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Maori in Neuseeland
Rückbesinnung auf alte Traditionen

Als die Europäer in Neuseeland das Christentum einführten, verboten sie den Ureinwohnern, den Maori, ihre Sprache und Religion. Inzwischen ist Maori sogar die zweite Amtssprache in Neuseeland und vor allem junge Maori interessieren sich wieder für die alte Religion ihres Volkes.

Von Margarete Blümel | 01.09.2014
    Ein Maori mit einer typischen Gesichtsbemalung und Grimasse.
    Ältere und jüngere Maori bemühen sich, die Kinder schon früh mit den alten Sitten vertraut zu machen. (JOHANNES EISELE / AFP)
    Vor mehr als siebenhundert Jahren erreichten die Vorfahren der Maori in ihren Doppelrumpfkanus die Küste Neuseelands. Die Maori tauften das neu entdeckte Land Aotearoa, "Land der langen weißen Wolke".
    Die Maori stammen von den Polynesischen Inseln im Pazifik. Die Besatzungen der Kanus gehörten unterschiedlichen Stämmen an. Nach ihrer Ankunft im "Land der langen weißen Wolke" zogen die einzelnen Gruppen durch verschiedene Landstriche. Schließlich, vor etwa zweihundert Jahren, trafen die ersten europäischen Siedler in Neuseeland ein. Mit ihrer Ankunft begann eine starke Missionierung der indigenen Bevölkerung. Der Großteil der Maori konvertierte damals zum Christentum.
    "Viele Maori haben inzwischen den Bezug zu ihren Traditionen verloren. Sie wissen nicht, wohin sie gehören. Oft sind sie zudem arm und leben in zerrütteten Familien. Heute versuchen viele jüngere Maori, wieder an traditionelle Werte anzuknüpfen. Sie hegen die Hoffnung, damit ihre Lebensbedingungen entscheidend zu verbessern und die Beziehungen innerhalb der Familien wieder ins Lot zu bringen," betont die neuseeländische Anthropologin Professor Anne Salmond.
    Gute Beziehungen innerhalb der Familie und ein harmonisches Verhältnis zu den Clanmitgliedern sind für Maori ausgesprochen wichtig. Wenn zum Beispiel ein Familienangehöriger in finanzielle Schwierigkeiten gerät, ist es für die Anderen selbstverständlich, den Betroffenen zu unterstützen.
    "In den Augen der Maori ist es die Gesamtheit seiner Beziehungen, die einen Menschen ausmacht - die Verbindungen zu Anderen und zu seiner Umwelt. Damit es dem Individuum gut geht, müssen diese Beziehungen gepflegt werden. Die Religion der Maori ist in keiner Institution organisiert. Die Maori-Religion schließt alles auf der Welt mit ein - an erster Stelle die Menschen, das Land und das Meer."
    "Deutliche Rückbesinnung"
    Mit der Ankunft der europäischen Siedler und der Christianisierung hatte zunächst ein Niedergang der Maori-Kultur eingesetzt. Die Weißen bezeichneten die Sprache der Ureinwohner als rückständig. In den 1960er Jahren gingen Studenten auf die Straße und forderten, Maori als Wahlfach an den Schulen einzuführen. Nach nicht vielen Protesten wurde dies auch in die Tat umgesetzt. Seit 1987 ist Maori die zweite Amtssprache Neuseelands.
    Der Maori-Politiker und Lehrer Professor Pita Sharples:
    "In den letzten zehn Jahren gibt es eine deutliche Rückbesinnung der Maori auf ihre Religion. Zwar sind die meisten von ihnen Christen, aber zugleich leben sie ihre ureigene Spiritualität. Während ihrer Zusammenkünfte orientieren sie sich an den alten Traditionen."
    Die spirituelle Verbundenheit der Maori mit dem Land bringt die Verpflichtung mit sich, alles Leben, alle Seelen, die dort ihre Heimat hatten, zu ehren. Maori glauben, dass alles in der Welt eine Lebenskraft besitzt. Der Mensch nimmt hierbei keine übergeordnete Stellung ein: Ob Flüsse, Berge oder das Meer - alles und alle sind einander ebenbürtig und in irgendeiner Art und Weise voneinander abhängig.
    "Wenn diese Beziehungen aus dem Gleichgewicht geraten, geht es dem Land und den Menschen schlecht. Denn sie sind untrennbar miteinander verbunden."
    Das Land, "Papa", ist die große Mutter; die Götter Haumia und Rongo verleihen ihm seine Fruchtbarkeit. Den Lebewesen des Meeres gebührt Respekt, da sie als Kinder des Meeresgottes Tangaroa angesehen werden. Die Ahnen und Toten stehen unter dem Schutz der Göttin Hinenuitepo. Sie trägt Sorge, dass keinem der Toten ein Leid widerfahren kann.
    Der australische Religionswissenschaftler Professor Garry Trompf:
    "Ähnlich wie andere Glaubensrichtungen Polynesiens sind den Göttern in der Religion der Maori jeweils ganz bestimmte Bereiche zugeordnet. Nachdem Himmel und Erde, die einmal verbunden waren sich trennten, gelangte der Himmel nach oben und die Erde sank mehr und mehr herab. Auf der Erde entstand die Vegetation und es kamen Götter in die Welt. Diese Gottheiten gebieten nun über die verschiedenen Bereiche des Landes und des Meeres. "
    Totenkult von großer Bedeutung
    Nicht nur die Götter, auch die Ahnen haben in der Religion der Maori einen hohen Stellenwert, sagt die Anthropologin Professor Anne Salmond.
    "Einige Vorfahren der Maori sind zu Schutzgöttern geworden - beispielsweise der Gott der Winde. Und damit die Welt im Fluss bleibt, treten die Maori regelmäßig auf verschiedene Weise mit den Göttern und den ihren Ahnen in Kontakt."
    Dabei ist unter anderem der Totenkult von großer Bedeutung. Maori pflegen den Kontakt zu ihren Vorfahren und bezeugen ihnen höchsten Respekt. In diesen Zusammenhang gehört auch die Bedeutung von "tapu". Die Bezeichnung, das etwas "tabu" ist, wurde aus Polynesien auch in unseren Sprachgebrauch übernommen.
    "Mit 'Tapu' bezeichnet man eine besondere spirituelle Kraft, die durch die Anwesenheit der Vorfahren entsteht. In ihrer Gegenwart gibt es Dinge, die man nicht tun kann: Sie sind deshalb tapu - also 'tabu'. Dies muss aber nicht auf jeden zutreffen. So kann sich zum Beispiel ein mächtiger Anführer an Orte begeben, die für andere verboten - also tabu - sind."
    Die Ahnen sind auch an den Versammlungsorten der Maori, den marae, anwesend. Bei allen Zusammenkünften in den marae bedarf es deshalb besonderer Rituale.
    Professor Pita Sharples:
    "Wir glauben, dass jede Person von Schutzgeistern begleitet wird. Oft sind das die Seelen unserer Vorfahren, die zum Teil bereits vor langer Zeit verstorben sind. Deshalb enthalten unsere Begrüßungszeremonien stets ein Ritual zur Entfernung des 'tapu'. Durch dieses Ritual werden die Schutzgeister zusammengerufen und dann verabschiedet, sodass nur die 'wirklich' Lebenden zurückbleiben. Nun können die Besucher das Versammlungshaus betreten. Ein anderes Ritual, bei dem wir uns begrüßen, indem wir unsere Nasen aneinanderpressen, bedeutet, dass wir unseren Atem vermischen. Gastgeber und Vermischung werden so zu einer Gemeinschaft. Ein anschließendes Essen verstärkt dann diese Verbundenheit noch. Dieses Streben nach Gemeinsamkeit liegt allem Handeln der Maori zugrunde."
    Enger Kontakt zum ursprünglichen Stammesgebiet
    In den Maori-Gemeinden der ursprünglichen Stammesgebiete ist ein Wandel zu beobachten. Ältere und jüngere Maori bemühen sich, die Kinder schon früh mit den alten Sitten vertraut zu machen. Die Kinder erlernen das Lenken des "Waka", des Kanus. Die Techniken des "moko", der Maori-Tätowierung, leben ebenfalls wieder auf. Und auch der "Haka", der traditionelle Tanz, kommt bei alldem nicht zu kurz. Doch nicht nur in den ländlichen Gemeinden spüre man eine Veränderung, sagt Professor Anne Salmond.
    "An unserem Versammlungsort auf dem Universitätsgelände üben unsere Studenten den 'Haka' - und das sehr leidenschaftlich. Es findet also auch eine Rückbesinnung auf die alten Traditionen in den Städten statt. Für viele dieser jungen Leute ist es außerdem inzwischen wichtig, engen Kontakt zu ihrem ursprünglichen Stammesgebiet zu halten."