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Marschbefehl leichter gemacht

Es war keineswegs der größte Einsatz der Bundeswehr und auch nicht ihr gefährlichster, als im Sommer 2001 deutsche Soldaten nach Mazedonien ausrückten, um im Rahmen eines kleinen Kontingents der NATO das Aufflammen eines Bürgerkriegs zwischen Albanern und Mazedoniern zu unterbinden. Dazu sollten vor allem Waffen der beiden Volksgruppen eingesammelt werden. Essential Harvest – Wichtige Ernte hieß die NATO-Operation. Ein großer Bürgerkrieg konnte verhindert werden. Doch zum Waffensammeln kamen die deutschen Soldaten zu spät: Als sie an der Grenze zwischen Mazedonien und dem Kosovo ankamen, war die Sammelaktion von Soldaten anderer NATO-Staaten mit mehr oder weniger Erfolg bereits im wesentlichen beendet.

Von Matthias Rumpf und Christian Thiele | 30.03.2004
    Solche Abläufe waren in den vergangenen Jahren nicht selten. Häufig kommen deutsche Soldaten erst als zweite zu Auslandseinsätzen. Manch kleinere Mission wird gar nicht erst erwogen, obwohl alle politischen Kräfte in Deutschland daran ein großes Interesse hätten.

    Wir hatten im Jahr 2002 innerhalb von einigen Monaten mehrere Anfragen von Seiten der Vereinten Nationen, ob die Bundesrepublik nicht ein, zwei oder drei Offiziere für UN-geführte Missionen in Afrika stellen könnte - einmal sogar einen Missionschef -, also immer Soldaten mit Spezialfunktionen, nie also eben dann der einzelne Fallschirmjäger usw. Und da ist dieses jeweils von der Bundesregierung abschlägig beschieden worden, eben genau vor dem Hintergrund, dass einem die ganze Parlamentsbeteiligung als völlig unverhältnismäßig erschien.

    Der Aufwand, von dem der Verteidigungsexperte der Grünen, Winfried Nachtwei, spricht, ist die Befassung des Bundestages mit jedem noch so kleinen Einsatz von Bundeswehrsoldaten. Manchmal entstehen auch Situationen, die für die Bundeswehr im Bündnis peinlich sein können: Soldaten, die im Rahmen von Austauschprogrammen bei anderen Nationen eingesetzt waren, mussten schon zurückgeholt werden, wenn deren Verband schnell zu einem Kriseneinsatz gerufen wurde.

    In zwei Lesungen muss das Parlament also beschließen, wenn auch nur einzelne Soldaten in Marsch gesetzt werden sollen. Nicht selten muss es schnell gehen, so dass die Abgeordneten aus den Parlamentsferien gerissen werden und zu Sondersitzungen nach Berlin fliegen müssen. Rund 50 Mal hat der Bundestag seit 1994 über Auslandseinsätze der deutschen Armee entschieden. Und das, obwohl die kleinen Anfragen für ein oder zwei Offiziere in dieser oder jener UN-Mission häufig schon von der Regierung abschlägig beschieden werden, also den Bundestag gar nicht erreichen. Allein in der letzten Legislaturperiode mussten die Abgeordneten 17 Mal die Hand für solche Entsendebeschlüsse heben. In der Regel taten sie es mit überwältigender Mehrheit über die Fraktionsgrenzen hinweg.

    Mittlerweile empfinden viele das Vorrecht des Parlaments, über den Einsatz von Soldaten zu entscheiden, angesichts der Fülle der Aufgaben, die die Bundeswehr im Ausland wahrnimmt, als drückenden Formalismus. Die Fraktionen im Bundestag sind sich einig darüber, dass andere Verfahren gefunden werden müssen, um die Entsendung von Soldaten in Einsätze zu beschließen. Ein neues Gesetz, zunächst Entsendegesetz, inzwischen Parlamentsbeteiligungsgesetz genannt, wird ab morgen in den Ausschüssen des Bundestages beraten.

    Die Regierung soll es künftig leichter haben, Bundeswehrsoldaten in den Einsatz zu schicken. Aber das Parlament soll beteiligt bleiben. Denn dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee bleiben soll, steht nicht zur Disposition. Es geht also darum, die Mitwirkungsrechte des Parlaments bei der Entsendung der Bundeswehr so zu gestalten, dass die Regierung handlungsfähig bleibt. Der deutsche Parlamentsvorbehalt ist der rot-grünen Koalition auch weiterhin lieb und teuer.

    Eigentlich wird auf den ersten Blick gar nicht klar, warum der Bundestag über jeden Einsatz beschließen muss. Denn die deutsche Verfassung schweigt zu dieser Frage. Einen Artikel, der für den Einsatz deutscher Soldaten im Ausland explizit eine Parlamentsbeteiligung vorschreibt, sucht man im Grundgesetz vergeblich. Das liegt auch daran, dass weder bei den Beratungen über die Verfassung noch bei der Gründung der Bundeswehr irgend jemand solche Einsätze für möglich gehalten hätte.

    Deshalb war es die Interpretationskunst der Verfassungsrichter, die im Juli 1994 einen solchen Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze etablierte. Damals urteilten die Richter über den Einsatz von Bundeswehrsoldaten in AWACS-Aufklärungsflugzeugen der NATO, die außerhalb des NATO-Gebiets zur Überwachung des Embargos gegen das damals zerfallende Jugoslawien eingesetzt wurden. In der Entscheidung der Karlsruher Richter heißt es, Zitat:

    Das Grundgesetz verpflichtet die Bundesregierung, für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte die - grundsätzlich vorherige - konstitutive Zustimmung des deutschen Bundestages einzuholen.

    Allerdings betonte das Verfassungsgericht:

    Es ist Sache des Gesetzgebers, jenseits der im Urteil dargelegten Mindestanforderungen und Grenzen des Parlamentsvorbehalts für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten.

    Wie diese parlamentarische Mitwirkung genau aussehen soll, wird nun zehn Jahre nach dem Karlsruher Urteil in dem neuen Gesetz geregelt. Dass es so lange gedauert hat, hat viel mit politischen Befürchtungen zu tun. Noch einmal Winfried Nachtwei:

    Wir haben früher ein Entsendegesetz abgelehnt, weil wir einen Abbau von Parlamentsrechten befürchteten. Jetzt aber wird es eindeutig keinen Abbau geben, sondern eine Präzisierung.

    In Deutschland galt der Parlamentsvorbehalt lange als Bollwerk gegen einen allzu freizügigen Einsatz der Bundeswehr in aller Welt. Auf internationaler Ebene ist der Einfluss des deutschen Parlaments bei der Truppenentsendung ungewöhnlich. In Frankreich etwa entscheidet der Staatspräsident alleine über Einsätze - die Nationalversammlung wird bestenfalls informiert. Ähnliche Rechte hat der britische Premierminister. In den USA muss der Präsident als "Commander in Chief" nach 60 Tagen die Zustimmung des Kongresses einholen. Dies ist in der Regel eine Formsache. Bislang allerdings hat auch der Bundestag jede Zusage, die die Bundesregierung gemacht hat, bestätigt.

    In einem NATO-Land, in Ungarn, galten ähnlich strenge Regeln wie in der Bundesrepublik. Dort musste bisher sogar eine Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten im Parlament zustimmen, wenn Soldaten in den Einsatz geschickt werden sollen. Doch vor kurzem hat das ungarische Parlament diese Regelung abgeschafft, wenn dem Einsatz ein einstimmiger Beschluss des NATO-Rates zugrundeliegt. Der sozialistische Abgeordnete István Újhelyi, der Ungarn auch in der Parlamentarischen Versammlung der NATO vertritt:

    Es war bislang ein sehr kompliziertes Prozedere. Auch wenn wir bloß zwei, drei Militärärzte entsenden wollten, hat es sehr lange gedauert. Deshalb haben wir das geändert - auch auf Bitten der NATO.

    Auch in Deutschland sollen künftig Einsätze von geringer Intensität und Tragweite über ein so genanntes vereinfachtes Verfahren geregelt werden. Will Berlin also demnächst etwa einzelne deutsche Soldaten für eine Operation der EU, der NATO oder den Vereinten Nationen abstellen, dann würde die Regierung ihren Antrag nur den Fachleuten und Chefs der Fraktionen vorlegen - und nach einer einwöchigen Einspruchsfrist könnte der Abmarsch beginnen. Das bisherige Verfahren wird also umgekehrt. Bundesverteidigungsminister Peter Struck:

    Also, wenn wir ein Factfinding-Team irgendwo hinschicken, bei dem auch Soldaten beteiligt sind, da muss nicht unbedingt der Bundestag beschließen. Oder die Beteiligung von Bundeswehrsoldaten an internationalen Stäben oder auf Schiffen, wenn diese in Krisenregionen entsandt werden. Dafür wird man nicht in jedem Fall die Zustimmung des Bundestages einholen müssen.

    Um die Zielrichtung deutlich werden zu lassen, hat die Koalition den Namen des Gesetzes geändert: Statt Entsendegesetz heißt der Entwurf nun Parlamentsbeteiligungsgesetz. "Die bestehende materielle Rechtslage wird nicht geändert”, heißt es in der offiziellen Gesetzesbegründung: "Die Rechte des Deutschen Bundestages ... werden weder ausgeweitet noch eingeschränkt.” So betont Winfried Nachtwei, dass in Zukunft der Bundestag besser informiert wird...

    ...und zwar, dass über die regelmäßige Berichterstattung hinaus auch politische Zwischenbilanzierungen erfolgen und vor allem nach Abschluss eines Einsatzes eine Evaluierung, also eine Auswertung: Was hat es gebracht, und was hat es nicht gebracht? Was hat es gekostet? - und so weiter und so fort. Solches erfolgt bisher nicht. Und das ist schon bemerkenswert. Auslandseinsätze gehören zu den, oder sind die teuersten außenpolitischen Maßnahmen eines Staates. Und die werden vergleichsweise wenig ausgewertet. Und dies ist eine wichtige, aber unauffällige Neuerung.

    Mehr Information auf der einen und der Verzicht auf Parlamentsentscheidungen für Bagatellmissionen auf der anderen Seite: Das ist das Konzept des Gesetzentwurfes, der nun in den Ausschüssen des Bundestages beraten wird. Anders als ursprünglich geplant wird der Entwurf nicht von allen Fraktionen des Bundestages unterstützt. Denn der vorliegende Text regelt für CDU/CSU und FDP nicht das, was er eigentlich sollte. Unionsfraktionsvize Wolfgang Schäuble:

    Wenn man ein Gesetz macht über die Rolle des Parlaments über die Einsätze von Soldaten, dann muss es die Fälle, die es realistischerweise gibt, regeln und nicht sagen, nein, wir machen jetzt mal die harmlosen Fälle, wir klären jetzt, dass wenn ein Musikcorps der Bundesluftwaffe zum Musikfestival nach Basel fährt und dabei unbewaffnet fährt, dass das also ohne einen Bundestagsbeschluss geschehen kann. Das ist auch vielleicht notwendig, aber es ist nicht das dringlichste Problem.

    Die wirklich brisanten Fälle liegen für Schäuble nicht in dieser oder jener Abstellung von ein paar Offizieren für die UN. Den größten Konflikt sieht er beim Einsatz integrierter Verbände, wie sie derzeit innerhalb von NATO und EU aufgestellt werden. Norbert Eitelhuber, Sicherheitsfachmann bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, hält es für ein realistisches Szenario...

    ...dass innerhalb weniger Tage der Nordatlantikrat über den Einsatz dieser Truppe entscheidet, diese Truppe dann innerhalb von fünf Tagen in das Einsatzgebiet verlegt werden soll und der so genannte transfer of authority, also die Übertragung der Befehlsgewalt über die Truppen, die entsandt werden, schon vor Verlegung erfolgen soll. Dies bedeutet natürlich auch, dass die Entscheidungsverfahren auf der nationalen Ebene über einen Einsatz angepasst sein müssen an eine so schnelle Reaktion.

    Zur neuen NATO-Eingreiftruppe, der NATO Respose Force – oder kurz NRF - stellt die Bundesrepublik zur Zeit rund 1.300 Soldaten ab. Wenn die Bundeswehr im Jahr 2006 die Führungsrolle in der NRF übernimmt, werden es rund 5000 Soldaten aus Heer, Marine und Luftwaffe sein. Das NRF-Konzept sieht vor, dass die NATO-Partner eine Streitmacht aufstellen, die innerhalb weniger Tage weltweit Rettungs-, Krisen- oder Anti-Terroreinsätze aufnehmen kann. Das bedeutet für den Verteidigungsminister, dass auch der Bundestag schnell beschließen muss.

    Für mich ist entscheidend, dass der Bundestag in der Lage ist, sehr schnell zu reagieren. Denn es kann auch sein, dass wir innerhalb der NATO auch schnell reagieren müssen, denn dann ist es für eine deutsche Bundesregierung nicht immer ganz einfach, so etwas durchs Parlament zu bringen, wenn in NATO-Gremien ganz konkrete Planungen beginnen sollen.

    ...Es kann nicht so sein, dass man innerhalb der NATO einen Krisenverband aufstellt der weltweit innerhalb von fünf Tagen einsatzfähig sein muss, der aber nicht eingesetzt werden kann, weil der deutsche Bundestag das Thema noch nicht in zweiter Lesung beschlossen hat.

    Die Befürchtungen von Wolfgang Schäuble sind nicht aus der Luft gegriffen. Denn zumindest gemessen an dem, was die NATO beschlossen hat, ist es fraglich, ob tatsächlich bei einem Einsatz der NRF genug Zeit für eine Befassung des Bundestages bleibt. Denn es gilt: Nach fünf Tagen soll nicht erst der Abmarsch beginnen - innerhalb von fünf Tagen sollte die Truppe vor Ort einen Einsatz starten können - die Verbände müssen quasi mit laufendem Motor und jederzeit abmarschbereit vorgehalten werden. Jede Nation stellt bestimmte Fähigkeiten für ein halbes Jahr zur Verfügung, die essentiell sind für die Einsatzfähigkeit der NRF. Für diese Truppenteile fordert der Unionspolitiker Schäuble deshalb ein grundsätzlich anderes Verfahren. So sollte der Bundestag nach seiner Ansicht bei der Abstellung der Kontingente oder am Beginn einer Legislaturperiode diese für Einsätze freigeben. Eine Kontrolle wäre dann nur über die Mitwirkung im NATO-Rat möglich: Dort müsste die Bundesregierung dem Einsatz zustimmen. Beschlüsse dort werden einstimmig gefasst. Mit einem solchen Vorratsbeschluss kann sich Rot-Grün aber gar nicht anfreunden. Winfried Nachtwei:

    Das würde unserer Auffassung nach allerdings bedeuten, dass immer mehr oder gar die Masse künftiger Einsätze dann rausgenommen würden oder gerade die schärfsten und riskantesten, nämlich die der NATO Response Force, aus der direkten Parlamentsbeteiligung herausgenommen würden. Und das würden wir für eine enorme Aushöhlung des Parlamentsvorbehaltes halten.

    Die Koalition hält deshalb weiterhin daran fest, dass das gesamte Parlament auch über jeden einzelnen Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der NRF entscheidet. Für ein Land, das zu den großen Truppenstellern in der Allianz zählt, keine tragfähige Lösung, findet Norbert Eitelhuber von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

    Das heißt, die politische Option zu sagen: Man stimmt einem Einsatz der NATO im Nordatlantikrat zu, behält aber seine eigenen Truppen zurück, mag eine Lösung für kleine Nationen sein, stellt aber keine Lösung dar für die Bundesrepublik Deutschland.

    Würde der deutsche Vertreter im NATO-Rat für einen Einsatz die Hand heben, das Parlament in Berlin aber der Regierung die Truppen verweigern, würde der Einsatz nicht durchgeführt werden können. Auch der Verteidigungsminister war deshalb noch vor kurzem der Meinung, dass das eigentlich nicht geht. Im Oktober hatte er bei einem Planspiel der NATO-Verteidigungsminister in Colorado Springs erfahren müssen, dass bei einem dringlichen Einsatz der NRF überhaupt keine Zeit für die Beteiligung des ganzen Bundestages bleibt. Damals schlug Peter Struck vor, einen Entsendeausschuss aus Außenpolitik- und Verteidigungsexperten einzusetzen, der stellvertretend für den kompletten Bundestag entscheiden kann.

    Ich glaube, dass die letztes Jahr von Verteidigungsminister Struck vorgeschlagene Befassung eines Ausschusses mit der Entsendung sehr wohl einen Kompromiss darstellen könnte zwischen schneller Herbeiführung eines Beschlusses und andererseits hinreichender Befassung des Parlamentes. Es wäre eine Zwischenlösung zwischen Vollbefassung des Parlamentes einerseits, die für zukünftige Aufgaben nicht immer praktikabel sein wird, und andererseits dem sehr weitgehenden Bereich einer Übertragung von Befugnissen an die Exekutive.

    Doch einen solchen Ausschuss konnte Struck in der Koalition nicht durchsetzen. Bis jetzt muss der Minister damit leben, dass in jedem Fall der ganze Bundestag über NRF-Einsätze entscheiden wird. Als langjähriger Fraktionschef hat er auch Verständnis für die Haltung der Abgeordneten und erklärt deshalb:

    Am Beispiel Kundus haben wir jetzt acht Tage zwischen einem Kabinettsbeschluss und einem Beschluss des Bundestages gehabt. Ich kann mir vorstellen, dass das auch in einem Zeitraum von fünf Tagen möglich sein muss. Und wie mir die Fraktionen im Bundestag mitgeteilt haben, sehen sie sich dazu auch in der Lage.

    Es kann nicht sein, es ist eine unverantwortliche Politik, dass der Verteidigungsminister sagt, ich habe da in Colorado ein Problem entdeckt, das ich auf dem Rückflug über den Atlantik wieder verloren habe. Das geht nicht, das ist keine verantwortliche Politik.

    Im Entsendeausschuss sehen manche eine Abschaffung des Parlamentsvorbehalts für den Bundeswehreinsatz - und einen Bruch einer Tradition, die das deutsche Verfassungsgericht in seinem Urteil von 1994 selbst bis in die Zeit vor der Gründung der Bundesrepublik zurückverfolgt hat. Auch in der Weimarer Verfassung hatte es einen solchen Vorbehalt des Reichstages für den Einsatz von Streitkräften gegeben.

    Bislang sollte der Parlamentsvorbehalt ein Hemmnis gegen einen allzu freizügigen Einsatz von Soldaten sein. Ob das angesichts der zahlreichen Einsätze in den letzten Jahren noch so gelten kann, ist umstritten. Zudem brauchen die Europäer mit ihren vergleichsweise kleinen Verteidigungshaushalten integrierte Verbände, um überhaupt militärisch wahrgenommen zu werden. Das bedeutet aber: Wenn solche Verbände erst einmal stehen, dann kann sich ein Land nicht mehr ohne weiteres einem Einsatz entziehen, ohne politisch marginalisiert zu werden, wenn das Parlament nicht dem zustimmen will, was die Regierung vorher in NATO-Rat oder EU ausgehandelt hat.

    Wie schwierig die Balance zwischen Parlamentsbeteiligung und der Arbeit in integrierten Verbänden zu erreichen ist, zeigt auch der Fall Irak, wo Deutschland mittlerweile politisch die Haltung vertritt, dass die NATO unter einem UN-Mandat die Führung der Besatzungstruppen von den USA übernehmen sollte. Dazu müssten NATO-Stäbe nach Bagdad, in denen auch deutsche Offiziere ihren Dienst tun und die nicht einfach zu ersetzen sind. Streit in der Regierung ist hier programmiert. Noch einmal Winfried Nachtwei:

    Und wenn es dann also um so einen Fall Irak geht, NATO-Hauptquartier im Irak, das ist genau eine knifflige Zone, wo man einerseits im Sinne der Integration sagen würde, das soll auch mit möglich sein, aber andererseits politisch wird dann auch die Beteiligung von 30 oder 40 deutschen Offizieren in einer einsatzführenden Rolle als Einsatzbeteiligung gewertet.

    ... was dann auch nach der Verabschiedung des Entsendegesetzes eine Abstimmung im Bundestag nötig machen würde.

    Wie eng die Befugnisse des Parlaments jenseits des Streits um den Einsatz in integrierten Verbänden sein werden, zeigt der Gesetzentwurf auch beim so genannten Rückholrecht. Zwar räumt der Text dem Parlament explizit das Recht darauf ein, die Soldaten aus einem Einsatz zurückzurufen. Allerdings ist diese Rückholklausel wenig präzise - auf die Festlegung einer bestimmten Abgeordnetenzahl, etwa in Fraktionsstärke, haben die Regierungsfraktionen verzichtet. Jedoch ist ein solcher Vorgang politisch auch kaum denkbar - denn die Parlamentsmehrheit würde ja der eigenen Regierung in einer Frage von Krieg und Frieden das Misstrauen aussprechen; dies dürfte kein Bundeskanzler politisch überleben.