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Marquardt: Hochschulen müssen sich differenzieren

Interne Überlegungen sehen eine klare Hierarchisierung der Hochschulen und stärkere Schwerpunktsetzung in der Forschung vor. Ziel sei es, dass jede Hochschule ihr eigenes Profil findet und dort die Stärken ausbaut, sagt der Vorsitzende des Wissenschaftsrat Wolfgang Marquardt.

Wolfgang Marquardt im Gespräch mit Jörg Biesler |
    Jörg Biesler: Die deutsche Hochschullandschaft, die ist ein bunter Teppich, wie das ganze Land, denn Bildungspolitik ist Ländersache in Deutschland und war es auch schon in vordemokratischen Zeiten. Und so wuchsen die Hochschulen, wo es den jeweiligen Landesfürsten gefiel und so hoch, wie sie es für richtig hielten und finanzieren wollten. Was der Wissenschaftsrat gerade auf seiner Frühjahrssitzung in Würzburg diskutiert und offenbar schon länger vorbereitet, das wäre das genaue Gegenteil: Eine zentral gesteuerte Hochschulentwicklung, die Spitzenunis, forschungsstarke Unis und den ganzen Rest unterscheidet. So jedenfalls berichtet unter anderem die "Süddeutsche Zeitung". Kurz vor der Sendung habe ich mit dem Vorsitzenden des Wissenschaftsrats, Wolfgang Marquardt, gesprochen, und ihn zunächst gefragt, wie sehr es ihn eigentlich ärgert, dass diese internen Vorschläge nun öffentlich geworden sind.

    Wolfgang Marquardt: Ich war wirklich empört über diese Vorgänge, dass die Dinge an die Öffentlichkeit gekommen sind, und ich bedaure es sehr, dass aus dem Gremium heraus dieser vertrauliche erste Entwurf an die Öffentlichkeit gegangen ist. Ich hoffe und glaube auch, dass die öffentlichen Verlautbarungen, die Beratungen, die ja noch in vollem Gange sind, des Gremiums nicht beeinträchtigen werden, aber man muss sich natürlich klar sein, dass solche Vorgänge auch die Gefahr in sich bergen, dass ein solches Gremium einen Reputationsschaden dadurch erfährt, und das bedaure ich sehr. Und ich hoffe einfach, dass diese Dinge in der Zukunft nicht mehr vorkommen werden. Wichtig hier einfach festzustellen ist, dass dieses ganze Thema der Befassung mit dem Wissenschaftssystem auf einer mittelfristigen Perspektive, zeitliche Perspektive, wie wir es vornehmen, ein sehr, sehr komplexes Unterfangen ist mit sehr, sehr vielen Teilaspekten, die man so, wie es im Moment in der Presse gemacht wurde, mit drei, vier Schlagworten eben nicht hinreichend erfassen kann, auch gar nicht den Geist erfassen kann, der dahintersteckt. Das, was wir in der Zeitung lesen konnten, ist mehr als eine grobe Simplifizierung dessen, was intendiert ist und was in dem Papier am Ende stehen wird.

    Biesler: Dann reden wir mal über den Geist. Was jedenfalls der Presse zu entnehmen ist, es würde eine stärkere Hierarchisierung der Hochschulen geben, eine Gruppierung sozusagen, eine Konzentration auch, international konkurrenzfähige Spitzenuniversitäten, dann eine zweite Riege, die forschungsstark sind und dann ganz normale Universitäten sozusagen als Unterbau des Ganzen. Es ist eine Konzentration, eine ganz offensive, eine zentralere Steuerung auch. Was könnte das bringen, was für ein Geist steckt dahinter?

    Marquardt: Ein ganz wichtiges Anliegen des Papiers ist, die Hochschulen in ihrer Gesamtheit als das Herzstück des Wissenschaftssystems zu verstehen, und Ermöglichungsstrukturen aufzubauen, die die vielfältigen Aufgaben, denen sich das Hochschulsystem gegenübersieht, auch wirklich erfüllen zu können. Die Anforderungen, die die Hochschulen zu erfüllen haben, die gehen weit über Forschung hinaus. Im Bereich der Lehre sind riesige Aufgaben zu bewältigen, aber um ein drittes Beispiel hier noch zu nennen, eine dritte Leistungsdimension zu nennen, der Transfer, der Transfer von wissenschaftlichen Resultaten in die Gesellschaft, in die Wirtschaft, aber wirklich auch in die Gesellschaft. Unsere Vorstellung ist, dass eine einzelne Einrichtung, Universität oder Fachhochschule unmöglich die breiten und immer breiter werdenden Anforderungen in all diesen Leistungsdimensionen auf hohem Niveau – international kompetitiv meine ich da durchaus mit hohem Niveau – leisten kann. Und daraus folgt letztlich, dass Hochschulen sich differenzieren müssen, also die Dinge, die sie gut können, wo die Anlagen gut sind, diese weiter auszubauen und zu stärken. Im Grunde ist es aber so, dass alle Hochschulen irgendeine Mischung dieser verschiedenen Dimensionen als ihr Profil herausarbeiten. Da gibt es aber keine Klassen, schon gar keine Hierarchien, sondern da muss das Ziel sein, dass jede Hochschule ihr eigenes Profil in diesem dreidimensionalen Leistungsraum Forschung, Lehre, Transfer findet und dort die Stärken weiter stärkt. Systemisch muss dann eine Einrichtung durch Kooperation mit anderen – und da kann ich jetzt den Bogen schlagen aus den Hochschulen raus in die Universität der Forschung –, dann muss aus dieser Stärke durch Profilierung heraus die Kooperation mit anderen Einrichtungen gesucht werden, um sozusagen Dinge, die man allein nicht kann, die das Zusammenwirken mit anderen braucht, auch wirklich wiederum auf dem höchstmöglichen Qualitätsniveau auch zu schaffen. Also das ist der Gedanke, der da dahintersteckt, und überhaupt nicht eine Hierarchisierung in den Vordergrund schiebt.

    Biesler: Na ja, am Ende wird dann wahrscheinlich doch eine Hierarchisierung stehen, zwangsläufig, denn nicht jede Hochschule kann ja international konkurrenzfähig sein, das wird sich auf wenige beschränken, und die ragen dann natürlich auch besonders heraus. Also eine Hierarchisierung gibt es dann jetzt schon, aber Sie haben ja gesagt, das ist insgesamt ein System, also wo es auch um die Vermittlung geht, das BAföG, war jetzt auch nachzulesen, soll jetzt vom Bund finanziert werden, dafür sollen die Länder zusammen mit dem Bund Forschungsprofessuren und Institute, die Forschungsschwerpunkte sitzen, finanzieren. Also insgesamt würden Sie schon sagen, ist es ein Kulturwandel, eine stärkere Konzentration, auch eine stärkere Beteiligung des Bundes als in der Vergangenheit?

    Marquardt: Wir sehen, und das ist auch eine Grundhypothese, Arbeitshypothese für die Empfehlung, die wir im Moment erarbeiten. Wir sehen Wissenschaft, also Bildung und Forschung oder Ausbildung, Bildung und Forschung, das sehen wir als eine Nationale Aufgabe, das hören wir auch immer wieder von der Politik, das heißt, man muss Lasten teilen, man muss Aufgaben teilen, sowohl im politischen Raum als auch im Raum der Wissenschaftsakteure. Und insofern ist es nur folgerichtig, dass eben Bund und Länder zusammen diese nationale Aufgabe, ein möglichst leistungsfähiges Wissenschaftssystem zu entwickeln, diese auch aufgreifen und eben zu einer sinnvollen, auch fairen Teilung von Aufgaben und Lasten kommen.

    Biesler: Wenn ich jetzt noch mal mein Bild vom Anfang aufnehme, ein bunter Teppich ist die deutsche Hochschullandschaft, können Sie da mit dem Begriff Flurbereinigung was anfangen?

    Marquardt: Ich glaube, das ist der falsche Begriff, Flurbereinigung, in diesem Sinn. Wir haben eine vielfältige Landschaft, und Vielfalt ist eine Stärke. Wir haben eine Landschaft im Hochschulbereich, die sich durch ein hohes Niveau im Mittel auszeichnet, das ist sicher eine Stärke im deutschen System. Wir brauchen aber eben auch herausragende Spitzen, die über dieses Mittel deutlich rausgehen, und das wird nur wenigen Hochschulen gelingen, in sozusagen möglichst vielen Leistungsdimensionen, institutionell sozusagen herauszuragen und nicht nur in speziellen Teilgebieten, in einen bestimmten Forschungsbereich oder, um mal ein ganz anderes Beispiel zu nennen, im Bereich der Weiterbildung, ja? Und international wirklich mit Strahlkraft und richtig sichtbar werden Institutionen für – ich sage mal – den Interessierten, den an Wissenschaft interessierten Laien, da werden wirklich nur ganz, ganz wenige Hochschulen die Möglichkeit haben, da hinzukommen. Und das muss eben Ziel sein, in möglichst vielen Bereichen an den Hochschulen vielen Leistungsbereichen an den Hochschulen wirklich auch Spitzenleistungen zu bringen.

    Biesler: Die Planung ist mittelfristig, haben Sie gesagt. Wann wird die Planung denn so weit sein, dass Sie damit auch an die Öffentlichkeit gehen, mit Ihren endgültigen Vorschlägen dann?

    Marquardt: Also wir möchten diese Empfehlung nach der ersten Lesung jetzt in diesen Wissenschaftsratssitzungen in den folgenden, im Juli auch verabschieden, das ist unser Plan.

    Biesler: Wolfgang Marquardt, der Vorsitzende des Wissenschaftsrates zur bislang nur intern diskutierten Überlegung zur deutschen Hochschullandschaft. Danke schön!

    Marquardt: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.