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Marktführer vom Dorf

Mit seinen Fahrradreifen der Marke Schwalbe ist Ralf Bohle aus Reichshof-Wehnrat im europäischen Fahrrad-Fachhandel der unangefochtene Marktführer. Entscheidend für den Geschäftserfolg ist, die Probleme zu lösen, die seinen Kunden am stärksten unter den Nägeln brennen: Nichts ärgert den Radfahrer mehr als ein Plattfuß - und der ist mit Schwalbe-Reifen weniger wahrscheinlich als bei anderen Fabrikaten.

Von Dietmar Reiche |
    Tief im Keller des Firmengebäudes bereitet Produktmanager Karsten Zahn alles für den Härtetest vor. Der nagelneue Fahrradreifen der Marke Schwalbe wird auf die Achse der Maschine montiert und muss nun leiden.

    "Dies ist eine so genannte Folterkammer, weil die Reifen hier wirklich zeigen müssen, was sie können. Die Reifen werden hier unter extremsten Bedingungen malträtiert. Sie laufen mit höherer Last als in der Praxis und mit relativ hohen Geschwindigkeiten über einen sehr langen Zeitraum. Die Reifen haben auch keine Zeit sich zu entspannen. Sie laufen ohne Pause 5000 Kilometer - also Tag und Nacht. Dann stellen wir fest: Kann der Reifen so hohe Belastungen vertragen oder nicht? "

    Qualitätssicherung ist beim Fahrradreifenhersteller Bohle im nordrhein-westfälischen Reichshof-Wehnrath das A und O. Forschung, Entwicklung sowie Marketing sind "Made in Germany" – mit nur 120 Mitarbeitern. Die Reifenproduktion findet beim koreanischen Partner "Hung A" statt. Doch weil die Produktion selbst dort schon zu teuer ist, werden die Reifen längst in Indonesien gefertigt. 1800 Menschen arbeiten in der Reifenfabrik bei Jakarta.

    Natürlich gehe es auch um wettbewerbsfähige Arbeitskosten, sagt Firmenchef Frank Bohle. Doch die Partnerschaft biete durchaus mehr.

    "Die Koreaner sind wirklich begnadete Chemiker. Gerade die Gummimischung bei Schwalbe ist es, die sich von anderen Produkten unterscheidet. Zudem zeichnen sich die koreanischen Partner durch ihre unglaubliche Loyalität aus. Seit gut 30 Jahren sind wir als Unternehmer gemeinsam erfolgreich tätig. Das schafft eine unzerstörbare Bande. Da braucht man gar keine großen Verträge miteinander machen. "
    Per Schiff und Lastwagen kommen die Fahrradreifen und –schläuche in Containern nach Deutschland und werden in Reichshof-Wehnrath erst einmal gelagert.

    Das Logistikzentrum mit seinen vier Hochregal-Lagerhallen ist der ganze Stolz des 44-jährigen Firmen-Chefs Frank Bohle. Hier warten bis zu drei Millionen Reifen und vier Millionen Fahrradschläuche auf ihre Auslieferung. Das bindet Kapital, räumt Bohle ein, aber:

    "Wir sind ja in einem ausgesprochen saisonabhängigen Geschäft tätig. Das Fahrradgeschäft entscheidet sich ja letztendlich in ein paar Wochen oder Monaten des Jahres. Sie können die beste Marke, die beste Technologie und die besten Mitarbeiter haben: Wenn Sie im entscheidenden Moment nicht liefern können, passiert auch nicht viel in der Bilanz.Da kann man eindeutig sagen: Wir fokussieren uns hier auf eine Nische. Es gibt kein anderes Unternehmen, das so lieferfähig ist wie wir. "

    Der Begriff "Nische" zieht sich wie ein roter Faden durch Bohles Firmenphilosophie. Eine Nische, die vor allem mit innovativen Produkten ausgefüllt ist. Gut 1700 Artikel hat das mittelständische Unternehmen im Sortiment. Vom schmalen Rennrad - bis zum groben Mountainbike-Reifen ist alles zu haben. Das Motto: Trends setzen, Nischen besetzen und damit Marktführer werden. Das erlaubt auch höhere Preise für Reifenmarke Schwalbe. Allein im vergangenen Jahr stieg der Umsatz um rund sieben Prozent auf 63 Millionen Euro – über den Gewinn spricht man auch bei diesem Mittelständler nicht. Tochterunternehmen in den Niederlanden, Frankreich, Italien und Großbritannien sichern den Expansionskurs. Das geht aber nur mit Spitzentechnologie. Produktmanager Karsten Zahn:

    "Wir haben eine neue Technik für diesen Reifen eingesetzt. Wir verwenden ein unglaublich eng gewebtes Material, das total schwer zu durchstechen ist. Zum Beispiel setzt die NASA auch dieses Material ein, wenn sie Sonden auf fernen Planeten landen lässt. So zum Beispiel auf dem Mars. Mit den Crash-Bags kann die Sonde sicher landen. Die sind aus dem gleichen Gewebe hergestellt wie unser Pannenschutz. Das ist der Marathon Supreme, den wir auf den Herbstmessen präsentieren werden. "
    Firmen-Chef Bohle will im internationalen Wettbewerb nicht Getriebener, sondern treibende Kraft sein und setzt deshalb auf den Wachstumsmotor Innovation. Vor allem die Hersteller in Fernost machen zunehmend Druck auf bereits etablierten Märkten

    "Wir haben es mit einer großen Zahl von chinesischen Wettbewerbern zu tun. Ich bin vor zwei Jahren mal über die Shanghai-Messe gelaufen und habe allein 100 Fahrradreifenhersteller ausgemacht. Viele von diesen Firmen streben auch Marketingaktivitäten nach Europa und wir müssen im Prinzip durch Innovation immer wieder den Ball ein Stück vorausspielen, denn sie sind uns alle – sozusagen im Nacken. "
    Doch die Technologie-Nische muss beackert werden. Die Markenpflege kostet Geld. Mehrere Millionen Euro investiert Bohle in Werbung und Marketing – nicht nur der Fachhandel wird umworben. Als Sponsor unterstützt Bohle die Rennradmannschaft von Gerolsteiner. Auch auf der "Tour de France" fahren die Radprofis mit Schwalbe-Reifen. Dabei gehe es nicht nur um Werbung, erklärt Firmenchef Bohle, sondern um den Test von neuen Gummimischungen und Reifenkonstruktionen, denn nicht alles lässt sich im Forschungslabor testen.

    "Gleichsam brauchen wir den authentischen und harten Einsatz, um auch mal Experimente zu machen. "
    ... und diese Fundgrube für weitere Innovationen zählt im Zweifel mehr als der Imagegewinn, den die Tour de France auch ins Bergische Land bringt.