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"Marienthaler Dachs" am Wiener Volkstheater
Ein Arbeitslosenchor singt

Am Wiener Volkstheater wird das preisgekrönte Stücks "Der Marienthaler Dachs" von Ulf Schmidt Uraufgeführt. Regisseur Volker Lösch setzt dabei auf plastische Bilder und Ironie - insgesamt gehört die Inszenierung allerdings nicht zu seinen großen Arbeiten.

Von Hartmut Krug | 26.09.2015
    Der Theaterregisseur Volker Lösch
    Der Theaterregisseur Volker Lösch (dpa / picture alliance / Volker Hartmann)
    Der Dramatiker Ulf Schmidt nutzt 2014 in seinem Stück "Der Marienthaler Dachs" die Geschichte zu einer Parabel, die versucht, die Funktionsweise von Wirtschafts- und Finanzwelt zu analysieren. Sein Stück, gedacht für eine begehbare Installation, hat Regisseur Volker Lösch bei der Uraufführung am Volkstheater Wien zu einem normalen Bühnenstück entwickelt. Natürlich, wie bei Lösch üblich, nicht nur mit Schauspielern, sondern auch mit einem Laienchor, der diesmal aus Wiener Arbeitslosen besteht.
    Zu Beginn des fast vier Stunden langen Abends springt ein Schauspieler im Goldglitter-Anzug vor den Vorhang und erzählt vom Glück Marienthals. Wenn der Vorhang sich öffnet, sehen wir ein ironisches Frohsinnsbild mit Arbeitern, die rhythmisch Decken falten, im Chor singen oder an der Nähmaschine arbeiten. Doch wenn der Erzähler vom Niedergang der Fabrik und der folgenden Arbeitslosigkeit erzählt, liegen die Menschen wie tot auf ihren Werktischen.
    Solche deutlichen Bilder baut Regisseur Lösch immer wieder mit seiner rund 30-köpfigen Darstellerschar. Und er lässt seinen Chor der Arbeitslosen die historischen Erzählszenen mit deren heutigen Erfahrungen konfrontieren. Also erzählen sie von ihren Gefühlen, aussortiert zu sein, von ihrer Isoliertheit, ihren vielen vergeblichen Bewerbungen und ihren etlichen Kurzjobs. Deutlich wird: Die Menschen fühlen nur Existenz, wenn sie Arbeit haben.
    Lösch bebildert oft witzig
    Schmidts Stück versucht, wechselnde Funktionsweisen von gesellschaftlichen Systemen und Strategien zu erzählen. Volker Lösch bebildert die oft witzig wortspielerischen Texte in großen Szenen mit viel körpersprachlich kräftiger Schauspielerei. Der deutlich sowohl von Aufklärungswillen wie von Ironie geprägte Abend hat seine Stärke in der Kraft der szenischen Bilder, in denen das souveräne Ensemble die Figuren oft kabarettistisch ausstellt. Was Schmidts Text ja durchaus nahelegt.
    Da heißt der Erzähler Medium, womit die zur Witzfigur gemachte Presse gemeint ist. Er ist der Vermittler zum Dachs, zu dem das Volk voller Vertrauen aufblickt. Was diese nie auftretende Figur eigentlich bedeutet, wird völlig klar, wenn das Medium eine Dachsshow zeigt, bei der ein besser mit x zu schreibender Dax erst steigt und steigt, um dann in den Keller zu fallen. Was nicht nur bei den Arbeitslosen und Asozialen Wut, Gewalttätigkeit und Fremdenhass hervorruft, sondern die Menschen auch im Nachbardorf und unter Fremden Sündenböcke suchen lässt.
    Der Bürgermeister, mit Hitlerbärtchen und in kurzer bajuwarischer Lederhose, trägt den Namen Dieter Oben, was wie Die Da Oben klingt. Und wird, weil verantwortlich gemacht, einfach aufgehängt.
    Versuch eines historischen Überblicks
    Schmidts Stück versucht einen historischen Überblick, für den die Inszenierung von der Depression durch die von Hoffnung wie Enttäuschung bestimmte Nazizeit wandert, um schließlich im Wahlkampf zwischen einer mit neoliberalen Thesen und Versprechungen arbeitenden Siegrid aus Hagen und einem Bewerber in Lederjacke zu enden. Wer hier an Frau Merkel und einen Alt-68er denkt, der für ein Zusammenhalten wirbt, liegt sicher nicht falsch.
    Jeder im üppigen Figurenarsenal ist weniger ein Individuum als ein Bedeutungsträger: Da schafft ein Wirt Werte und eine Familie besteht aus Vater Staat, Mutter Konzern, Tochter Gesellschaft und dem Kleinen Mann. Und alle benehmen sich wie aus einem politisch-soziologischen Lehrbuch. Der Kleine Mann krabbelt anfangs in Windeln umher und wird, groß geworden, zum Mörder des Mediums. Schließlich will er die Führung im neoliberalen Staat übernehmen. Und das Volk bleibt letztlich abhängig.
    All das wird durchaus in unterhaltsam kalauernden Szenen erzählt, doch zugleich doziert das Stück zunehmend, wird immer lehrstückhafter im zweiten Teil und arg redundant. Dass der Arbeitslosenchor viele aktuelle österreichische Politiker namentlich erwähnt, die mit Sprüchen gegen Asylanten und über Arbeitslose aufgefallen sind, wirkt nicht als Aufreger, sondern wird vom Publikum ohne sonderliche Reaktion akzeptiert.
    Insgesamt gehört diese Inszenierung, auch wegen der doch schablonenhaften Vorlage, nicht zu den großen Arbeiten von Volker Lösch.