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Marokkanische Musikerin Oum
"Jeder soll über sich selbst entscheiden können"

Die marokkanische Sängerin Oum ist ein Paradebeispiel für die islamisch geprägte Moderne. Sie selbst sagt: „Ich bin Muslimin, aber ich bestimme selbst über mein Leben.“ Auf ihrem gerade erschienenen Album „Daba" singt sie von der Umweltzerstörung und Einschränkung der persönlichen Freiheit.

Von Marlene Küster | 31.08.2019
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Traditionell und modern: Die marokkanische Musikerin Oum (Amine Chbani)
Oum: "Wir müssen uns den aktuellen Problemen stellen: der Umweltzerstörung oder der Klimakatastrophe beispielsweise. Jetzt müssen wir handeln und auch gegen die Einschränkung der persönlichen Freiheit aktiv vorgehen. In Marokko ist es nicht möglich, sich frei zu entfalten. Man ist in der sexuellen Orientierung und in der Glaubensrichtung eingeschränkt. Wir sind jetzt gefordert, Zeichen zu setzen und Position zu ergreifen."
Die marokkanische Sängerin und Songschreiberin El Ghait Benessahraoui, kurz Oum, spricht über ihr neues Werk "Daba". Der Albumtitel "Daba" bedeutet so viel wie "jetzt" auf Marokkanisch. Waren ihre Vorgängeralben "Soul of Morroco" und "Zarabi" auf einen Raum oder einen geographischen Ort festlegt - Nordafrika, die Wüste oder Marokko –, so ist dieses Mal der Bezugspunkt das Hier und Jetzt.
Politische Botschaften
In dem von strengen kulturellen Traditionen geprägten nordafrikanischen Land ist die politische Lage nach dem Arabischen Frühling bis heute recht stabil, weil in erster Linie der König das Sagen hat und die Parteien sich unterordnen müssen. Zensur und Angst vor freier Meinungsäußerung sind an der Tagesordnung. Oum spricht deutliche Worte. Das tut die 1979 in Casablanca geborene Musikerin schon immer – natürlich auch auf ihrer neuen, mittlerweile dritten Platte "Daba". Im Titelsong "Daba" fordert sie die individuelle Freiheit und kritisiert die repressive Haltung der Regierung:
"Folgende politische Botschaft transportiere ich: Jeder soll frei über sich selbst entscheiden können. Da haben wir wirklich noch viel nachzuholen. Wenn das nicht möglich ist, weiß man nicht, wer man ist und kann sich auch keine eigene Meinung bilden."
Schon immer vermischt Oum traditionelle arabische Elemente, Musik der Westsahara mit Anleihen von Soul und Jazz. Ihr Klangkosmos setzt sich aus traditionellen Oud-Klängen, arabischen Perkussionsinstrumenten, gezupftem oder gestrichenem Kontrabass, Trompete und ihrer kraftvollen, ausdrucksstarken Stimme zusammen. Doch dieses Mal geht Oum musikalisch noch einen Schritt weiter:
"Ich wollte mit zwei unterschiedlichen Sound-Texturen arbeiten. Die Instrumente Oud, Trompete, Saxophon und Perkussion stehen für die organische Textur, die elektronische Musik für die synthetische. Meine Idee war, die Musikalität der Natur – beispielsweise den Gesang der Wale – nachzuahmen. Keine uns bekannten Instrumente können diese Töne und Klänge aus der Natur erzeugen, nur elektronische Musik kann das."
Fusion von akustischen und elektronischen Klängen
Die akustischen und elektronischen Klänge können nebeneinander existieren und ergeben zusammen etwas Neues. Ein gutes Beispiel dafür ist der Song "Laji":
"Laji beginnt mit Perkussion und einem traditionellen Rhythmus aus dem Repertoire der Sahara-Nomaden Marokkos, steigert sich und geht in eine Art Trance über. Dann folgen Elemente elektronischer Musik."
Aufgewachsen ist Oum im weltoffenen Marrakesch, wo sie als pubertierender Whitney-Houston-Fan an einen Gospelchor gelangte, der von einem Afroamerikaner jamaikanischer Herkunft geleitet wurde. Dort sang sie jamaikanische Lieder und traditionelle amerikanische Gospelsongs. Heute ist Oum aber stark in der marokkanischen Musiktradition verankert und gleichzeitig offen für Veränderung:
"Mir ist es wichtig, dass die traditionelle Musik einen Bezug zur Gegenwart hat. Ich bin einfach eine Frau von heute."
Oum ist eine selbstbewusste, moderne Marokkanerin. Sie gehört zu jener neuen Generation von Musikern in Marokko, die eine starke, eigene Kultur besitzt. Oum geht mit der Zeit, ist sich aber gleichzeitig ihres reichen Kulturerbes bewusst, das sie auf "Daba" bewahrt und fortführt. Ihr gelingt eine Fusion aus modernen und traditionellen Elementen auf überzeugende und subtile Weise.