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Marionette am Faden

Die Figuren, auf die man in den Romanen von Fritz Rudolf Fries stößt, sind verwegene Sonderlinge - Lebenskünstler, die glauben, sie könnten in einer absurden Welt bestehen, indem sie neben der einen, für sie bestimmten Rolle, wenigstens noch eine weitere spielen. Irgendwann jedoch finden diese Figuren zu der Einsicht, dass nicht sie es sind, die ein intelligentes Spiel mit den Mächtigen wagen, sondern dass sie wie Marionetten an Fäden hängen.

17.01.2005
    Auch Daniel Abesser, Protagonist in dem neuen Roman Hesekiels Maschine oder Gesang der Engel am Magnetberg von Fritz Rudolf Fries ist – wie viele seiner Vorgänger – nur eine Figur in einem Experiment. Sehr bald muss er feststellen, dass es nicht nach seinen Regeln verläuft. Und auch die Leser erfahren bereits auf den ersten Seiten, dass es in diesem facettenreichen Buch alles andere als realistisch zugeht. Denn besagter Daniel Abesser, den wir als Passagier in einem Flugzeug kennenlernen, wird auf seiner Reise von drei Engeln begleitet, ohne dass er von deren Anwesenheit weiß. Allerdings sehr bald erkennt, dass es von Vorteil sein kann, wenn man bei Flugreisen von himmlischen Abgesandten eskortiert wird.

    Der Hauptstrang des Romans ist ja, dass ein junger Mann, der Daniel Abesser, sich von seinem Vater quasi lossagt. Er wird Korrespondent auf verschiedenen Kriegsschauplätzen, heiratet in Israel, und stürzt mit seiner Frau ab, das Flugzeug, was sie zurückbringen soll von Panama wird auf der Höhe der Kanarischen Inseln das Opfer eines Unfalls – und jetzt fängt es an, also die reale Ebene verlassen wir jetzt.

    In der Maschine sind drei komische Gestalten, die zunächst einmal aussehen wie drei windige Strizzies, die, wenn man will, vom Geheimdienst sind, also aus Israel kommen, sich aber gleichzeitig in Engel verwandeln können und die bringen die Maschine zum Absturz, ohne eigentlich selbst zu wissen, wer ist der Auftraggeber, ob es nun Jahwe ist oder ihr Boss in Israel, das wird offen gelassen.

    Der Autor weiß ja am Anfang auch nicht so genau, wo die Reise hingeht und so nach und nach habe ich eigentlich gewusst, was ich mache, und jetzt kommen wir zu dem Titel, Hesekiels Maschine, das ist eine Geschichte aus der Bibel, wo der Prophet Hesekiel eine fliegende Maschine sieht, die bemannt ist mit einem Menschen oder einem Roboter, das ist nicht ganz sicher, mit drei Tieren, ein Löwe, ein Adler ein Stier. Diese Maschine landet und der Mensch gibt dem Propheten einen Auftrag. Und jetzt wird den drei Engeln nach und nach klar, was mit dem Abesser geschehen soll: er wird geprüft, ob er in der Lage ist, diese Rolle des Menschen in der Maschine zu übernehmen, um, bisher war die Richtung so, dass Gott den Menschen gesagt hat, wo es langgehen soll und die Idee, die hängt ein wenig zusammen mit dem alten Topos vom Aufstand der Engel, die Idee wäre, einen Menschen zu finden der dem lieben Gott sagen könnte, was eigentlich erwartet wird, warum soll die Welt untergehen, kann man einen neuen Vertrag mit den Himmlischen machen zur Erhaltung der Welt.

    Es ist nicht weniger als eine faustische Höllenfahrt, auf die Fritz Rudolf Fries Abesser, den Sohn eines Parteifunktionärs in Regierungsdiensten und späteren Müllfahrer schickt, der eigentlich bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist. Da es in dem Roman aber auch metaphysisch zugeht, erweist sich das Unglück als Abessers Rettung. Denn Fries lässt seine Figur zwar stürzen, ins tiefste Tief fallen und sogar die Hölle durchschreiten, aber diese Talsohle muß der Held durchschreiten, um sich finden und wieder erheben zu können. Auf diesem Erkenntnisweg hat Fries seinem Helden Daniel Abesser eben jene drei Engel an die Seite gestellt, die selbst der Tod nicht schreckt.

    Auf jeden Fall kommt der Held zu Tode. Seine Ehefrau, die im Flugzeug ist, von der weiß man erst einmal nicht, ob sie lebt oder nicht, verschwindet von der Bildszene und die Engel haben den Auftrag, diesen toten Daniel Abesser durch die Unterwelt zu begleiten um ihn zu prüfen.

    Durch den Untergang des Helden kommt die Geschichte, die Fries erzählt, nicht an ihr schnelles Ende, sondern erst richtig in Fahrt. Denn der gebürtigen Spanier, der 1942 mit seinen Eltern nach Leipzig kam, kennt sich aus mit wunderbaren Errettungen: Cervantes, die spanischen Schelmenromane sind ihm ebenso vertraut wie Dante und das Alte Testament. Aber nicht nur mit Hoffnungsgefühlen, sondern auch mit Todesgefahren konfrontiert der Autor seine Figur, die etwas zu leisten hat: sie soll sich finden.

    Das geschieht allerdings nur allmählich. Erst durch den Verlust seiner Frau wird Abesser bewusst, was der Sinn des Lebens sein könnte, weshalb er verzweifelt versucht, sie wiederzufinden. Insofern liegt dem Roman neben dem Faust-Stoff auch der Mythos von Orpheus und Eurydike zu Grunde, dem klassischen Fall von sehnsuchtsvoller Liebe, die über den Tod hinausreicht. Wie Orpheus sucht Daniel seine Geliebte, wobei es ihn auch in die Hölle verschlägt, die sich als das legendäre Moskauer Hotel Lux erweist.

    Dieses Motiv verdanke ich meinem Freund Hans Christoph Buch der in einem Buch sagt ein Hotel kann der Eingang sein wie zur Hölle. Da so ein Hotel historisch so schuldbeladen und bekannt ist und dazu noch Lux heißt, also Licht, und der Teufel war ja nun Luzifer, der Lichtengel, da kommt schon ein bisschen die Metaphysik, die das ganz Buch ja ein bisschen zusammenhält, hoffe ich, kommt ja dann als Metapher oder als Bild in Erscheinung.

    Aus dem Lux verschwanden in den dreißiger Jahre nach Stalins Plänen die kommunistischen Exilanten. Spätestens an dieser Stelle des Romans wird deutlich, dass der Geschichtenreigen, den Fries entwirft, auf das Thema des Verrats hinausläuft. Denn Abesser trifft im Lux unter anderem Arthur Koestler, den Renegaten in persona und Verfasser des Romans Sonnenfinsternis, der von einem glühenden Verfechter des Kommunismus zu dessen radikalsten Ankläger wurde. Weitere Hotelgäste sind Erich Maria Remarque und Marlene Dietrich, Stephan Hermlin und Stefan Heym.

    Fries stellt nicht einfach richtige oder falsche politische Überzeugungen zur Disposition, sondern listig hinterfragt er, wie es dem einzelnen gelingen kann, richtig zu handeln, wenn vermeintlich unumstößliche Wahrheiten sich im Verlauf der Geschichte als grandiose Irrtümer erweisen. Wenn sich plötzlich als falsch erweist, was lange Zeit für richtig galt. So interessiert denn Fries nicht nur, wann aus dem Glauben an eine Ideologie Verrat werden kann, sondern ebenso, wann der Verrat der Ideologien beginnt.

    Natürlich hängt das zusammen mit den Fehlern, die ich gemacht habe oder hab machen müssen, die man mir nicht verzeiht, bis heute. Ich meine, ich hab mich in den späten Siebzigern insofern mit der Stasi eingelassen oder sie mit mir, dass ich ein paar Fragen beantwortet habe, aber die Fragen waren lachhaft, die die Herren längst wussten. Und ich hab gedacht, ich kann eine Weile mit denen Katz und Maus spielen, was natürlich nicht funktioniert, also man muss einen langen Löffel haben, wenn man mit dem Teufel Frühstücken will. Das ist schon eine Erfahrung, die ich gesammelt habe. Aber die ich bis heute auch so sehe, dass ich meine Bücher in Ruhe schreiben konnte.

    Irgendwann macht man denen, die es ins Hotel Lux verschlagen hat, den Prozess, also auch Daniel Abesser. Doch nach dem Willen seines Autors hat er die Chance, eine Wahl aus drei Möglichkeiten zu treffen.

    Am Ende gibt es ja eine so etwas komische Gerichtsverhandlung mit dem Abesser. Und er könnte ja nun eigentlich eine Art von Paradies wählen, was bei mir natürlich der Jazz ist, also ein ewiges Jazzkonzert – auch darauf verzichtet er, er will einfach mit Gewalt zurück in diese Ehe. Also auch in die Welt zurück.

    Er wählt nicht die Verheißungen und verwirft auch, was Ideologien zu bieten haben. Er entscheidet sich für Ribka und wird sie, da sind die Leser schlauer als der Held, wieder verlieren. Daniel Abesser, der bei einem Müllmann aufwuchs, hat aufräumen und entsorgen lernen müssen. Denn um zu finden – und das meint in erster Linie auch sich – musste er reichlich wegwerfen.
    "Hesekiels Maschine oder Gesang der Engel am Magnetberg"
    Von Fritz Rudolf Fries
    (Verlag Das Neue Berlin)