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Mark Spoerer: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Dritten Reich und im besetzten Europa 1939 - 1945

Der Stuttgarter Sozialwissenschaftler Mark Spoerer betont, dass Zwangsarbeiter unter furchtbaren Umständen Produktionsanlagen retteten, die später den westdeutschen Reichtum begründeten. Er rechnet knapp und engagiert damit ab, wie Entschädigungsersuchen Überlebender von den Konzernen abgeblockt wurden. Nach Ausbruch des Kalten Krieges mit Rückendeckung der USA, die unter allen Umständen verhindern wollten, dass Geld hinter den Eisernen Vorhang floss. Bei allem Zorn ist freilich zu bedenken, dass Entschädigungen die Opfer in der Sowjetära wohl kaum erreicht hätten, galten sie doch als Volksverräter und Kollaborateure.

Elke Suhr | 04.02.2002
    Der Stuttgarter Sozialwissenschaftler Mark Spoerer betont, dass Zwangsarbeiter unter furchtbaren Umständen Produktionsanlagen retteten, die später den westdeutschen Reichtum begründeten. Er rechnet knapp und engagiert damit ab, wie Entschädigungsersuchen Überlebender von den Konzernen abgeblockt wurden. Nach Ausbruch des Kalten Krieges mit Rückendeckung der USA, die unter allen Umständen verhindern wollten, dass Geld hinter den Eisernen Vorhang floss. Bei allem Zorn ist freilich zu bedenken, dass Entschädigungen die Opfer in der Sowjetära wohl kaum erreicht hätten, galten sie doch als Volksverräter und Kollaborateure.

    Spoerers Schrift "Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz" erhebt keinen Anspruch auf wissenschaftliche Originalität. Sie will den Forschungsstand allgemeinverständlich vermitteln: zusammenfassen und miteinander vernetzen, was bisherige Studien über Zwangsarbeit zusammengetragen haben. Aber die gut lesbare Bilanz geht trotz dieses bescheidenen Anspruchs über bis dato Veröffentlichtes hinaus. So berücksichtigt Spoerer auch Menschen, die nicht nach Deutschland, sondern innerhalb der besetzten Gebiete verschleppt wurden. Ein wichtiges Anliegen der NS-Opferverbände, die zu Beginn der Entschädigungsverhandlungen damit konfrontiert waren, dass die deutsche Seite nur Menschen als "leistungsberechtigt" anerkannte, die "im Reich" gearbeitet hatten.

    Spoerer hält fest, dass im Winter 1942 etwa zwei Millionen sowjetische Kriegsgefangene ermordet wurden, verhungerten und erfroren. Nach dem Scheitern der Blitzkriegstrategie wurde die systematische Ausrottung der "Russen" gestoppt; man setzte sie als Zwangsarbeiter ein. Sie standen neben den Juden auf der niedrigsten Stufe der nazistischen Untermenschenhierarchie:

    Gefangene dritter Klasse, die grundsätzlich die härtesten und gefährlichsten Tätigkeiten verrichten mussten. (...) Von den insgesamt über 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen kamen etwa 3,3 Millionen (58 Prozent) in deutscher Gefangenschaft um.

    Das deutsche Entschädigungsgesetz spart sie erklärtermaßen aus. Aus völkerrechtlichen Gründen, wie es heißt. Dabei wurden die sowjetischen Kriegsgefangenen seinerzeit ausdrücklich außerhalb des Schutzes der Genfer Konvention gestellt und regelrecht verheizt. Von den Überlebenden sind nur die "leistungsberechtigt", die zufällig in "ordentlichen" KZ landeten. Dass es in den sogenannten Kriegsgefangenenlagern oftmals noch furchtbarer zuging, interessiert keinen deutschen Entschädigungs-Funktionär.

    Spoerers Kapitel "Vom vogelfreien Zwangsarbeiter zur displaced person" kommt zu kurz. Das Schicksal der Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen in der ehemaligen Sowjetunion ist hierzulande noch viel zu wenig bekannt. Sie waren jahrzehntelang zu Angst und Schweigen verurteilt. Absurderweise sind heute jene im Nachteil, denen es damals gelang, ihre Zeit in Deutschland zu verheimlichen. Ihnen fehlen nun die Papiere für den Entschädigungsantrag.

    Über die alten seelischen Wunden, die der kollektive Verdrängungsakt hinterlassen hat, wäre noch zu schreiben. Über die neuen Wunden auch, die das jahrelange Tauziehen um die Entschädigungen in den NS-Opfern geschlagen hat. In Osteuropa gärt unterdrückter Zorn über das deutsche Gesetz. Den osteuropäischen Partnerorganisationen fällt die undankbare Aufgabe zu, den Zwangsarbeitern in der Industrie einen Teil des versprochenen Geldes abzunehmen, damit die Landarbeiter, die verschleppten Kinder und andere übergangene "Kategorien" wenigstens etwas von dem ein für allemal feststehenden Satz von 10 Milliarden Mark erhalten.

    Seit Beginn der Auszahlungen scheint für die meisten Journalisten das Thema "Zwangsarbeiter" gelaufen zu sein. Nicht für Michael Arning von der "Frankfurter Rundschau". In seinem Band "Späte Abrechnung. Über Zwangsarbeiter, Schlussstriche und Berliner Verständigungen" beschreibt er die Unzulänglichkeiten und Widersprüche des Gesetzes. Er wendet sich gegen den "Schlussstrich", den Wirtschaft und Politik mit ihren zehn Milliarden ziehen wollen. Und er macht auch darauf aufmerksam, dass frühere Intellektuellengenerationen mit ihren aberschlauen "Faschismusdebatten" es versäumt haben, das historisch-moralische Verantwortungsgefühl der Menschen zu wecken. Die Bücherberge von damals sind heute Makulatur. Die meisten Zeugen der Geschichte, die den Nationalsozialismus am eigenen Leibe erlebten, gingen derweil stumm und ungehört aus dem Leben.

    ... nach wie vor mangelt es vor allem an konkretem Wissen über die Wirklichkeit der nationalsozialistischen Verbrechen, das mehr Einfühlungsvermögen für die Belange der Opfer fördern könnte. Die Alltagsgeschichte eröffnet - bei aller dem Medium geschuldeten Trivialisierung - einen Zugang, den die abstrakten Theoriedebatten, die nach der Funktionsweise des verbrecherischen Systems suchen, bis dahin verwehrten.

    Für viele alte Menschen bedeutet es eine späte "Versöhnung" mit ihrem verlorenen Leben, dass ihr Leid und ihre Leistung wahrgenommen werden. Michael Arning vertritt ihren moralischen Anspruch auf ein dauerhaftes öffentliches Interesse in Deutschland, auf eine "Erinnerungskultur", die das geistige Erbe der konkreten Opfer birgt. Hinfahren, reden, aufschreiben - das wäre die erste Historikerpflicht angesichts der seelischen Not der noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter.