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Mapuche in Chile
Kettensägen gegen Baumgeister

Etwa jeder zehnte Chilene zählt sich zu den Mapuche. In ihrer Kultur und Religion spielt die Natur eine zentrale Rolle. Doch die wird unter anderem durch Forstunternehmen bedroht. Einige Mapuche wehren sich, fordern "ihr" Land zurück – und landen im Gefängnis.

Von Sophia Boddenberg |
    Peñi Juan lebt am See Lleu Lleu.
    Peñi Juan lebt am See Lleu Lleu. (Deutschlandradio / Sophia Boddenberg)
    "Ich heiße Juan Huchalau. Wir sind hier am See Lleu Lleu. Ich bin Lonco der Gemeinschaft hier in der Araucanía. Der See Lleu Lleu ist einer der saubersten Seen Südamerikas. Wir pflegen unsere Seen. Hier können die Mapuche baden und sich heilen. Denn das Wasser ist heilig und spirituell."
    Juan Huchalau gehört zu den Mapuche, dem größten indigenen Volk in Chile. Alle nennen ihn "Peñi Juan", "Bruder Juan". Er trägt einen dicken gestreiften Poncho aus Schafswolle und hat ein Stoffband um die Stirn gebunden. Seine Haut ist ledrig, seine dunklen Haare fallen ihm ins Gesicht. Er lebt in der Araucanía-Region im Süden Chiles, wo sich ursprünglich das Territorium der Mapuche befand, das "Wall Mapu". Mapuche heißt in ihrer Sprache Mapudungun so viel wie "Menschen der Erde".
    "Die Erde ist heilig"
    Die Spiritualität und die Verbindung zur Natur sind die Grundlagen der Kultur der Mapuche. Obwohl der Großteil von ihnen sich dem Christentum zugehörig fühlt, haben klassische Rituale weiterhin eine zentrale Bedeutung. Es gibt verschiedene spirituelle Autoritäten: Die oder den "Machi", was sich mit Heiler oder Heilerin übersetzen lässt, und den oder die "Lonco". Die Machis sind häufig Frauen und die Loncos meistens Männer.
    "Ein Lonco ist ein Anführer. Aber nicht, weil er es sein will, sondern es wird durch die Familie vererbt. Der Lonco hat eine spirituelle Gabe, so wie die Machi. Der Lonco interpretiert, was die Machi sagt und die Machi spricht mit der Natur und mit den Geistern des Wall Mapu. In der Kultur der Mapuche gab es keine Ärzte. Die Machis waren die Ärzte. Sie heilen die Mapuche spirituell. Wir sind mit der Natur aufgewachsen. Wir haben Kraft. Aber sie haben uns das ganze Land weggenommen."
    Kampf um "heiligen Boden
    Mit "sie" meint Peñi Juan die spanischen Eroberer, den chilenischen Staat und die Forstunternehmen. Die Mapuche setzten sich lange erfolgreich gegen die spanischen Eroberer zur Wehr und behielten ein unabhängiges Territorium. Aber nach der chilenischen Unabhängigkeit brachen die staatlichen Truppen den Widerstand. Sie übergaben den Großteil des Landes, das reich an natürlichen Ressourcen ist, an chilenische und ausländische Siedler. Viele Mapuche wurden vertrieben. Der Urwald wich Wasserkraftwerken, Eukalyptus- und Kieferplantagen für die Holzindustrie, industriellen Anlagen zur Lachszucht und Müllhalden.
    Auch der See Lleu Lleu befindet sich nicht im Besitz der Mapuche, sondern gehört dem Forstunternehmen Mininco. Der See ist rund 4000 Hektar groß, ungefähr halb so groß wie der Chiemsee. Der See ist Lebensgrundlage für Tiere, Pflanzen und Menschen. Er hat auch eine spirituelle Bedeutung für die Mapuche. Für sie hat er einen "ngen", einen Geist, so wie alles in der Natur. Jeder Baum, jeder Berg, jedes Tier hat für die Mapuche einen Geist und ist Teil der "Ñuke Mapu", der Mutter Erde und des Kosmos. Viele Mapuche halten hier am See Rituale ab und baden, um sich spirituell zu reinigen. Peñi Juan will deshalb das Forstunternehmen Mininco vertreiben.
    Der See Lleu Lleu hat eine spirituelle Bedeutung für die Mapuche.
    Der See Lleu Lleu hat eine spirituelle Bedeutung für die Mapuche. (Deutschlandradio / Sophia Boddenberg)
    "Unseren Brüdern gehört die Erde vom Meer bis zu den Bergen. Wir wollen, dass sie wieder die Besitzer sind, dass sie hier leben können, ihre Häuser und Boote hier haben können. Die Erde gehört zu uns. Die Erde ist heilig."
    Sonne, Mond und Sterne
    Es ist sieben Uhr morgens und fängt gerade an zu dämmern. Cristian ist Machi und hält ein Morgenritual ab. Er trommelt auf einem der wichtigsten spirituellen Instrumente der Mapuche: dem "kultrún". Die Trommel hat die Form einer Halbkugel, die aus Holz geschnitzt und mit Leder bezogen ist. Auf dem Leder sind die vier Himmelsrichtungen und die vier Jahreszeiten eingezeichnet, die Sonne, der Mond und die Sterne. Die Trommel repräsentiert die Erde und den Kosmos. Sie ist in allen Ritualen der Mapuche präsent und soll eine Verbindung zwischen dem Machi, der Erde und dem Universum herstellen. Cristián ist Ende 30, hat lange Haare und breite Schultern.
    "Die frühen Morgenstunden, die Dämmerung, ist die wichtigste Tageszeit für die Spiritualität. Wenn die Sonne im Osten aufgeht, kommt das Licht, beginnt das Leben und gleichzeitig sind der Mond und die Sterne da. Alles fließt in diesem Moment zusammen. Die ganze Energie des Planeten ist so koordiniert, dass man sich mit allen Elementen verbinden kann, besser als am Mittag."
    Eins mit der Natur
    Cristian fällt es schwer, die Spiritualität der Mapuche zu erklären. Denn er sagt, dass sie einfach überall sei. Der ganze Lebensstil der Mapuche sei spirituell, auch die Sprache Deshalb sei es schwierig, auf Spanisch über die Spiritualität zu sprechen. Als Machi hat er eine wichtige spirituelle Aufgabe.
    "Ich bin ein Instrument für die Medizin und die Spiritualität der Gemeinschaft. Ich bin ein Instrument, um die 'lawen', die Heilkräuter, mit den Menschen zu verbinden. Ich wurde dazu geboren. Schon in der Gebärmutter ist das vorbestimmt. Und wenn man älter ist, entwickelt man sich weiter. Als Machi kann ich die Energie der Pflanzen wahrnehmen. Ich kann sie um Hilfe bitten, um jemanden zu heilen, oder um den kollektiven spirituellen Prozess der Gemeinschaft zu unterstützen."
    "Gefahr für den Staat"?
    "Lasst die Machi frei", rufen die Menschen in den Straßen Temucos, der Hauptstadt der Araucanía-Region. Sie sind hier wegen Francisca Linconao, der berühmtesten Machi in Chile. Sie ist 60 Jahre alt und kämpft seit Jahren für den Erhalt der Wälder und die Rechte der Mapuche. Vor neun Jahren gewann sie einen Gerichtsprozess gegen ein Forstunternehmen, das in ihrer Gemeinde den Wald rodete. Sie berief sich dabei auf ein internationales Abkommen, das Chile unterzeichnet hat. Es soll den indigenen Völkern garantieren, ihre Identität, Sprache und Religion zu bewahren. Francisca Linconao fühlte sich durch das Holzunternehmen in der Ausübung ihrer spirituellen Rolle als Machi eingeschränkt. Daraufhin wurde sie verhaftet und eines Brandanschlags beschuldigt. Im August begann der Gerichtsprozess. Ingrid Conejeros ist die Sprecherin von Francisca Linconao. Für sie ist die Verhaftung der Machi ein exemplarischer Fall für die Verfolgung der Mapuche.
    Für Francisca Linconao ist es sehr wichtig in Verbindung mit der Natur zu sein, denn sie arbeitet mit Heilpflanzen.
    Für Francisca Linconao ist es sehr wichtig in Verbindung mit der Natur zu sein, denn sie arbeitet mit Heilpflanzen. (Ingrid Conejeros)
    "Sie stellt eine Gefahr dar für den Staat und die Unternehmen, eine Bedrohung. Sie hat das internationale Abkommen genutzt – das von den Unternehmen gefürchtet wird für uns so wertvoll ist – um unsere heiligen Orte zu beschützen. Sie ist die erste Frau, die so etwas erreicht hat."