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Marinas Himmelfahrt

Zeremonienaltmeister Robert Wilson zeigt in Basel Szenen aus dem Leben der serbischen Künstlerin Marina Abramovic. Mit Filmfiesling Willem Dafoe als Erzähler sollte bei dieser großen Entfremdungsshow eigentlich nicht schief gehen.

Von Christian Gampert | 15.06.2012
    Sich selber die Totenmaske auflegen, bei der eigenen Beerdigung anwesend sein – was für ein verführerischer Gedanke. Es ist die Phantasie, sich selbst zu überleben. Marina Abramovic, die sich selbst immer wieder aufs Spiel gesetzt, ihr eigenes Leben als Material benutzt hat, geht hier aufs Ganze - auf Leben und Tod, wie es schon im Titel heißt. Allerdings hat sie sich, ganz im Sinne ihrer eigenen Philosophie, mit Bob Wilson einen Zeremonienmeister dazugeholt, der mit seiner Regie alles abdämpft und verkünstlicht, ein Licht- und Langsamkeits-Fetischist, ein Sound- und Musikalienbastler, der wie im Studio Menschen als Puppen gegeneinander schiebt.

    Der US-Film-Bösewicht Willem Dafoe macht die Erzählerstimme, und um ihn herum entstehen kasperlhafte Szenen vom ungeliebten, kleinen, aufsässigen, sich hässlich findenden serbischen Nachkriegsmädchen mit zu großer Nase, das von einer rigiden Über-Mutter terrorisiert wird. Von der ersten Menstruation zum ersten Kuss: ein virtuoses Marionettentheater postmoderner Entfremdung, ein Lichtspiel mit Live-Musik, ein minimalistisches Gesamtkunstwerk. Abramovic bietet Stationen ihres Lebens, Bob Wilson bietet Horror-Soundtrack und Geisterbahn-Dekor.

    Am Anfang ruhen drei schwarzgewandete Marinas aufgebahrt auf Särgen, am Ende werden drei lichtweiß gekleidete Marias gen Himmel schweben. Dazwischen liegen zweieinhalb Stunden Trance in Zeitlupe, angetrieben von dem zwischen Papierstapeln sitzenden Willem Dafoe in Militäruniform. Er, nicht Abramovic ist der Mittelpunkt der Aufführung – und das liegt daran, dass das offensiv Böse auf der Bühne ungleich interessanter ist als die Leidenspose. Dafoe ist ein zynisch meckernder, greinender, ironisch lästernder Nachkriegs-Thanatos, der die blutige Geschichte des Balkans mit der persönlichen Familien-Hölle der Abramovics zusammenschraubt. Die Reise geht dann, mit der Hilfe von Bob Wilsons Puppen- und Schattentheater, vom zeitlupenhaften Zwergenballett bis zu den Fesselungs-Spielen geknechteter Frauenkörper, von Zen-buddhistischen Meditationsübungen zu Abramovics sarkastischem Diktum "Ich blute mit Humor".

    So. Und nun genug des Lobes und des Überschwangs. Wilson und Abramovic sind sicher im Zenit ihrer Meisterschaft, aber all die Selbstbeschädigungsrituale und psychoanalytisch wertvollen Nachtmahre (Abramovics Mutter träumt, eine Schlange zu gebären) wirken mit der Zeit auch langweilig, klinisch und leer, dargeboten als aseptische heilige Messe aus dem Designer-Shop des Robert Wilson. Das perfekte Arrangement kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier schmale Ideen handwerklich virtuos aufgeblasen werden. Am deutlichsten wird das bei der musikalischen Grundierung des Abends: die vor allem von dem New Yorker Sänger Antony (von "Antony and the Johnsons") komponierten Songs wollen große Oper sein, sind in Wahrheit aber nur sentimentalste Musical-Balladen mit andauerndem Kitschüberhang.

    Antony singt zwar wie ein Goldkehlchen, verbreitet mit seinen Songs aber nur jene schmalzige Ergriffenheit, die man von Popkonzerten kennt. Wilson und Abramovic, die sich ansonsten viel in Selbstzitaten ergehen, sind dafür durchaus anfällig. "Why must you cut yourself?" Fragt dagegen Willem Dafoe – und bringt damit Abramovics Lebensthema auf den Punkt. Warum muss der Mensch sich selbst verstümmeln? Aber dann gießt die Musik wieder ihren Sirup darüber: "I become a volcano of snow", singt Antony zur Himmelfahrt der Marina Abramovic. Man sieht bei Wilson aber nur milchig weißen Nebel. Wenn das die Ewigkeit ist, dann wollen wir lieber in der Kiste vermodern.