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Marcel Broodthaers

Der belgische Künstler Marcel Broodthaers war lange Zeit als Geheimtip nur Kennern bekannt. Seit der Wiederentdeckung des 1924 in Brüssel Geborenen und 1976 in Köln Gestorbenen durch die "documenta X" taucht sein Name in vielen Diskussionen und auf zahlreichen Ausstellungen zeitgenössischer Kunst wieder auf. Dennoch kann man sich nur schwer einen Eindruck von seinem Werk machen. Die in Kassel gezeigten, scheinbar wahllos zusammengetragenen Bilder von Adlern in Kunst, Politik und Werbung; rätselhafte Objekte aus Eierschalen und Muscheln, hier und da verstreute Tafeln mit witzigen bis unsinnigen Kombinationen von Wörtern und Bildern: Zusammenhängendes über Geschichte oder Gesamtwerk des Künstlers war bislang kaum zu erfahren.

Michael Wetzel |
    Um so erfreulicher, daß jetzt die erste Monographie zum Werk von Marcel Broodthaers erschienen ist. Das reichlich bebilderte und ausgezeichnet recherchierte Buch von Dorothea Zwirner hat einen, gerade für das Verständnis der Arbeiten von Broodthaers, unverzichtbaren Vorzug. Es verfügt über gründliche Kenntnisse der Lebens- und Werkgeschichte, die sich die Autorin in zahlreichen Gesprächen mit der Ehefrau des Künstlers sowie mit noch lebenden Freunden, Kollegen und Sammlern seiner Arbeiten erworben hat. Für Broodthaers ist dieser biographische Zugang unverzichtbar, zeichnet sich doch sein Werk gerade durch eine - paradox gesprochen - Werklosigkeit aus. Broothaers Schaffen steht in einer Tradition, die nicht mehr Meisterwerke für die museale Nachwelt schaffen will, sondern die Institution des Kunstbetriebes selbst in Frage stellt. Wichtiger ist ihr die künstlerische Aktivität, wie schon der Stammvater dieser Tradition, Marcel Duchamp, betonte. Dieser hatte bereits während des Ersten Weltkrieges beschlossen, mit dem Malen aufzuhören: Alles, was er bis zu seinem Tode 1968 noch schuf, bewegte sich auf der Ebene von konzeptuellen Entwürfen, intellektuellen Konstruktionen, deren Realisierung zweitrangig war. Broodthaers, der in den 60 und 70er Jahren einen Weg zwischen Popart und Konzeptualismus suchte, machte sich diese Maxime zu eigen. Auch er richtete sein Augenmerk nicht auf die Schaffung eines ausstellbaren Oeuvres, sondern verstand sich eher als Inszenator und Organisator von künstlerischen Ereignissen beziehungsweise Situationen. Dies bedingt eine nicht unerhebliche Schwierigkeit für die Rekonstruktion seiner Arbeiten. Wo es Dokumente der Ausstellungen oder Auftritte gibt, werden diese in ihrer Vieldeutigkeit oft zu Rätseln. Dies beginnt schon bei der Einordung des Künstlers. Ursprünglich zum Dichter berufen, beginnt er erst Mitte der Sechzigerjahre, den Ausdrucksmitteln der bildenden Künste Vorrang zu geben. Der spektakuläre Akt, mit dem er 1964 die Restauflage seines Gedichtbandes Pense-Bête in einem Gipssockel zur letzten Ruhe bettete, war aber kein definitiver Abschied von der Wortkunst. Sie bleibt vielmehr auch in seinen bildnerischen, collagierenden, plastischen oder installatorischen Arbeiten beherrschend.

    Es war gerade die höchste Kunst des Brüsseler Multitalents, sich auf kein bevorzugtes Ausdrucksmittel und keine traditionelle Bezeichung - etwa als Maler oder Bildhauer - festzulegen, sondern im Wechsel der Medien und Töne, genauer im Dazwischen sich einzunisten. Er spielte dabei mit den beiden Materialien von Wort und Bild und wechselte zwischen den verschiedendsten Medien, wie Büchern, Zeichnungen, Bild- und Objekt-Collagen, Photographien, Filmen. Zwirner betont dabei gerade die gelungene Verbindung von konzeptueller Sprödigkeit und sinnlicher Qualität als besonderen Zug der broodthaersschen Vorgehensweise.

    Wichtiger noch als die Einzelobjekte war hierfür ihre Präsentation, die für Broodthaers selbst Teil seines Schaffens darstellte. Zwirner sieht darin vor allem die entscheidende Überschreitung des Kunstwerkes als Vorstellung und Darstellung, nämlich in Richtung einer Position des Künstlers als erkennendes Subjekt. Broodthaers versucht mit der Selbstinszenierung seiner Kunst, der Rezeption vorwegzugreifen und seiner eigenen Rolle als Schaffender gegenüber Distanz einzunehmen. Die multimedialen Vernetzungsstrategien problematisieren die Repräsentation von Kunst: Der Künstler ironisiert und entlarvt zugleich die Macht - und das heißt Marktmechanismen, die Kunst zu Kunst werden lassen, - indem er beispielsweise Alltagsgegenstände verfremdet oder seine Unterschrift selbst zum Kunstwerk erklärt.

    Broodthaers subversive Strategien sind vielfältig: Er schlüpfte sogar in die Rolle des Museumsdirektors, machte sich in theoretischen Publikationen, seinen offenen Briefen oder seinen Interviews zum Selbstinterpreten. In einem fröhlich vielgesichtigen Rollenspiel verschmelzen so die ansonsten streng getrennten Positionen von "Entstehung, Vermittlung, Verstehen": Der Künstler selbst untersucht zugleich die inneren und äußeren Rahmenbedingungen seiner Schöpfungen, ihrer institutionellen Vermittlung und ökonomischen Vermarktung, um nicht zuletzt noch durch den Kunstkommentar seine eigene Informationspolitik zu betreiben. Er fungiert also auch als Theoretiker, als Betrachter, ja als Manager seiner selbst.

    Eine besondere Rolle kommt in Zwirners Darstellung der zeichentheoretischen Spiele mit Wort- und Bildsinn zu, wie Broodthaers sie im Anschluß an seinen Landsmann René Magritte ad absurdum treibt. Beliebt sind hierfür Muscheln, Eier und auch Pommes Frites, die der Künstler für Collagen oder Montagen verwendet. Neben der Anspielung auf die typisch belgischen Moules und Frittes und die damit nostalgisch verklärte Kultur des Einfachen, Urwüchsigen, spielt Broodthaers hemmungslos mit den Nebenbedeutungen der französischen Wörter wie Moule, das in männlicher Form auch Gußform bedeutet und damit den figürlichen Kontext künstlerischer Bildung aber auch sozialer Formung thematisiert. Zwirner erinnert auch an die allegorische Aufgeladenheit solcher kultureller Archetypen wie Ei oder Muschel, deren Wiederbelebung zu einem Bruch mit dem traditionellen, darstellenden Bild-Begriff führt: Broodthaers "Bilder" spielen immer auch mit der begrifflichen Spannung zwischen Vorstellung und Einbildung; sie sind "Ausdruck dieser Bewegung des Bildens, die das Verhältnis zwischen Vorbild und Abbild immer neu zu bestimmen sucht."

    Das Buch verdeutlicht darüber hinaus Broodthaers Interesse an historischen, soziologischen und anthropologischen Fragestellungen der Kunst durch seine vielfältigen Spielformen fiktiver Museen. Die erste Installation des sogenannten "Museums der Modernen Kunst, Abteilung des 19. Jahrhunderts" fand 1968 in der Brüsseler Wohnung des Künstler statt. Als Ausstellung gerade der Rahmenbedingungen von Ausstellungen zeigte sie allerdings nur Transportkisten für Kunstwerke mit aufgeklebten Kunstpostkarten von Gemälden des 19. Jahrhunderts, wie man sie in den Museumsshops kaufen kann. Es folgten vielfältige Variationen dieser Form, unter anderem die 1972 in Düsseldorf realisierte Version mit dem Untertitel "Abteilung der Figuren: Der Adler vom Oligozän bis Heute". Sie wurde zugleich als Dokumentation durch Photographien der Exponate, Informations- und Werbematerial auf der "documenta 5" in Kassel gezeigt. Broodthaers hatte als Leihgaben anderer Museen und Sammlungen über 300 Adlerdarstellungen zusammengestellt, die dieses symbolträchtige Tier in allen Bereichen der politischen Emblematik, der Kunst, der Werbung und des Kitsches wiederentdeckten.

    Zwirner verdeutlicht an diesem und anderen Beispielen das broodthaersche Verfahren, auf dem Wege von Fiktion und Simulation, das heißt durch poetische Momente politische Kritik zu formulieren. In diesem Sinne wird auch Broodthaers' Verhältnis zu anderen, politisch orientierten Künstlern seiner Zeit beleuchtet. Interessant ist hierbei die Kontroverse mit Beuys, dessen fundamentalistischer Hang zum Gesamtkunstwerk Broodthaers suspekt war - ein Konflikt, der - denkt man an den Fall Anselm Kiefers - an Aktualität nichts eingebüßt hat.