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"Maometto II" in Wildbad
Schmonzetten-Stoff, aber ein Sängerfest vom Feinsten

Christen versus Muslime ist seit barocken Zeiten ein beliebter Opernstoff. Auch Gioachino Rossini hat sich 1820 in seiner Oper "Maometto II" mit dem Thema beschäftigt. Beim Festival "Rossini in Wildbad" hat der Intendant Jochen Schönleber das Werk in Szene gesetzt.

Von Ursula Böhmer | 17.07.2017
    Zeitgenössische Darstellung des italienischen Komponisten Gioacchino Rossini (1792-1868)
    Der notorisch von Krankheiten und Depressionen geplagte Rossini weilte 1856 in Bad Wildbad zur Kur. (dpa / picture alliance)
    Eine "richtige" Ouvertüre gibt es hier nicht – stattdessen eine kurze Einstimmung auf den Schmonzetten-Stoff, den sich Librettist Cesare della Valle hat einfallen lassen für Rossinis Oper "Maometto II": Sultan Maometto "der Zweite" ist auf Eroberungsfeldzug gegen den christlichen Statthalter Erisso. Der will seine Tochter zum Schutz mit Feldherrn Calbo verheiraten. Doch Anna liebt einen anderen, der sich ihr gegenüber wiederum für einen anderen ausgegeben hat - und schließlich ausgerechnet als Maometto entpuppt. Christen versus "Muselmänner", Liebe versus Pflicht – ein Zwiespalt, der am Ende im Selbstmord Annas mündet.
    Der Rossini-Biograf Richard Osborne hat das Libretto mal als "erbärmlich und vorhersehbar" bezeichnet. Dem kann man eigentlich nur zustimmen - doch es gibt genug musikalische Gründe, die Oper aufzuführen. Der Belcanto-Experte Antonio Fogliani, Dirigent der Produktion beim Festival Rossini in Wildbad, verweist etwa auf das "Terzitone", beziehungsweise das "übergroße Terzett" im ersten Akt:
    "Das 'Terzitone' ist das großartigste Stück in der Oper – und sehr ungewöhnlich für die damalige Opern-Form: Eine große Szene, die aus einem Terzett, einem Gebet, einem Chor und dann wieder einem Terzett besteht, außerdem noch aus einer Harfen-Arie! Die damals übliche Form reichte den Belcanto-Komponisten offenbar nicht mehr aus – sie beginnen, mehr in bewegten und statischen Momenten zu denken. Gerade Rossini hat das in seiner Musiksprache oft getan – und später auch Mercadante, Donizetti oder Verdi."
    Marathon mit Sprints
    Das "Terzitone" ist Herzstück der Oper "Maometto II". Denn hier wird das gesamte Konfliktpotenzial der Oper bereits zusammengefasst – und in Bad Wildbad fulminant gesungen von dem Türken Merto Sungu als Erisso, der Russin Victoria Yarovaya in der Hosenrolle des Calbo und der Spanierin Elisa Balbo als Anna.
    Sängerisch ist die Bad Wildbader Rossini-Produktion kaum zu toppen: Exzellent die bewegliche, selbstverständliche Koloraturtechnik aller Sänger. Rossini verlangt ihnen hier schier übermenschliches ab - sozusagen einen Marathon mit rasanten Sprints zwischendurch: einer der Gründe, warum "Maometto II" eher selten aufgeführt wird.
    Schwierig ist es auch, das Stück zu inszenieren, findet Regisseur Jochen Schönleber. Er ist zugleich Intendant des Rossini-Festivals in Bad Wildbad:
    "Wir haben uns entschieden, das ganz ohne Säbel und alles mögliche Zeug zu spielen und uns auf diese Opferrolle, die der Anna zugewiesen wird – du darfst nicht handeln, du sollst dich im Zweifelsfall umbringen, aber mehr darfst du nicht tun – darauf haben wir uns konzentriert. Aber ich glaube, das ist auch eine sehr eigenartige Position, die ihr Vater da vertritt. Und Calbo vertritt die Gegenposition, sodass wir annehmen können, dass sich die Librettisten um Rossini dessen sehr wohl sehr bewusst waren - und das haben wir rausgeholt!"
    Schwarz-weiße Herrenmenschen
    Menschelnde, liebende Züge auch bei dem vermeintlichen Unmenschen Maometto – zumindest seiner Anna gegenüber -, was Bassbariton Mirco Palazzi stimmlich sensibel herausarbeitet und was auch in den Kostümen sichtbar wird: Das Liebespaar trägt in Wildbad zunächst strahlend-weiß, bevor sich Maometto die Weste bildhaft immer schmutziger macht, seine Anna schließlich in schwarzer Uniformjacke bedrängt. Uniformjacken und lederne Herrenmenschenmäntel auch bei Calbo und Erisso. Der sarazenische Männerchor trägt Schwarz mit Kapuze – Anspielungen auf islamistische Staaten hat Jochen Schönleber sich dankenswerterweise verkniffen. Allerdings hätte Schönleber aus dem Chor darstellerisch noch mehr rausholen können - auch wenn man wegen der beengten Bühnenverhältnisse in der Neuen Trinkhalle der Kuranlage Wildbad Abstriche machen muss:
    "Um das Ganze aufzubrechen, haben wir diesen langen Steg eingebaut, dass wir einfach so mal Gänge von 20 Meter haben – da kann man auch mal ein bisschen rennen, dann bleibt das Ganze nicht so stehen. Es gibt ja in dieser Oper eine sehr merkwürdige Nummer, wo mitten in einer Musiknummer eine komplette Verwandlung des Bühnenbildes stattfindet! Das ist eigentlich nicht zu leisten, aber man kann auch nicht unterbrechen, das Drama läuft weiter! Und bei uns ist es problemlos möglich durch eine Drehbühne, die verschiedene Einstellungen hat."
    Der "Musikhelfer" Antonio Fogliani
    Für viel Bewegung sorgt auch Dirigent Antonio Fogliani, gemeinsam mit dem tschechischen Orchester Virtuosi Brunenses. Zwar haben die Holzbläser hier öfter mal intonatorische Findungsschwierigkeiten, doch der typisch pulsierende Rossini’sche "Drive", diese beinahe unerträgliche Leichtigkeit des Seins in Tönen, die so schwer in Spannung zu bekommen ist – das hat Fogliani hervorragend herausgearbeitet:
    "Bei Rossini geht es in jeder Hinsicht um die absolute Kontrolle. Es gibt da diesen Mechanismus aus rhythmischen Abläufen, die kontinuierlich vorantreiben. Sie verändern sich ständig – was man wirklich nachvollziehen können muss. Als Dirigent muss man bei Belcanto-Werken - nicht nur bei Rossini – immer der Boss sein! Die Musik hilft einem nicht – Sie müssen vielmehr der Musik helfen, das Interessante darin aufspüren!"
    Sängerfest vor kleinstädtischem Kleinstadt-Idyll
    Der notorisch von Krankheiten und Depressionen geplagte Rossini, der 1856 in Bad Wildbad zur Kur weilte, hätte sicher seine Freude an der "Maometto"-Produktion: Ein Sängerfest vom Feinsten, sorgsam organisiert von einem Belcanto-Experten, ansprechend in Szene gesetzt von einem Rossini-Liebhaber – das alles vor kleinstädtischem Schwarzwald-Idyll. Unbedingt eine Reise wert.