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Marlene Dumas in der Fondation Beyeler
Die Malerin des anderen Gesichts

"The Image as Burden" - dass das Bild eine Last sein kann, beweist die gleichnamige Ausstellung von Werken Marlene Dumas' in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel: Eine Last für die Malerin, für die Betrachter, für die Dargestellten. Und sie zeigt: Unter den figurativen Malern der Gegenwart ist Dumas wahrscheinlich die größte Psychologin.

Von Christian Gampert |
    Das Bild "Schneewittchen und der gebrochene Arm" in der Ausstellung "The Image As Burden" von Marlene Dumas in Riehen bei Basel.
    Das Bild "Schneewittchen und der gebrochene Arm" in der Ausstellung "The Image As Burden" von Marlene Dumas in Riehen bei Basel. (dpa/picture alliance/Keystone/Georgios Kefalas)
    Dass das Bild eine Last sein kann, wie der Ausstellungs-Titel es behauptet, wird auf diesem Parcours immer wieder beglaubigt. Eine Last für die Malerin, für den Betrachter, für die Dargestellten. In Marlene Dumas' "The Image as Burden" (von 1993) sieht man eine Frau, eine Tote in weißem Kleid, die von einem schwarzen Mann durch stockdunkle Nacht getragen wird, ihr Gesicht eine Maske, seine Pranke an ihrem Gesäß. Das bezieht sich vordergründig auf einen Film von George Cukor von 1936, in dem Greta Garbo in dieser Stellung zu sehen ist; in Wahrheit ist es natürlich eine Pietà, nur mit vertauschten Rollen: der Christus ist weiblich, die Maria ein Mann.
    Bilder aus der Filmgeschichte und die christliche Ikonografie werden in dieser wunderbaren Ausstellung immer wieder eine Rolle spielen, aber die Menschen, die hier in Porträts und in Gruppen zu sehen sind, machen uns nicht froh. Marlene Dumas, in Südafrika aufgewachsen, mit Anfang 20 nach Amsterdam geflohen, ist umstellt von Medienbildern, die sie sammelt, und privaten Polaroids, aus denen sie Bildarchive anlegt. Danach malt sie. Die mittlerweile über 60-Jährige hat sich einen Kosmos aus Personen geschaffen, die das Leid dieser Welt repräsentieren, aber auch eine Widerständigkeit vermitteln, die Botschaft, dass noch nicht alles verloren ist. Die Malerin selber taucht im ersten Saal als trotziges bleiches Mädchen auf, die eine Hand blutrot, die andere tintenblau - schreiben kann sie nebenbei auch noch, ihre frühen konzeptuellen Werke spielten mit Begrüßungs- und Verabschiedungsformeln, und ihre gleich anfangs mitgeteilte Selbstdefinition lautet "Ich bin eine Künstlerin, die Bilder aus zweiter Hand verwendet und Erfahrungen aus erster Hand".
    Unter den figurativen Malern der Gegenwart wahrscheinlich die größte Psychologin
    Das kann man wohl sagen - denn wie das gemacht ist, diese zerlaufenden Gesichter, traurigen Augen, zerschorften Körper, das ist der Versuch, all diesen Totenmasken die Würde eines individuell erlittenen Glücks oder Unglücks zurückzugeben. Am stärksten sind die meist in bleichen Grautönen gehaltenen Porträts, Tusche auf Papier, wasserartig aufquellende Köpfe, Lagerbilder, die massenhaft ganze Wände bedecken wie die "Black Drawings" von 1991 - oft sind es Menschen, die inhaftiert oder nicht mehr am Leben sind, gestorben wegen der Apartheid oder in einem Bürgerkrieg. Dagegen stehen dann die Körper großformatiger, sinnlicher Frauenfiguren in Öl im Hauptraum der Ausstellung, lauter berückend depressive Venus-Bildnisse nach Models und Heiligen, und Schneewittchen liegt mit gebrochenem Arm sehr quer im Grab und macht mit dem Foto noch ein Selbstporträt - eine ironische Holbein-Paraphrase.
    Die Ausstellung geht im Prinzip chronologisch vor, bildet aber immer wieder thematische Gruppen. Sie baut Verengungen, um dann die Räume weit zu öffnen, etwa am Schluss, wenn diverse Popstars portraitiert werden, Man Ray zitiert und die Gewalttätigkeit des Sex beschworen wird. Marlene Dumas geht da durchaus auch an ihrem eigenen Leben entlang: Man sieht zum Beispiel ihre Schulklasse in Südafrika, brav und starr. Man sieht Film- und Popgeschichte, und man sieht politische Ereignisse, die in einen persönlichen Rahmen zurückübersetzt werden: Die Witwe des 1961 ermordeten kongolesischen Ministerpräsidenten Patrice Lumumba trauert mit entblößten Brüsten.
    Marlene Dumas arbeitet sich an einem Motiv oft mehrfach ab - Lumumbas Frau, die schon 1982 in "Drei Frauen und ich" vorkam, wird 2013 zu "The Widow" schlechthin. Geknechtete Schwarze und weiße Stripperinnen, die roten Fleischberge einer "Deutschen Hexe" und sich lasziv rekelnde Prostituierte, die Pein und der Luxus, betrachtet zu werden - Marlene Dumas ist unter den figurativen Malern der Gegenwart wahrscheinlich die größte Psychologin. Und wer etwas über ihre handwerklichen Fertigkeiten wissen will, der betrachte nur den orgiastisch nach hinten geworfenen Frauenkopf, den Dumas nach einem Foto von Nobuyoshi Araki gemalt hat: Die unterschiedlichen Weiß- und Rotfärbungen der Haut sind meisterhaft.
    Die Ausstellung in der Fondation Beyeler ist noch bis 6. September zu sehen.