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Margrit Schmid + Alice Schmid: I killed people - Wenn Kinder in den Krieg ziehen.

Die Bilanz ist erschreckend: Zur Zeit befinden sich mehr als 300.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren als Soldaten im Kampfeinsatz. Viele müssen direkt an der Front kämpfen. Andere werden als Spione, Boten, Späher, Träger, Diener und Sexsklaven missbraucht. Häufig werden sie zwangsweise rekrutiert oder durch Armut, Diskriminierung und Entfremdung in die bewaffneten Einheiten getrieben. Mit dem globalen Problem "Kindersoldaten" beschäftigt sich das Buch von Margrit und Alice Schmid: "I killed people".

Gaby Mayr | 22.10.2001
    Sie sind zwölf, neun oder sieben Jahre alt, wenn sie das erste Mal eine Waffe in der Hand halten: Kindersoldaten - in mehr als 40 Ländern, zum Beispiel in Liberia. In dem westafrikanischen Land tobte in den neunziger Jahren ein Krieg zwischen ein paar machthungrigen Männern, die ihre bewaffneten Gruppen gegeneinander kämpfen ließen. 1996 wurde im siebten Anlauf ein Waffenstillstand erreicht. Bei der Entwaffnung und Demobilisierung der 40.000 Kämpfer stellte sich heraus, dass mehr als ein Drittel Jungen und Mädchen unter 18 waren. Die Schweizer Filmemacherin Alice Schmid war in Liberia und hat einen Film mit einstigen Kindersoldaten gedreht. Ihre Schwester Margrit Schmid, ebenfalls Filmschaffende, hat das Material zum Ausgangspunkt eines Buches gemacht: "I killed people - wenn Kinder in den Krieg ziehen".

    "Als meine Schwester diesen Film gemacht hat, haben wir zum ersten Mal zusammengearbeitet, dass ich ihr diesen Film geschnitten habe. Es ist eine sehr schwierige Arbeit gewesen, aus diesen Interviews, diesen Gesängen, was sie aufnehmen konnte in Liberia, und diese Tänze, die sie mit jugendlichen Straßentänzerinnen in Liberia gemacht hat, die auch Kindersoldaten waren, aus dem eine Art Dokumentarfilm zu machen. Und dann fand ich, es sei notwendig, Hintergrundmaterial zu liefern zu diesem Thema."

    Das Buch enthält beides: Informationen zum Thema Kindersoldaten und fünf Interviews mit den heute 17- bis 22jährigen Kriegsveteranen.

    "Maud, zum Beispiel, hatte eine führende Rolle im Krieg. Sie war eine Art Hauptmann, Hauptfrau. Sie sagte, sie habe geschossen, aber nie gesehen, auf was sie schießt. Aber dieses Mädchen Joséphine, die eine von diesen ganz einfachen Soldatinnen war, sie sagt, dass sie geschossen hat, sagt: Ich habe getötet. Sie weiß es, und sie kann sich erinnern. Viele aber haben sich betäubt, vor allem diese jungen Männer, die noch Knaben waren, denen Drogen abgegeben wurden und die auch grässliche Sachen unter sich und mit Menschen auch in ihren eigenen Dörfern, wo sie vorher gelebt haben, unter Drogen gemacht haben."

    Kinder und Jugendliche wurden Soldaten, weil sie vor der Alternative standen: Mitmachen oder getötet werden. Manche wollten mit dem Eintritt in eine bewaffnete Gruppe die Familie vor Gewalttaten schützen. Viele Kindersoldaten wurden dann als erstes zu Gewalttaten gegen Familienmitglieder gezwungen. Damit sollte ihnen eine Rückkehr nach Hause unmöglich gemacht werden. Gewalt herrschte auch innerhalb der bewaffneten Einheiten:

    "Sexuelle Gewalt war offenbar ein Teil unter diesen Machtkämpfen innerhalb dieser Gruppen von Soldaten. Unter sich haben sie sich dann noch gequält. Die Mädchen, die sprechen das aus, was ihnen passiert ist. Sie sprechen mit ich. Bei den Jungen, die sagen, man hat das gemacht. Die sprechen das nicht direkt aus."

    In einem Alter, in dem andere Kinder zur Schule gehen, haben Maud und Joséphine, Glasgow und John gelernt, wie man tötet. Heute leben sie in zerschossenen Häusern und auf den Straßen der Hauptstadt Monrovia. Von Schulbesuch und Ausbildung, die ihnen ihre Anführer einst versprochen haben, ist keine Rede mehr.

    "Wenn man diesen blinden Jungen da hört, der sagt, wenn er nichts zu essen hat, muss er etwas zu essen nehmen, weil er ein Mensch ist und essen muss. Da bekommt man so ein Verständnis für diese Art von Gewalt. Und diese Maud zum Beispiel, diese junge Frau, lebt davon, dass sie den Regierenden, diesen Männern, die an der Regierung sind, ehemalige Kriegssoldatinnen vermittelt als Prostituierte."

    Neben den Interviews mit den ehemaligen Kindersoldaten in Liberia liefert das Buch Fakten, zum Beispiel über Kindersol-daten in Europa. Ob im Dreißigjährigen Krieg oder in der deutschen Wehrmacht gegen Ende des Zweiten Weltkrieges - Kinder und Jugendliche wurden auch in Europa in den Kampf geschickt. Vor allem aber informiert die Autorin über die Bemühungen der Koalition für die Beendigung des Einsatzes von Kindersoldaten. Die in der Koalition zusammengeschlossenen Menschenrechtsorganisationen, darunter amnesty international und terre des hommes, wollen jeglichen Einsatz von Menschen unter 18 in irgendwelchen militärischen Zusammenhängen ächten. "Straight 18 - wirklich 18" lautet ihre Forderung. Im Jahr 2000 wurde in Genf ein Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen verhandelt. Darin ging es auch um eine Heraufsetzung der Altersgrenze für Soldaten von 15 auf 18 Jahre. Die USA und Großbritannien waren dagegen - sie haben in ihren eigenen Armeen minderjährige Militärangehörige. Die deutschen Diplomaten schwiegen bei den Verhandlungen meist. Unterstützung für "straight 18" aber war vor allem vom Vertreter des Verteidigungsministeriums nicht zu erhalten. Die Regelung, der schließlich auch die USA und Großbritannien zustimmten, besagt, dass keine Zwangsrekrutierungen von unter 18jährigen stattfinden dürfen. Freiwillige dürfen auch weiterhin jünger als 18 sein. Im Herbst 2000 hat Bundeskanzler Schröder das Zusatzprotokoll unterzeichnet. Bevor das Dokument ratifiziert werden kann, steht noch eine Auseinandersetzung zwischen mehreren Bundesministerien ins Haus. Denn jeder Staat muss eine "verbindliche Erklärung" abgeben, welches Mindestalter er für seine Freiwilligen festlegt. Einige Mitglieder der Bundesregierung sind - anders als das Verteidigungsministerium - sehr wohl für ein striktes Mindesalter 18 für Militärangehörige. Zwar gibt es hierzulande keine zehnjährigen Kindersoldaten oder 15jährige, die an Militärschulen gedrillt werden. Dennoch gehe von der Wirtschaftmacht Deutschland Signalwirkung für Länder aus, in denen Kinder Waffen tragen, ist Autorin Margrit Schmid überzeugt...

    "... weil dieses Wanken und dieses Nicht-Stellung-Nehmen zeigt: Die haben ja auch nicht die Kraft, so ein Gesetz überhaupt nur durchzusetzen. Wie sollen wir dann in unseren schwierigen Situationen ein solches Gesetz durchsetzen?"

    Die Einrichtung eines internationaler Gerichtshofes zur Aburteilung von Regierungsmitgliedern und Rebellenführern, die Kindersoldaten für sich und ihre Interessen kämpfen lassen, wurde breits 1998 beschlossen. Das Dokument muss noch von gut 20 weiteren Staaten ratifiziert werden, um internationale Gültigkeit zu erlangen. Diesem Vertrag zufolge kann allerdings nur vor Gericht gestellt werden, wer Kinder unter 15 in den Kampf schickt.

    Margrit + Alice Schmid: I killed people - Wenn Kinder in den Krieg ziehen. Lamuv Verlag Göttingen. 157 Seiten. DM 19,80.