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Marina Weisband
Es darf nicht alles Meinung sein

Meinungsjournalismus ist wichtig, findet unsere Kolumnistin Marina Weisband. Inzwischen gebe es aber viel zu viel Meinung und zu wenig gut recherchierte Inhalte. Das liege auch an wirtschaftlichen Zwängen.

Von Marina Weisband | 20.09.2018
    Porträtfoto von Marina Weisband
    Marina Weisband (Lars Borges)
    Meinungsjournalismus. Wie schön. Wie einfach. Wie herrlich günstig. Wenn man, um Sendezeit zu füllen und Aufmerksamkeit zu erregen, keine teuren und zeitaufwendigen Recherchen braucht, wenn der Journalist als einzige Qualifikation eine starke und möglichst kernige Meinung hat.
    Sehr schwierig, wenn alles Meinung wäre
    Und missverstehen Sie mich nicht. Mir ist völlig bewusst, dass ich das hier im Rahmen einer Radiokolumne sage und meine einzige Qualifikation darin besteht, dass ich Meinungen habe. Aber es ist ein gefährlicher Trend. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten für klassischen Journalismus, wo die Ressource Aufmerksamkeit heißt, lohnen sich kontroverse Meinungen mehr als langweilige Faktenrecherche. Das ist einfach die Handlungslogik, die wir uns in der Gesellschaft geschaffen haben. Es wäre sehr schwierig, wenn alles Meinung wäre, unsere Nachrichten ein nicht enden wollender Strom an Talk und Meinungen, die zu keinem Punkt kommen, weil zu einem Punkt zu kommen das Ende ihres Wirtschaftsmodells bedeuten würde. Und es wäre im Sinne unserer diskussionsfreudigen Zeit.
    Es gibt diesen Cartoon, in dem zwei Männer um eine auf den Boden gemalte große Zahl herumstehen. Der eine behauptet, es sei eine 9, der andere behauptet, es sei eine 6. Der Witz soll sein, dass beide Recht haben, abhängig von der jeweiligen Perspektive. Aber das stimmt so nicht! Jemand hat sich die Mühe gemacht, eine 6 oder eine 9 auf die Straße zu malen - und das hatte wahrscheinlich einen Sinn. Die beiden Männer sollten lieber einen Schritt zurück treten, sich orientieren, vielleicht nach anderen Zahlen suchen. Meinungsjournalismus kann nicht darauf hinauslaufen, dass wir uns endlos und ohne irgendwelchen Bezug zur Realität Meinungen an die Köpfe werfen. Was für eine Verschwendung von Zeit und Ressourcen!
    Meinung erfüllt auch eine wichtige Funktion
    Aber Meinungsjournalismus erfüllt in diesen Zeiten auch eine wichtige Funktion. Ich will das am Beispiel der USA illustrieren. Dort sind die einzigen, die sinnvolle Berichterstattung über Trump hinkriegen, die Comedians und Satiriker. Nicht, weil sie sich über ihn lustig machen. Sondern weil sie die einzigen sind, die Bullshit als Bullshit benennen.
    Wenn Trump sagt, Obama habe sein Telefon abgehört, und dafür keinerlei Anhaltspunkte liefert - dann berichten sie das so, machen einen Witz darüber und gehen weiter. Seriöse Sendungen, sogar liberal eingestellte, verbleiben lange bei jeder von Trumps Lügen. Sie betonen zwar richtig, wenn etwas nicht durch Tatsachen belegt ist - diskutieren dann aber trotzdem den ganzen Tag darüber, was er gesagt hat, warum er es gesagt hat, und laden Gäste ein, die es zu verteidigen suchen.
    Auch hierzulande bemühen sich öffentlich-rechtliche Medien immer wieder, beide Seiten eines Arguments darzustellen, in dem Bemühen um fiktive Objektivität. Selbst wenn das Argument absurd ist. Nicht umsonst haben wir uns über eine Woche damit befasst, ab welcher Distanz und Dauer man von einer "Hetzjagd" gegen Ausländer sprechen kann. Dass der ganze Streit von vornherein dumm ist, hat man praktisch nur in den Meinungsartikeln gelesen.
    Meinung braucht Substanz
    Dabei sollten sich diese beiden Journalismusformen des Recherche- und des Meinungsjournalismus mehr voneinander abschauen. Meinung ohne Substanz ist im Wesentlichen weißes Rauschen und Unterhaltung, durch die wir auf keinen Fall unser Verständnis von Journalismus ersetzen dürfen. Andererseits brauchen seriöse Medien, um für unsere absurde Zeit gewappnet zu sein, den Mut zu klarer Einordnung des Wichtigen, des Unwichtigen und des völlig Absurden. Objektivität besteht nicht darin, alle Seiten zu sehen und zuzulassen. Sondern im Einordnen der Neuigkeiten in einen größeren Kontext.
    Also leite ich wohl zwei Appelle daraus ab: Erstens müssen gerade sich um Objektivität bemühende Qualitätsmedien sehr viel besser die Spirale aus Provokation und Aufmerksamkeit analysieren und für sich Schlüsse daraus ziehen, um Fakten beim Berichten besser einzuordnen. Und zweitens müssen wir uns dringend über Finanzierungsmodelle für diese Art von Journalismus unterhalten, die nicht auf Klicks und Aufmerksamkeit beruhen. Und das ist meine Meinung.