die richtige Anschauung."