Archiv


"Marketingkampagne gegen die Transnet"

Das Vorgehen der Lokführergewerkschaft GDL kritisiert Norbert Hansen, Chef der Gewerkschaft Transnet, als nur kurzfristig sinnvolles Ziel: Zu hohe Lohnforderungen - die GDL möchte 31 Prozent mehr Lohn - würden dazu führen, dass Regelarbeitsverhältnisse in Leiharbeitsverhältnisse umgewandelt würden. Mit hohen Lohnabschlüssen wolle sich die GDL jedoch als "radikale Alternative" für die fahrenden Beschäftigten etablieren.

Moderation: Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Am Telefon begrüße ich den Chef der Gewerkschaft Transnet, Norbert Hansen. Guten Morgen, Herr Hansen.

    Norbert Hansen: Schönen guten Morgen.

    Zurheide: Herr Hansen, wie haben Sie den Tag gestern überstanden? Mussten Sie irgendwohin reisen?

    Hansen: Ja, aber ich musste nach München und ich habe aufgrund der Terminlage keine andere Möglichkeit gehabt, als München mit dem Flugzeug zu erreichen, sonst hätte ich meine Termine nicht geschafft, aber ich werde heute mit dem Zug hier von Garmisch-Partenkirchen wieder zurück nach München fahren, da habe ich Glück.

    Zurheide: War denn das gestern aus Ihrer Sicht das machtvolle Signal, was Ihr Konkurrent, Herr Schell, angekündigt hat, oder sagen Sie, die Bahn hatte es unter dem Strich ganz gut im Griff?

    Hansen: Na ja, wenn man jetzt die Zahlen vergleicht, die genannt werden, ist es wo glimpflicher ausgegangen, als man erwartet hat. Und ich finde aber, dass das eigentlich müßig ist, darüber zu streiten. Ich denke, viel entscheidender ist, ob ein Streik jetzt tatsächlich dazu dient, dem Arbeitgeber den nötigen Druck zu machen oder ob er ausschließlich die Kunden ärgert. Und in dem Fall war es so, in der Tat, dass ja am Donnerstag vor der Präsidiumssitzung der Streik abgesagt wurde, mit dem angekündigten Angebot auch für Montag und Dienstag. Und dieser Streik hat eben nach der Präsidiumssitzung stattgefunden. Also es macht eigentlich wenig Sinn, weil, es war ja schon klar, dass es ein neues Angebot geben wird. Ich habe ja an der Präsidiumssitzung teilgenommen und es war auch sehr deutlich, dass das Problem der GDL eigentlich war, diesen Streik noch absagen zu können, weil sie eben befürchteten, dass ihre Basis dafür kein Verständnis mehr hätte.

    Zurheide: Das heißt, Sie kritisieren Ihren Kollegen Schell an dem Punkt ganz deutlich: Er hat seine Basis nicht im Griff.

    Hansen: Na ja, das würde ich so nicht sagen, aber ich habe selber schon sehr viele Streiks organisiert und es ist einfach nicht richtig zu behaupten, dass es nicht möglich ist, innerhalb von sechs bis acht Stunden einen vorbereiteten Streik auch wieder zurückzunehmen. Zumindest muss man einen Streik so organisieren, dass man dazu in der Lage ist. So wie ich mobilisieren kann, habe ich auch die Verantwortung dafür, wenn es dann notwendig ist, einen Streik wieder zurückzunehmen und die Basis dazu aufzufordern, ihrer Arbeit nachzugehen. Also das gehört mit zur Gesamtverantwortung.

    Zurheide: Auf der anderen Seite sind wir ja bei der schwierigen Frage, wie ist denn dieser Berufsgruppenegoismus eigentlich einzuschätzen? Dass der in Ihren Augen schädlich ist, ist klar, weil Sie vertreten die große Masse der Mitarbeiter bei der Bahn und Herr Schell eben nur eine kleine Gruppe, die allerdings mächtig ist. Welche Argumente haben Sie eigentlich, die zurückzuholen in die große Bahnfamilie.

    Hansen: Ja, vielleicht mal ein ganz simples: Die GDL ist 130 Jahre alt geworden. Damit rühmt sie sich ja auch selbst zu Recht, eine der ältesten Gewerkschaften und sie hat diese lange Geschichte hinter sich gebracht, ohne dass sie einen anderen Tarifvertrag, der sich deutlich abhebt in der Einkommensentwicklung und in den beruflichen Arbeitsbedingungen von den übrigen Beschäftigten, die gleiche Belastungen haben. Jetzt fordert Herr Schell ja auch nicht mehr nur dramatische oder drastische Einkommensverbesserungen in einem Schlag für Lokführer, sondern für Fahrpersonal. Er will es für Zugbegleitpersonal, Bordservicepersonal und man wirbt auch schon Mitglieder aus anderen Beschäftigtenbereichen. Mein Eindruck ist, es geht hier um eine ganz groß angelegte, na, ich nenne es mal so, Marketingkampagne gegen die Transnet, gegen die größte Gewerkschaft im Bahnbereich, aber auch über den Bahnbereich hinaus. Ich habe den Eindruck, die GDL will sich als radikale Alternative in Deutschland für die fahrenden Beschäftigten etablieren. Nur, ob das letztendlich dann auch dazu führt, dass hier die Bevölkerung des Landes, die Unternehmen, die die Aufträge im Güterverkehr geben, das akzeptieren, das muss man mit bedenken, denn die Bahn hat Konkurrenz. Da sind die Lohnbedingungen anders, sie Konkurrenz darüber hinaus auf der Straße, Schifffahrt und so weiter, da sind sie eh anders, viel niedriger. Wenn das nicht mitbedacht wird, werden Arbeitsplätze aufs Spiel gesetzt.

    Zurheide: Das ist möglicher Weise alles richtig, was Sie sagen, nur der einzelne Betroffene sagt sich, na ja, wenn mir irgendeine Gewerkschaft mehr Geld verspricht, dann gehe ich da hin. Das muss Sie ja in hohem Maße beunruhigen, Herr Hansen.

    Hansen: Ja, das ist nicht nur – beunruhigt nicht nur mich, sondern viele in diesem Land. Es ist ja nun mal leider so, und auch allzu menschlich, dass man zunächst mal hofft, dass diejenigen, die einem große Versprechungen machen, sich auch durchsetzen können. Aber eine Einkommenspolitik, die eine Gewerkschaft über Tarifverhandlungen gestaltet, muss ja über den Tag hinaus gehen. Es nützt mir ja nichts ein Effekt, den ich einmalig erreiche, der mir hinterher hinten wieder weg bricht. Wenn das dazu führt, dass der Arbeitgeber anschließend Regelarbeitsverhältnisse umwandelt in Leiharbeitsverhältnisse. Wenn das dazu führt, dass er Arbeitsplätze abbaut, wenn Scheinselbständigkeitsverhältnisse eingeführt werden, wie auf der Straße oder in anderen Verkehrsbranchen. Und das alles sind Überlegungen, die im Bahnvorstand schon angestellt werden, um aus dieser Abhängigkeit herauszukommen, um dieses Druckpotential zu vermindern, dann muss ich das mitberücksichtigen. Es gehört mit zur Verantwortung. Was nützt denn eine hohe Einkommensverbesserung, wenn ich im Jahr darauf schon um meinen Arbeitsplatz fürchten muss. Also, Tarifpolitik heißt, Verantwortung zu übernehmen für den Einzelnen, für ein angemessenes Einkommen, aber auch für die Gemeinschaft, aber auch für die Volkswirtschaft insgesamt, damit eben die Beschäftigungssituation stabil bleibt und die Beschäftigten keine Ängste haben müssen.

    Zurheide: Jetzt helfen Sie uns doch mal Herr Hansen, wie das alles aufgelöst wird. Vielleicht zunächst mal mit dem Hinweis darauf: Hat der Bahnvorstand eigentlich bei der Moderationsrunde, die, oder bei den Moderationsrunden, die stattgefunden haben, hat der da so eine Art eigenen Tarifvertrag für die Lokführer unterschrieben?

    Hansen: Also, das ist auch so eine Mär, die immer wiederholt wird. Der GDL hat einen eigenständigen Tarifvertrag. Wenn sie den nicht hätte, könnte sie jetzt nicht streiken. Sie hat diesen Tarifvertrag gekündigt, ist aus der Friedenspflicht heraus und kann deswegen streiken. Was sie will, ist einen grundsätzlich anderen Tarifvertrag, der sich in der Einkommenshöhe deutlich unterscheidet von den übrigen Beschäftigten im Bahnkonzern, um damit eben ein Werbeargument zu haben, dass uns da nachhaltig die Mitglieder nehmen soll und sich als Alternative, als Bahngewerkschaft weiterzuentwickeln. Und das kann nicht sein, dass hier ein organisationspolitisches Ziel dazu genutzt wird, oder missbraucht wird, die Kunden zu vergraulen, das Unternehmen nachhaltig zu beschädigen, die Arbeitsplätze zu gefährden. Wir wollen auch eine Einkommensverbesserung für die Lokführer. Wir verhandeln schon seit einiger Zeit, aber nicht nur für die Lokführer, sondern für alle übrigen Beschäftigten. Wir wollen eine neue Bezahlungsstruktur. Der Vorstand der Bahn ist bereit dazu, das mit uns zu vereinbaren. Nur das dauert eben ein bisschen länger, weil man sorgfältig die Leistungsprofile untersuchen muss und hier einigermaßen gerecht dann auch die neue Bezahlungsstruktur einführen muss. Die GDL haben wir mehrfach eingeladen, sich daran zu beteiligen, und ohne dass es jetzt eine Streiksituation bedarf, vielleicht kommt die auch noch mal, aber im Moment haben wir Angebote, wo auch die GDL sich friedlich einbringen kann.

    Zurheide: Jetzt könnte man auf der anderen Seite natürlich auch sagen, vielleicht pokert der Bahnvorstand, weil er Sie versucht gegeneinander auszuspielen und die GDL in der Öffentlichkeit möglicherweise schlecht aussehen zu lassen. Die Gefahr können Sie ja auch nicht von der Hand weisen.

    Hansen: Na ja, wenn es so Gefahr gibt, also befassen wir uns ruhig mal mit der Vermutung, dann wäre die Chance nach dem Vermittlungsverfahren gewesen, gemeinsam gegen den Bahnvorstand für Einkommensverbesserungen der Lokführer vorzugehen. Das war meine Überlegung, meine Idee, die auch Biedenkopf und Geißler dann ja aufgegriffen haben und in so eine Vermittlungsvereinbarung übertragen haben. Wir waren auf einem Weg dorthin und die GDL ist dort wieder ausgestiegen, weil sie keine Kooperationsvereinbarung mit uns machen wollte. Das wäre, ich sage es mal so, genial gewesen. Nur, natürlich unter der Bedingung, dass die GDL nicht ihren separaten Weg geht, sondern mit uns über Einkommensverbesserungen der Lokführer verhandelt unter Rücksichtnahme auf die Interessen der übrigen Beschäftigten, weil ja die Gelder, die wir vom Arbeitgeber herausholen wollen, für bessere Bezahlung, eben nur einmal zur Verfügung stehen, und man sich darüber einigen muss, wie man das über die einzelnen Berufsgruppen dann verteilt und dabei wären die Lokführer nicht zu kurz gekommen, sie kommen auch bei uns nicht zu kurz. Aber mit Sicherheit werden wir nicht 31 Prozent einer Gruppe zusprechen und die anderen müssen möglicher Weise noch von ihrem Lohn wieder etwas abgeben. Das funktioniert einfach nicht.

    Zurheide: Wie werten Sie eigentlich das Verhalten des Bahnvorstandes unter dem Strich? Ist der Bahnvorstand nicht manchmal schlecht beraten, wenn er zum Beispiel nur die Gerichte anruft, statt zu verhandeln?

    Hansen: Das ist absolut falsch. Wir haben das auch mehrfach dem Vorstand gesagt. Wir halten das für den absolut falschen Weg. Gerichte können keine Tarifkonflikte lösen. Die Urteile sind ja auch sehr unterschiedlich. Die Urteilsbegründungen führen zu einer Debatte in Deutschland, die die Tarifautonomie im Kern angreift und wir haben auch jetzt wieder erneut nach dem letzten Verfahren aufgefordert, das bleiben zu lassen. Man muss in der Lage sein, in einer Demokratie zwischen den Tarifvertragsparteien zu einer Lösung zu kommen. Der nächste Schritt wäre, dass es der Politik überlassen bleibt, die Lohnfindung zu entscheiden. Da haben wir absolute Probleme damit.

    Zurheide: Danke schön, das war Norbert Hansen, der Chef von Transnet im Deutschlandfunk.