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Mara und Dann

Glücklicherweise sind wir enorm flexibel. Wir schaffen es, zu überleben. Wir haben immer überlebt. Unsere Geschichte besteht darin, Katastrophen zu überleben. Das können wir gut. Deshalb bin ich optimistisch.

Elke Heinemann |
    Was geschieht, wenn sich die Menschen aufgrund einer neuen Eiszeit in die Gürtelzone der Erde zurückziehen müssen? Was bleibt von Hochkulturen übrig, die sich zwischen verschiedenen Eiszeiten entwickelt haben? Doris Lessing ist diesen Fragen in ihrem neuen Roman "Mara und Dann" nachgegangen - einem Buch in der Tradition ihrer "space fiction", in der sie aktuelle Probleme in ferne, zukünftige Gebiete verlegt.

    "Space fiction" ist ein literarisches Mittel, um das aktuelle Geschehen zu kommentieren. Wie der größte Teil der "science-fiction"-Literatur ist "space fiction" ein zeitbezogener Gesellschaftskommentar. Es ist falsch, zu glauben, es ginge hier um eine Art Weltflucht, verstehen Sie. Nein, das ist es ganz und gar nicht. Schließlich verdanken wir der "science-fiction"-Literatur einige der besten Kommentare zu unserem Zeitgeschehen.

    Daher lässt sich die Geschichte von Mara und Dann als die Geschichte einer Umweltkatastrophe lesen, vor der heute viele warnen. Sie spielt in einem semifiktiven Afrika, das hier "Ifrik" heißt. Die Vergiftung der Meere, die Ausrottung von Tierarten, die Vernichtung der Regenwälder, die Verschwendung von Ressourcen haben in der nördlichen Hemisphäre zu einer neuen Eiszeit gerührt, während der Süden allmählich völlig verdörrt. Kriege werden um knappes Trinkwasser, Herrscher von halbverhungerten Rebellen entmachtet. So auch das königliche Geschwisterpaar Mara und Dann, das seinen Verfolgern entkommt und sich auf eine abenteuerliche, viele Jahre dauernde Reise zur Nordküste des Landes begibt.

    Warum hatten sie den Weg nach Norden eingeschlagen, wenn nicht, um so etwas zu finden, etwas, das besser war als alles, was sie je für möglich gehalten hatten? Vor allem Wasser: Wasser, das man nicht tropfenweise oder zumindest tassenweise abmessen musste; Wasser, das in großen Fässern an den Straßenecken stand, damit die Leute aus großzügigen hölzernen Kellen trinken konnten, die bereit hingen; Wasser, das durch Schilfrohre in die Häuser lief; Wasser, das in den vielen Brunnen plätscherte; Wasser, das ganz nahe in wohltätigen Flüssen floss; Wasser in den öffentlichen Bädern, die es in jeder Straße gab; Wasser, das bereitwillig vom Himmel fiel - Wasser, das man für selbstverständlich hielt wie Luft. Und wegen des Wassers überall gesunde Leute und Kinder...

    Die Autorin des Buches, Doris Lessing, ist in Afrika aufgewachsen, wo verseuchtes Wasser und verdorbene Nahrungsmittel Epidemien auslösen, Menschen und Tiere während langer Trockenzeiten umkommen. Neben Bezügen zur erlebten Realität enthält ihr Roman über Mara und Dann auch märchenhafte Elemente: So treffen die Geschwister hundsgroße Scherenkäfer und hungrige Wasserdrachen. Sie besitzen Kleider und Geschirr aus unzerstörbarem Material sowie 50 Goldmünzen einer erloschenen Hochkultur. Mara erfährt, dass die hochentwickelten Nordländer, die während der letzten Eiszeit umkamen, keine anderen Spuren hinterlassen haben. Sie ahnt, dass die Menschen im Süden Ifriks ein ähnliches Los erwartet, da hier der Hitzetod droht. Wie ihre Schöpferin, Doris Lessing, sieht sie mögliche Folgen der gegenwärtigen Situation voraus:

    Ich habe mich im Geiste sehr oft mit dem Geschehen unserer Zeit beschäftigt. Und man schreibt über das, worüber man nachdenkt. Wissen Sie, die Leute sagen: Ah, sie ist eine Prophetin! Sie sagen das sehr oft von Schriftsteilem. Aber es liegt vielmehr daran, dass man viel über etwas nachdenkt und sich Ideen öffnet, auf die andere gar nicht kommen. Die Leute lieben natürlich die Vorstellung von Propheten und Gurus und weisen Männern und Frauen - was sehr gefährlich ist. Ich erinnere mich an ein Treffen in Amerika. Ich hatte ein Exemplar der Zeitschrift "New Scientist" dabei, eine ein wenig populärwissenschaftliche Zeitschrift. Und man fragte mich: Wie können Sie das alles nur voraussehen? Und ich sagte: Schauen Sie, es steht im "New Scientist", es steht da schon seit einem Jahr. Warum nennen Sie mich eine Prophetin?

    Wie eine Prophetin wirkt auch Mara, die ihre Freunde dazu überredet, gemeinsam mit ihr und ihrem Bruder höher in den Norden des Landes zu ziehen. Immer wieder werden die Geschwister getrennt, immer wieder entgehen sie Mord, Vergewaltigung, Hungertod, bevor sie die fruchtbare Nordküste erreichen, wo sie ihre angestammten königlichen Ämter zurückweisen und eine einfache Farm beziehen. Doris Lessing vermag es, die Abenteuer dieser Reise auf mehr als fünfhundert Seiten spannend zu schildern. Ihre Phantasie malt Gebiete aus, die wie eine Mischung aus afrikanischem Busch und Fabeltierland wirken. Ihr Buch trägt die Züge eines historischen Romans, der bevölkert wird von den Gestalten eines Albtraums. Eine Prosa, die sowohl durch die Detailgenauigkeit der Beschreibung besticht, als auch durch die Verästelung der Handlung, da die Leser, wie in den uralten, ineinander verschachtelten "Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht", immer wieder in neue Geschichten geführt werden. Trotz der Betonung des Märchencharakters ist der Bezug zu ökologischen Problemen unserer Zeit offensichtlich: Und so endet das Buch nicht mit dem Satz "Und sie lebten glücklich und in Freuden", mit dem alle Märchen enden, die Mara in einem alten Buch gelesen hat. Vielmehr bestimmt Doris Lessing ihre Protagonisten dazu, weiter an die Schrecken der Gegenwart zu denken:

    Nun, was erleben wir denn Ihrer Ansicht nach? Ich finde nicht, dass diese Welt sehr gemütlich ist. Es ist sehr nett im Westen. Wir erleben ein Höchstmaß an Wohlstand - die meisten Leute jedenfalls. Aber so sieht es nicht im Rest der Welt aus. Kontinent um Kontinent: Es ist kein hübsches Bild. Wir kennen all die Gefahren, ich brauche sie nicht aufzulisten. Angefangen mit der Art und Weise, wie wir die Meere vergiften und den Boden und so weiter. Ich glaube nicht, dass wir Anlass dazu haben, selbstgefällig zu sein. Aber wir sind selbstgefällig. Das wissen wir alle. Die Frage ist: Können wir etwas verändern? Es scheint mir, verstehen Sie, und das ist das Problem, dass wir glauben, wir hätten alles im Griff, könnten alles kontrollieren, aber das stimmt nicht. Wir laufen uns selbst hinterher, die ganze Zeit über laufen wir unseren Erfindungen hinterher, wir versuchen, ihnen zu folgen, gerade versuchen wir, mit den Implikationen des Internets mitzuhalten. Vielleicht schaffen wir es. Wer weiß.