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Marokko

Viele Journalisten und Medienleute in Marokko sind enttäuscht. Sie hatten nach dem Tod König Hassans des Zweiten im Juli 1999 erwartet, dass der junge König Mohammed die unter seinem Vater begonnene Liberalisierung des öffentlichen Lebens vorantreiben würde. Doch nach knapp drei Jahren sieht es schlecht aus für die Presse- und Meinungsfreiheit in Marokko. Immer häufiger werden ausländische Zeitungen, vor allem aus Frankreich und Spanien, nicht ins Land gelassen. Missliebige ausländische Journalisten, wie zum Beispiel der Chef der französischen Nachrichtenagentur AFP, werden aus dem Land geworfen. Oder sie dürfen gar nicht erst einreisen, wie jüngst im Januar Nicolas Pelham, ein Korrespondent der englischen BBC. Die ungeklärte Ermordung des spanischen Journalisten Jose Luis Perceval Mitte Februar in Rabat sorgte da für wilde Spekulationen.

Martina Sabra |
    Ali Lmrabet ist Herausgeber einer satirischen Wochenzeitung und Korrespondent der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen in Marokko. Er glaubt nicht, dass sein spanischer Kollege aus politischen Gründen ermordet wurde. Dass Journalisten vom Geheimdienst bedroht und eingeschüchtert werden, sei in Marokko allerdings an der Tagesordnung, erzählt Lmrabet:

    Wir werden ständig abgehört. Die Geheimdienstler wissen, mit wem wir ausgehen, mit wem wir zu Mittag essen. Man hat kein Privatleben. Marokko ist ein Polizeistaat, und die Journalisten haben Angst.

    Lange Zeit gab es in Marokko ausschließlich regierungsnahe Zeitungen und dröge Parteiblätter. Mittlerweile sind auch ein halbes Dutzend unabhängige, kritische Publikationen auf dem Markt. Sie haben es nicht leicht mit dem Makhzen, dem Machtapparat des Königs: vor allem die vielgelesenen arabischsprachigen Blätter werden immer wieder mit Anklagen wegen angeblicher Falschmeldungen, Verleumdung oder sogenannter "Gefährdung der nationalen Sicherheit" überzogen. Aber auch die frankophone Presse wird drangsaliert. Das satirische Wochenblatt "Demain" von Ali Lmrabet kritisierte in den letzten Monaten die zunehmende Machtfülle des Königsberaters André Azoulay und warnte vor den Machtgelüsten marokkanischer Militärs. Daraufhin wurde "Demain" an den Kiosken des Königreichs beschlagnahmt, Anzeigenkunden wurden eingeschüchtert und sprangen ab. "Demain" hat zur Zeit praktisch keine Werbeeinnahmen mehr.

    Man hält uns für subversiv. Die meisten marokkanischen Zeitungen und ihre Macher sind doch völlig diskreditiert, weil sie mit den politischen Mächtigen im Bunde sind. Wir dagegen sind glaubwürdig. Die Mächtigen haben Angst, dass wir die Rolle der marokkanischen Monarchie in Frage stellen. Aber warum eigentlich nicht? Eines Tages muss es dazu kommen! Wir wollen das Regime weder aufbauen, noch es zerstören. Wir sind ganz einfach da, um zu informieren.

    Ali Lmrabet stand unlängst in Casablanca vor Gericht. Seine Zeitung hatte berichtet, eine der königlichen Residenzen stehe möglicherweise zum Verkauf. Die marokkanische Justiz wollte darin einen Angriff auf die Monarchie sehen. Bei der Verhandlung holte der Staatsanwalt einen dicken Stein aus der Aktentasche, und erklärte dem Angeklagten, dies sei ein normaler Stein. Sobald dieser Stein aber in einem Palast verbaut werde, handle es sich um einen heiligen Stein, über den Journalisten nicht zu schreiben hätten. Ali Lmrabet und viele Kollegen aus dem In- und Ausland wussten nicht, ob sie über diese Logik lachen oder weinen sollten.

    Unser politisches System ist feudal. Es gibt absolute Tabus. Bei Ihnen ist es ganz normal, über den Staatschef oder den Premierminister zu informieren, das ist keine Frage. Wenn man bei uns über den König spricht, ist es, als spräche man über Gott. Die Verfassung verbietet es, den König zu kritisieren. Man kann deswegen für fünf bis zwanzig Jahre ins Gefängnis wandern. Das ist mittelalterlich. Aber das ist das Marokko des 21. Jahrhunderts.

    Ali Lmrabet wurde im besagten Prozess zu einer Geldstrafe von 30.000 Dirham, umgerechnet 3.000 Euro verurteilt. Mit Hilfe von Freunden und Lesern bekam er das Geld zusammen. Doch damit war die Sache nicht beendet:

    Die Gerichtskasse wollte die Zahlung nicht akzeptieren. Wir wollten mit einem Scheck bezahlen. Normalerweise ist das möglich. Aber die Beamten meinten, wir müssten bar zahlen. Okay, wir sind zur Bank gegangen und haben Bargeld geholt. Als wir es abgeben wollten, hieß es plötzlich, wir bräuchten noch ein bestimmtes Papier. Wir haben das Dokument besorgt, doch als wir damit zurückkamen, war die Kasse geschlossen.

    Lmrabets Anwalt gab das Geld daraufhin bei der Staatsanwaltschaft persönlich ab. Wenige Tage später wurde Ali Lmrabet dennoch wegen der angeblich nicht bezahlten Geldstrafe zu vier Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Der Protest im In- und Ausland war so massiv, dass die Staatsanwaltschaft in Casablanca das Urteil Mitte Dezember wieder aufhob.

    Für mich heißt das, es ging gar nicht um die Geldstrafe. Die Mächtigen wollen "Demain" dicht machen.

    Dass das jederzeit passieren kann, wissen auch die Herausgeber der angesehenen marokkanischen Wochenzeitung "Le Journal Hebdomadaire". Die Vorgängerin, kurz "Le Journal", wurde mehrfach zensiert, am Erscheinen gehindert, und schließlich ganz verboten. Abubakr Jmai und Ali Amar brachten die Zeitung daraufhin unter neuem Namen heraus. Doch der Clinch mit den Mächtigen geht weiter: Wegen ihrer Berichte über undurchsichtige Immobiliengeschäfte des amtierenden marokkanischen Außenministers Mohamed Benaissa wurden Jmai und Amar am 14. Februar in Casablanca verurteilt: zu rund 50.000 Euro Geldstrafe und drei bzw. zwei Monaten Gefängnis auf Bewährung. Der Außenminister Benaissa hatte die beiden Journalisten wegen Verleumdung verklagt. Die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen forderte in einem Brief an den marokkanischen Justizminister Omar Azziman die Aufhebung des Urteils. Ali Amar und Abubakr Jmai haben Berufung gegen das Urteil eingelegt.