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Marktplatz für Kultur

Mehr als zwei Millionen Euro wird die rumänische Stadt Sibiu in dieser Woche für Open-Air-Theater, Rock- und Klassikkonzerte und ein Feuerwerk ausgeben - das Jahresende soll gebührend gefeiert werden, heißt es in der Stadtverwaltung. Ein Jahr lang war Sibiu schließlich Kulturhauptstadt Europas und hat so viel Kulturereignisse veranstaltet, wie noch nie. Mehr als 300 Projekte gab es und rund 1250 Kulturveranstaltungen.

Von Annett Müller | 25.12.2007
    In Rumänien sagt man über die 170.000 Einwohner zählende Stadt Sibiu, das es dort vor allem viel Ruhe gibt. Die hat die Kuratorin Liviana Dan gleich zu Jahresbeginn gestört, mit einer Ausstellung des prominenten rumänischen Malers Dumitru Gorzo. Seine zeitgenössische Kunst erregte die Gemüter. Die Lokalpresse nannte die Bilder 'skandalös', weil sie die gutbürgerliche Vergangenheit von Sibiu ironisch aufs Korn nahmen. Kritik erhielt Liviana Dan auch von ihrer Chefetage des Brukenthal-Museums, die plötzlich verlangte, dass sie künftig nicht mehr eigenständig entscheiden solle. Die Kuratorin, die seit 20 Jahren in der Kunstbranche arbeitet, war enttäuscht. Schließlich hatte sie einen einheimischen Künstler ausgestellt, der in Westeuropa Erfolge feiert:

    "Was provinziell ist, ist unsere Arbeit. Denn wir haben noch eine solche kommunistische Mentalität. Wir vertrauen nicht jeder in den anderen. Wenn wir nicht endlich einmal fertig mit dieser Mentalität sind, und wenn einem die Institutionen nicht erlauben, dass wir gut arbeiten, dann bleiben wir auch provinziell."

    Der Titel "Kulturhauptstadt Europas" bringt gewiss keine Ruhe mit sich. Das hat auch Sibiu zu spüren bekommen, eine Stadt, in der man hochkarätige Kulturereignisse bislang an einer Hand abzählen konnte. Doch in diesem Jahr wollte man klotzen, statt kleckern. Über 1.000 Veranstaltungen zählte das Programm von spektakulären Theateraufführungen, Ausstellungen Filmpremieren bis hin zu Klassik- und Rockkonzerten. Bei der Projektauswahl ging es der Stadt jedoch nicht immer um Qualität, sondern vor allem um Quantität, sagt Bianco Herlo, die in Sibiu ein deutsches Kulturzentrum leitet.

    "Ich war natürlich hoch enttäuscht zu sehen, dass jeder Pimmel gefördert wurde für ein Projekt, bei dem er den Stift von links nach rechts stellte. Das hätte ich nicht erwartet. Im Nachhinein denke ich, warum nicht, man hat vieles gefördert und man hat auch vieles ermutigt dadurch."

    In Sibiu hat die Kulturszene in diesem Jahr gelernt, was Projektarbeit bedeutet. Eine Aufgabe, die man bisher vor allem dem Kulturministerium in Bukarest und der eigenen Stadtverwaltung überlassen hatte. Nicht aus Bequemlichkeit sondern wegen vorauseilendem Gehorsam, den man den Behörden in Rumänien gern entgegenbringt. Die deutsche Kulturmanagerin Bianco Herlo ging einen anderen Weg. Sie suchte einen Ort, wo in Sibiu keiner Kultur vermutet hätte. In einer stillgelegten Heizzentrale zwischen tristen Wohnblocks versorgt Herlo die Anwohner jetzt mit Kunst. Das ist auch eine Art Wärme, sagt sie. Sie hat Experimentierlabor für Neue Medien eröffnet - das erste in Rumänien, wo die Medienkunst noch rar gesät ist. Doch Pionierarbeit lässt sich am leichtesten in einem Kulturhauptstadtjahr realisieren, sagt Bianca Herlo:

    "Weil wir jetzt offene Ohren hatten, weil wir wussten, dass die Welt darauf schaut. Und weil man in gewisser Weise einen Ehrgeiz entwickelt hat, doch mitzuhalten mit anderen Kulturhauptstädten und man konnte Sponsoren leichter überzeugen, weil sich jeder hervortun wollte, in diesem Jahr. Das ist vorher so nicht gewesen."

    Sibiu hat in diesem Jahr nicht nur Kultur erlebt, sondern dank des Hauptstadt-Titels auch einen Fassaden-Anstrich in Innenstadt bekommen, die noch heute an die jahrhundertealte Tradition der Siebenbürger Sachsen erinnert. Die Kosten - sechs Millionen Euro - spendierte die Bukarester Regierung. Die rumäniendeutsche Denkmalpflegerin Hanna Derer hat die Renovierung begrüßt, doch sei vieles falsch gelaufen, sagt sie, weil die Stadt unter Zeitdruck stand, pünktlich zum Kulturhauptstadtjahr gut auszusehen. So hätten die mittelalterlichen Häuser vor einem Anstrich grundlegend saniert werden müssen. Jetzt glänzen hingegen nur die Fassaden und wirken wie Potemkin'sche Dörfer. Dennoch zählt die Innenstadt von Sibiu zu den attraktivsten in ganz Rumänien. Ein Trumpf, der für neue Pflichten sorgt, sagt Hanna Derer. So wird die Stadt hoffentlich:

    "Jetzt mal diesen Vorsprung dazu zu nützen, um praktisch wieder Zeit zu gewinnen. Zeit für wirklich regelgerechte Eingriffe und es würde sich tatsächlich lohnen bei dem Kulturerbe, dass es gibt, die Sachen mal fachgerecht zu machen, alle Sachen fachgerecht zu machen."

    Sibiu wird im nächsten Jahr wohl nicht zur Ruhe kommen. Nicht nur wegen der noch anstehenden Sanierungen. So hat das Kulturangebot in diesem Jahr Begehrlichkeiten geweckt, auf die man nicht mehr verzichten will. Wer die Geister ruft, wird sie nicht mehr so leicht los, sagt die Kuratorin Liviana Dan. Sie hat trotz Ausstellungsskandal geschafft, die erste Zeitgenössische Galerie in Sibiu zu etablieren. Dort will sie im nächsten Jahr erneut kulturelle Unruhe stiften:

    "Zurück kann man nicht mehr gehen, das war eine große Probe für viele Leute. Jetzt haben wir ganz gute Beziehungen in diesem Jahr gemacht, wir haben ganz gute Kontakte und wir können jetzt gut anfangen, zu arbeiten. Ganz modern und ganz in einem europäischen Sinn."