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Marcel Wanders im Stedelijk
Die Poesie des Designs

Seit 25 Jahren im Geschäft, ist der Designer Marcel Wanders inzwischen einer der weltweit umtriebigsten Vertreter seiner Zunft. Im Amsterdamer Stedelijk Museum lässt sich der Niederländer, der auch als "Lady Gaga der Designwelt" bezeichnet wird, mit einer Gesamtwerkschau feiern.

Von Kerstin Schweighöfer |
    Der niederländische Design-Papst Marcel Wanders zwischen zwei seiner "Knotted Chairs" im Amsterdamer Stedelijk Museum.
    Design-Papst Marcel Wanders zwischen seinen "Knotted Chairs" (EPA/KOEN VAN WEEL)
    Der Lampenschirm an der Decke könnte aus einer gotischen Kathedrale stammen. Er hat nicht nur die Form einer Kirchenglocke, er ist auch so gross. Daneben eine gehäkelte Zimmerpflanze - ein Kaktus, zwei Meter hoch. Auch der Sessel weiter rechts gleicht einer steif gewordenen Häkeldecke aus Patchworkteilen, ganz in Weiss. Der Wandteppich dahinter hingegen, der ist quietschbunt und über und über mit funkelnden Strasssteinchen besetzt.
    Willkommen im Rausch der Sinne! Wer sich ins Untergeschoss vom Stedelijk Museum in Amsterdam begibt, schwelgt in Formen und Farben, sperrt Augen und Ohren auf. Das alles zu den Klängen dramatischer Musik, die speziell für diese Ausstellung komponiert wurde.
    Kein Wunder: Der Mann, der sich hier mit seiner bislang größten Übersichtsausstellung feiern lässt, der kleckert nicht, der klotzt. Nicht umsonst wird Marcel Wanders auch als Lady Gaga der Designwelt bezeichnet, erklärt Kuratorin Ingeborg de Roode, die die Schau zusammengestellt hat:
    "Die 'New York Times' hat ihm dieses Prädikat verpasst, wegen seiner nicht versiegenden Schaffenskraft, es ist ein grosses Kompliment. Wanders ist einer der wichtigsten und kreativsten Designer der Welt, er ist auf diesem Gebiet ein Weltstar."
    Wanders selbst erschien zur Ausstellungseröffnung wie immer in einem selbstgeschneiderten schwarzen Anzug. Unter der weiten Marlene Dietrich-Schlaghose knallbunt gemusterte Schuhe, im Ausschnitt eine Holz- und Glasperlenkette in Regenbogenfarben – das Rainbow Necklace, ein weiteres Markenzeichen.
    Das Stedelijk als Ritterschlag
    Der lang aufgeschossene Niederländer kann es kaum fassen, im Stedelijk auszustellen. Das zu toppen, sei so gut wie ausgeschlossen. 400 Arbeiten hat er zusammen mit Kuratorin de Roode für die Schau ausgesucht, darunter seine berühmte Eiervase. Sie entstand, nachdem er hart gekochte Eier in ein Kondom gesteckt hatte. Zu haben in small, medium und large.
    Auch jene Arbeiten, die ihm den Durchbruch besorgten, fehlen nicht: allen voran der "Knotted Chair", der geknüpfte Stuhl, bei dem Wanders als Erster traditionelle Handwerks- und Handarbeitstechniken wie Makramee mit Hightechmaterial kombinierte. Das ist seine Spezialität: Erinnerungen an die Vergangenheit wecken und damit ein Gefühl der Vertrautheit – und dieses dann verfremden, um etwas völlig Neues und Überraschendes zu schaffen. Auf diese Weise hofft er, dass die Menschen seinen Arbeiten treu bleiben und nicht nach ein paar Jahren wegwerfen. Denn gutes Design, sagt Wanders, hat nicht nur poetisch und romantisch zu sein, sondern auch nachhaltig:
    "Das ist nicht immer möglich, ein Apple iPhone zum Beispiel ist in fünf Jahren überholt. Ein Stuhl hingegen nicht! Gutes Design darf auch ruhig schön sein. Denn wer genau hinschaut, der erkennt, dass Schönheit ein Botschafter der Liebe ist!"
    Völlig neu ist der rabenschwarze "Carbon Balloon Chair" aus einem innovativen Material, einem Kohlenstoffgewebe. Aufgeblasen ähnelt es länglichen Luftballons, wie sie Clowns gerne verwenden und dann zu Hunden oder anderen Figuren verdrehen und verknoten. Wanders hat daraus einen Stuhl gemacht und mit Epoxyharz fixiert, federleicht, nur 800 Gramm schwer, sagt Kuratorin de Roode.
    Der letzte Teil der Schau ist Wanders Erfolg als Art Director gewidmet, den er seit 2001 mit seinem Designlabel MOOOI feiert: Ziel war es, Design wieder funktioneller zu machen, unter die Leute zu bringen. Als einer der ersten hat Wanders deshalb seine Entwürfe in Broschüren und Anzeigen frech und sprühend wie Mode präsentiert und der bis dahin eher grauen Möbelbranche den Flair und Glamour der catwalks verliehen. Das hat ihm den Vorwurf eingebracht, auch von Kollegen, zu kommerziell zu sein. Aber davon will Wanders nichts wissen:
    ”Designer haben nun einmal mit Firmen zu tun, die ihre Entwürfe auf den Markt bringen. Deshalb muss ein Teil von ihnen kommerziell denken. Wir Designer verurteilen einander viel zu schnell, anstatt voneinander zu lernen! Wir sollten einander Luft zum Atmen geben - Luft für neue Ideen!