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Martin Buber
"Wahrheitsarroganz macht Dialog unmöglich"

Martin Buber hat als jüdischer Religionsphilosoph wichtige Anstöße gegeben für den Dialog der Religionen. Dabei gehe es um mehr als Toleranz, sagt der Theologe Karl-Josef Kuschel im DLF. Auch der Jude Buber habe einen absoluten Wahrheitsanspruch zutiefst abgelehnt.

Karl-Josef Kuschel im Gespräch mit Andreas Main (Teil 3) | 21.05.2015
    Der Religionsphilosoph Martin Buber in einer undatierten Aufnahme. Martin Buber wurde am 8. Februar 1878 in Wien geboren und ist am 13. Juni 1965 in Jerusalem gestorben.
    Der Religionsphilosoph Martin Buber in einer undatierten Aufnahme. Martin Buber wurde am 8. Februar 1878 in Wien geboren und ist am 13. Juni 1965 in Jerusalem gestorben. (dpa / picture alliance / ANP)
    Zum 50.Todestag von Martin Buber am 13.Juni 1965 hat Professor Karl-Josef Kuschel ein Buch geschrieben mit dem Titel: "Martin Buber – seine Herausforderung an das Christentum". Er ist katholischer Theologe, ein Küng-Schüler und inzwischen emeritiert.

    Andreas Main: Herr Kuschel, Martin Buber war eine wichtige Stimme im 20. Jahrhundert und ein Außenseiter. Jesus von Nazareth war eine wichtige jüdische Stimme im 1. Jahrhundert, wenn man so sagen will, und ein Außenseiter. Schmerzt dieser Vergleich Sie intellektuell oder gibt es da strukturelle Parallelen?
    Karl-Josef Kuschel: Nun, Vergleiche sind immer problematisch. Buber wäre der letzte, der sich auf die Stufe Jesu stellen würde. Aber strukturell ist da ja was dran. Buber gehört in der Religionsgeschichte der Menschheit in diesem breiten Strom zu den Figuren, die man die Unangepassten nennen kann. Man könnte auch sagen: zu den prophetischen Figuren. Das waren Propheten, die quer zu ihrer Zeit standen. Insofern gibt es zwischen der Freiheit, die in der Botschaft Jesu zum Leuchten kommt, entspricht das auch dem tiefen Anliegen, das Martin Buber dann im 20. Jahrhundert verfolgt hat.
    Main: Buber hat Jesus von Nazareth als „großen Bruder“ bezeichnet. Großer Bruder Jesus – das hört sich mit christlichen Ohren ganz schön versöhnlich, harmonisch an. Inwieweit hat dieses berühmte Buber-Wort auch einen gefährlichen subversiven Stachel?
    Kuschel: Ja, oder anmaßend, haben ihm viele vorgeworfen, würde das klingen: "Mein großer Bruder", sagt er eben in dieser Schrift von 1950 "Zwei Glaubensweisen". Nein, die Kritik trifft ihn überhaupt nicht - im Gegenteil. Wenn er sagen will, ich habe Jesus als meinen großen Bruder betrachtet, dann meint er folgendes: Bruder bedeutet, auch Jesus ist ein Sohn des Volkes Israel, ein Sohn Abrahams, ein Sohn Davids. So heißt ja schon das allererste Wort des Neuen Testamentes. Er gehört also in die, zur Glaubensgeschichte dieses Volkes. Insofern Buber auch zu dieser Glaubensgeschichte des Volkes Israel gehört, ist Jesus sein Bruder. Und "großer Bruder" meint, im Sinne von: Er hat eine eigene Größe. Das hat er immer gesehen. Dem war er ja auf der Spur, das wollte er ja verstehen. Er wollte Jesus nicht klein machen, sondern im Gegenteil – er wollte seine Einzigartigkeit, seine Besonderheit, seine geschichtliche Einmaligkeit zum Leuchten bringen. Daher ein großer Bruder. Er sagt im selben Zusammenhang: Er ist der, der in keine der Kategorien der bisherigen Religionsgeschichte passt. Insofern ist dieses Wort Bruder, großer Bruder eine einzigartige Verneigung, kann man sagen, vor diesem einmaligen Mann Jesus aus Nazareth.
    Main: Buber hat ja schonungslos immer wieder darauf hingewiesen, wie der christliche Glaube aus der Reich-Gottes-Botschaft des Juden Jesus einen Erlöser-Glauben gemacht hat, einen Erlöser-Glauben an Christus. Diese jüdische Anfrage ans Christentum, das kann für Christen auch ein quälender Prozess sein. Wann und wie haben Sie sich dem erstmals gestellt und mit welchen Folgen?
    Kuschel: Ich habe mich dem erstmals stellen müssen Anfang der 70er Jahre, als diese ältere Generation von jüdischen Gelehrten im Geiste Martin Bubers, da lebte er ja nicht mehr, hier in Deutschland auftrat und das Gespräch nach der Shoah neu begann. Ich denke an Schalom Ben-Chorin, Pinchas Lapide oder Nathan Peter Levinson, die ich hier in Tübingen persönlich erlebt habe und die plötzlich ernst machten mit der Grunderkenntnis: Wer auf Jesus trifft als Christ, trifft auf das Judentum. Wer Jesus verstehen will, muss das Judentum seiner Zeit verstehen. Er muss verstehen, was er als Jude mitbekommen hat, was ihn geprägt hat, was die Konstanten gewissermaßen sind seiner Glaubensüberzeugung. Und dann immer ja wieder neu fragen, wenn christlicher Glaube bedeutet, an ihm sich zu orientieren, sind wir wirklich noch konform, mit dem, was er ursprünglich wollte? Das ist doch die unruhige Frage, die auch immer wieder zu Protestbewegungen innerhalb des Christentums geführt hat. Was hat man alles auf Jesus abgeladen! Nein, es kommt darauf an, sich wirklich darum zu kümmern: Was hat dieser Jude Jesus von Nazareth vom Menschen gewollt? Wie hat er Gott gesehen? Wie hat er uns zur Nachfolge herausgefordert? Alles weitere, was dann nach Ostern auf ihn geladen wurde, von ihm gesagt wurde, sind ja Theologien, die entstanden sind in einem anderen kulturellen Kontext, die aber immer wieder relativiert werden müssen an dieser ursprünglichen Botschaft des Juden Jesus von Nazareth.
    Main: Mal platt gesagt – anders als der Jude Jesus kommt der Jude Paulus nicht ganz so gut weg bei Buber. Was ist die zentrale Kritik?
    Kuschel: Die zentrale Kritik ist, dass Paulus diesen Christus, beziehungsweise den Christus-Glauben von Christen jetzt wieder zwischen Gott und Mensch geschaltet hat. Also, Gnade empfängt man erst, wenn man sich zu Christus bekennt. Gerettet wird man dann durch den Christusglauben, durch den Glauben an Christus. Also der Unterschied zu Jesus, so arbeitet Buber das heraus, Jesus hat den vergebenden, den gnädigen Gott allen Menschen angeboten. Umkehr ist jederzeit möglich, voraussetzungslos diesem Gott gegenüber. Denken Sie an das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Da braucht es keinen Christus-Glauben dazwischen. Paulus hat diese universale Vergebungsbereitschaft Gottes verengt, so sagt Buber, auf den Glauben an Christus, der dazwischen geschaltet ist. Und daraus hat sich dann mit der Zeit, mit den weiteren Entwicklungen, aber schon in den Spätschriften des Neuen Testamentes eine Art Vergottungsprozess Jesu ergeben. Er wird sozusagen zu einem zweiten Gott neben Gott, so dass Christen dann, wenn sie zu Gott beten, eigentlich nur noch zu Christus beten. Christus verdeckt Gott, den Vater, so stellt Buber das dar. Christen wenden sich nicht mehr direkt an ihn, sondern über Christus bestenfalls an ihn. Das ist die große Gefahr. Da hält er uns den Spiegel vor und sagt: Im Zentrum der Verkündigung Jesu steht doch Gott selbst. Wird nicht dieser Christus zu einer Sperre, zu einem Riegel zwischen Gott und Mensch?
    Main: Und er hält nicht nur denen den Spiegel vor, die sich als Christen für Christen halten, sondern allgemein sagt er, dass Religionen zum Selbstzweck werden können, dass sie die Tendenz haben, sich an Gottes Stelle zu setzen, so sinngemäß die Kritik von Buber. Solche Religionskritik führt bei ihm aber nicht dazu, nicht religiös zu sein – ganz im Gegenteil. Ist das so etwas wie ein Plädoyer für eine Religiosität möglichst frei von Institutionalisierung?
    Kuschel: Möglichst frei von einer Verdinglichung, die immer die Gefahr ist von Institutionen. Institutionen sind ja kein Selbstzweck - im besten Sinn des Wortes nach ihrem Selbstverständnis. Institutionen wollen ja helfen. Und Buber beobachtet, dass oft das Gegenteil der Fall ist – und zwar in allen Religionen. In allen Religionen haben wir so einen Prozess von Verfestigung, von – in diesem Sinne – Institutionalisierung, wo sich die Institution zwischen Mensch und Gott schiebt. Bubers Religionskritik gewinnt ihre Schärfe nicht aus der atheistischen des 19. Jahrhunderts – wie Feuerbach, Marx und Nietzsche, sondern gewinnt seine Schärfe aus dem Gottesverständnis der hebräischen Bibel. "Ich werde sein als, der ich sein werde" - so stellt sich Gott dem Mose im Dornbusch vor. Also, eine Religionskritik um der Unverfügbarkeit Gottes willen - das ist die Leidenschaft von Buber. Nicht eine Religionskritik, um die Gottesbeziehung abzubauen, abzuschneiden, für irrelevant, für illusionär zu erklären, sondern um die Beziehung des Menschen zum ewigen Du Gottes offen zu halten.
    Main: Er sagt auch, dass Religionen vorläufig seien. Wenn das so ist, dann müssten sie sich ja – aus meiner Sicht – relativieren, sich womöglich auch mal ein wenig selbstironisch belächeln können. Sind das aus Ihrer Sicht als jemand, der sich seit langen im interreligiösen Kontext engagiert und bewegt, gute Voraussetzungen für interreligiöse Verständigungen?
    Kuschel: Ja, beste Voraussetzungen, meine ich. Ein Dialog kann nicht funktionieren, wenn ein Partner wahrheitsarrogant auftritt. Das heißt also, meine Wahrheit steht mal fest und schaut zu, dass ihr das möglichst auch begreift. So kann man keinen Dialog führen. Buber hat ja ein Wort geprägt, das ich lange nicht verstanden habe. Er sagt, Religionen sind Exilen vergleichbar. Da habe ich gefragt, was meint er damit? Jede Religion ist ein Exil. Bis ich verstanden habe, er meint dies: Religionen sind nicht das letzte. Religionen sind nicht die Heimat, in die der Mensch gehört, sondern Gott selbst ist die Heimat, die wir erwarten, die auf uns zukommt. Religionen sind in diesem Sinne vorläufige Gebilde, Menschengebilde. Und entscheidend ist, dass alle Religionen sich zu Gott demütig werden müssen. Aus diesem Gedanken heraus sagt Buber im selben Zusammenhang demütig werden, dass sie ja immer nur Zeugnis geben von diesem Unverfügbaren. Wenn man das gemeinsam begreift, dass jede Religion immer nur Zeugnis gibt von dem Unverfügbaren, dann kann man wechselseitig sich erklären – etwa im Dialog zwischen Juden, Christen und Muslime - wie man denn dann diese Beziehung zu Gott als den Unverfügbaren jeweils gestaltet. Und vielleicht ergeben sich da erstaunliche Übereinstimmungen in der letzten Relativierung aller Religionen vor Gott.
    Main: Buber hat immer über den Tellerrand hinaus geblickt - zeitlebens; und gleichzeitig war er sich seiner eigenen Identität bewusst. Also kein Wischi-Waschi-Toleranz-Begriff. Wenn ich dies nach der Lektüre Ihres Buches als einen Merksatz rausfiltere, habe ich Sie und ihn dann zumindest in einem Aspekt richtig verstanden?
    Kuschel: Ja, absolut. Er sagt ja selber, das Wort Toleranz ist ihm viel zu billig. Toleranz heißt ja nur, ich dulde den anderen in seinem So-Sein - gewissermaßen zähneknirschend, um des Friedens willen lasse ich ihn gelten. Aber das ist ja noch kein Engagement, noch kein Sich-einlassen auf den anderen. Das hat mit Dialog gar nichts zu tun. Toleranz ist das Minimum, dass man mal den anderen gelten lässt, ihm nicht an die Gurgel geht. Nein, es geht in der Tat um ein doppeltes bei Buber: Auf der einen Seite nicht zu bestreiten, dass jeder Mensch eben seinen Zugang zu Gott hat. Auch die Christen - die Christen steuern halt ihre Beziehung zu Gott über die Christusbotschaft, über die Person Jesu Christi. Buber sagt, als Jude werde ich das nie verstehen können, warum man diesen Christus dazwischen braucht. So wie ein Christ nicht verstehen wird, warum Juden diesen Christus eben nicht brauchen, sondern eben an dieser Beziehung Gottes zu Israel alleine sozusagen festhalten. Nein, respektieren wir jeweils unsere verschiedenen Gottesgeheimnisse, sagt Buber auf der anderen Seite. Aber gleichzeitig halten wir uns kritisch den Spiegel vor.