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Marina Silva

Marina Silva, die neue brasilianische Umweltministerin, gilt als Kämpferin für die Entrechteten des Waldes. Die 44-Jährige wirkt zerbrechlich, spricht mit sanfter Stimme. Man merkt die Spätfolgen einer nicht verheilten Hepatitis. Sie lernte erst mit vierzehn Lesen und Schreiben und arbeitete jahrelang als Dienstmagd.

Von Gaby Weber |
    Marina Silva stammt aus Acre. Der Bundesstaat war, bis Anfang des Jahrhunderts, bolivianisches Staatsgebiet. Er blieb ein rückständiges Hinterland, die einzige Einnahmequelle war der Kautschuk, der auf Flüssen von der Landeshauptstadt Rio Branco nach Manaus und von dort in die Hafenstadt Belem verschifft wurde. 1988 ermordeten Großgrundbesitzer den Umweltschützer Chico Mendes, der die Kautschukzapfer gegen Brandrodungen und Holzschlag organisiert hatte:

    Wir haben nicht nur politisch zusammen gearbeitet, wir waren Freunde. Ich war oft bei ihm draußen in Xapuri. Und er war sich darüber im Klaren, dass ihn die Viehzüchter irgendwann ermorden würden.

    Chico Mendes war einer der Gründer der Arbeiterpartei in Acre. Und auch Marina Silva schloss sich ihr an, obwohl sie Politik und Politikern mißtraute:

    Ich lebte eine Zeitlang in einem Kloster. Mich interessierten die Theologie der Befreiung und Basisgemeinden. Irgendwann merkte ich aber, dass ich nicht Nonne werden möchte, und zog in die Stadt. In den Armenvierteln hatten wir weder Licht noch Wasser. Erst auf Druck ließ sich die Stadtverwaltung bewegen, Stromkabel zu legen und uns ans Abwässersystem anzuschließen. So merkte ich, dass wir etwas erreichen können, wenn wir uns zusammen tun. Nach meiner Heirat schloss ich mich der Studentenbewegung an und arbeitete bis zu seinem Tod mit Chico Mendes zusammen.

    Sie war erst 36 Jahre alt, als sie die Arbeiterpartei in den Senat nach Brasilia schickte. Die jüngste Senatorin des Landes. Und dort verschaffte sie sich bei allen Parteien mit ihrer Kampagne gegen Biopiraterie Respekt. Auf ihre Initiative verabschiedete der brasilianische Senat das Gesetz über den "Zugang zu den genetischen Ressourcen". Es stützt sich auf die 1992 in Rio de Janeiro verabschiedete Biodiversitäts- Konvention:

    In Zukunft muss das Wissen um die traditionellen Heilkünste bezahlt werden. Will die Pharmaindustrie brasilianische Pflanzen erforschen, braucht sie einen öffentlichen oder privaten Partner im Land. Unsere Labors sollen an der Arbeit beteiligt werden. Und die lokalen Gemeinschaften - Indianer, Kautschukzapfer und Flußbewohner - müssen das Vorhaben bewilligen und einen Anteil vom Gewinn erhalten. Wer gegen diese Vorschrift verstößt, wird mit einer hohen Geldstrafe oder Gefängnis zwischen einem und vier Jahren bestraft.

    Das Gesetz war zwar allseits begrüßt worden, bewirkt hat es aber wenig. Indianer, Kautschukzapfer und Waldbewohner werden nur in seltenen Fällen am Gewinn eines neuen Medikaments beteiligt, das mit ihren Heilkräutern entwickelt wurde. Sie leben weiterhin in Armut. Viele verkaufen Tropenhölzer, um zu überleben. Für sie muss Marina Silva eine sinnvolle, wirtschaftliche Grundlage finden, wenn sie den Urwald schützen will. Ihre große Herausforderung aber wird sein, die Natur nicht der Logik des Marktes zu opfern. Denn die Mehrheit ihrer Kabinettskollegen setzen auf Wachstum und industriellen Fortschritt. Auf das bisher verfolgte Wirtschaftsmodell also. Ihren erklärten Plänen, auch in geschützten Gebieten Bodenschätze auszubeuten und Kraftwerke zu bauen, wird sich Marina Silva in den Weg stellen müssen, die Kämpferin für die Entrechteten des Waldes.