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Martin Luther aus der Sicht des Vatikans

Fast 500 Jahre sind vergangen, seit der Vatikan Martin Luthers Lehren verurteilte und den Reformator mit dem Kirchenbann belegte. Ist die damalige Entscheidung Roms angesichts eines neuen, modernen Lutherbildes in der Forschung noch gerechtfertig? Fragen an Kurienkardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rates für die Einheit der Kirchen.

Von Corinna Mühlstedt | 13.06.2012
    "Papst Benedikt hat in einer Begegnung mit der VELKD klar seine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass es zu einem gemeinsamen Reformationsgedenken kommt. Das Lutherbild hat sich doch in der katholischen Kirche im letzten Jahrhundert sehr geändert. Wenn ich noch an die polemischen Werke denke, dann die große Wende, die der deutsche Gelehrte Lortz gebracht hat, mit einer neuen Sicht von Luther. Ich denke, von daher ist das Reformationsjubiläum ein Anlass, noch einmal zusammen zu tragen, was schon geschehen ist."

    Bis ins 20. Jahrhundert wurde Martin Luther in katholischen Kreisen weithin als Ketzer und Feind der Kirche verteufelt. Erst dann gelang es immer mehr Gelehrten, zu differenzieren und zeitbedingte Klischees oder Missverständnisse von wirklichen Lehr-Differenzen zu trennen. Kardinal Koch:

    "Ich denke, dass Luther ja eigentlich ein sehr, sehr positives Anliegen gehabt hat: die Erneuerung der Kirche, die ja immer nötig ist, dass daraus aber etwas ganz anderes entstanden ist, dass man ihn vielleicht nicht ganz freisprechen kann von der späteren Entwicklung, weil Martin Luther natürlich bei allen positiven Anlagen auch furchtbare Schattenseiten gehabt hat, und dass man die auch aufarbeiten muss. Dass es zu einem Bruch gekommen ist zwischen der katholischen Kirche und ihm, da meine ich, liegt die Schuld doch auf beiden Seiten."

    Im 16. Jahrhundert wurde Martin Luther aufgrund seiner ketzerischen Lehren in einer päpstlichen Bulle mit dem Kirchenbann belegt und exkommuniziert. Diese kirchliche Strafe zog nach damaligem Recht die Reichsacht nach sich, aufgrund derer der Reformator auch jeden Schutz durch das weltliche Gesetz verlor.

    Ist die damalige Entscheidung Roms angesichts eines neuen, moderneren Lutherbildes noch gerechtfertigt? Sollte man diese radikale Verurteilung des Reformators seitens der Kirche nicht hinterfragen? - Kardinal Koch differenziert:

    "Die Exkommunikation hat nur Kraft während des Lebens. Sie endet mit dem Tod. Deshalb kann man das nicht aufheben.

    Die andere Seite sind natürlich die Verurteilungen, die über seine Lehre ausgesprochen worden sind. Nur muss man hier sehen: Es sind gegenseitige Verurteilungen. Martin Luther hat scheußliche Urteile über die katholische Kirche, über das Konzil von Trient, wo er sagt, man müsste allen katholischen Bischöfen die Zunge im Halse abschneiden. Das war ja das große Verdienst, dass nach dem ersten Papstbesuch im Deutschland die Studie 'Lehrverurteilungen - kirchentrennend' entstanden ist."

    Die aufsehenerregende Studie verfasste im Auftrag von Papst Johannes Paul II eine Kommission katholischer und lutherischer Theologen. Sie stellte klar, dass die aggressiven Lehr-Verurteilungen, mit denen im 16. Jahrhundert beide Seiten einander in die Hölle schickten, die Kirchen in ihrer heutigen Form nicht mehr treffen.

    Diese Studie machte nicht zuletzt den Weg frei für die Unterzeichnung der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre seitens des Vatikans und des Lutherischen Weltbundes im Jahr 1999. Eine der zentralen Lehrdifferenzen zwischen beiden Kirchen wurde damit beseitigt, weitere Konsequenzen wurden allerdings nicht gezogen. Was bleibt zu tun?

    "Hier bleibt eigentlich nur die Möglichkeit, die man mit der Orthodoxie anvisiert hat, bei dieser gemeinsamen Erklärung von Papst Paul VI und Patriarch Athenagoras am Ende des Konzils, wo man sagt, dass man die gegenseitigen Verurteilungen endgültig dem Vergessen anheimgeben will. Aber das setzt natürlich schon voraus, dass man ein gegenseitiges geklärtes Lutherbild hat."

    Und genau das möchte man bis zum Reformationsjubiläum im Jahr 2017 erarbeiten. Sollte dies gelingen, dann - so der Kardinal - könnte man sogar noch einen Schritt weiter kommen und dem Vorbild Papst Johannes Pauls II folgen, der im Jahr 2000 während einer Messe im Petersdom für die Verfehlungen der katholischen Kirche gegenüber Andersdenkenden offiziell um Vergebung bat:

    "Dass es zur Reformation und nicht zur Erneuerung der Kirche gekommen ist, und damit auch zur Kirchenspaltung und zu den blutigen Konfessionskriegen des 16. und 17. Jahrhunderts, mit den Nachwirkungen für die ganze europäische Geschichte, das muss eigentlich Anlass sein, dass wir über die Schuld auch sprechen. Und es ist meine Hoffnung, dass 2017 ein Anlass gegenseitigen Schuldbekenntnisses sein muss, und natürlich auch zur Vergebung und Versöhnung."