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Martin Luther King
Vor 50 Jahren: Spontanpredigt in Ostberlin

Es war Willy Brandt, der den Bürgerrechtler Martin Luther King bei einem Besuch in Washington nach Berlin eingeladen hatte. Dreieinhalb Jahre später, im September 1964, folgte der Baptistenpastor der Bitte. Dass die Stadt inzwischen durch die Mauer geteilt war, hielt ihn nicht davon ab, eine Predigt in der Ostberliner Marienkirche zu halten.

Von Matthias Bertsch | 13.09.2014
    Der amerikanische Bürgerrechtler und Baptistenpfarrer Martin Luther King, Bischof Otto Dibelius und der Regierende Bürgermeister Willy Brandt am 13.09.1964 in Berlin zum Tag der Kirche
    1964 in Berlin: Martin Luther King, Bischof Otto Dibelius und Willy Brandt (v.l.) (picture-alliance/ dpa)
    "Als die Mauer noch stand, da kam 1964 Martin Luther King in diese Kirche, und dann sprach sich das rum wie ein Lauffeuer und dann war die Kirche voll, und kein Stehplatz war mehr frei und kein Sitzplatz, und immer noch wollten Leute rein."
    Seit sieben Jahren bieten die Schüler der evangelischen Schule in Berlin-Mitte historische Führungen durch die Marienkirche an. Dabei erinnern sie auch an jenen 13. September 1964, als Martin Luther King die Kirche am Alexanderplatz besuchte.
    Schüler: "Und dann hatte Martin Luther King hier ein Mikrofon und hat dann gesprochen."
    Schüler (zitiert aus Predigt Martin Luther King): "Diese Stadt ist ein Symbol für Trennung von Menschen auf dieser Erde, aber auf beiden Seiten der Mauer leben Gottes Kinder, und keine von Menschen errichtete Barrikade kann diese Tatsache zunichte machen."
    Der US-amerikanische Baptistenpastor und Bürgerrechtler sprach in seiner Predigt vor allem vom Kampf der Schwarzen um Gleichberechtigung in den Südstaaten der USA. Zur Situation im geteilten Berlin könne er wenig sagen, betonte er, aber dann zog er doch eine Parallele.
    "Gerade wie wir beweisen müssen, dass wir die Prüfstelle für das Zusammenleben der Rassen sind, trotz ihrer Unterschiede, so prüft ihr die Möglichkeit der Koexistenz für zwei Ideologien, die um die Weltherrschaft konkurrieren. Wenn es überhaupt Menschen gibt, die beständig empfindlich sein sollten wegen ihrer Bestimmung, dann sollten es die Menschen in Berlin sein, in Ost und West."
    Die Predigt in der Marienkirche war die gleiche, die King bereits am Vortag gehalten hatte - beim Tag der Kirche in Westberlin, auf Einladung des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt. Die Teilung der Stadt wurde während seines Besuches auf dramatische Weise präsent: Am Morgen des 13. September war ein junger Mann bei einem Fluchtversuch an der Mauer angeschossen worden. Der Bürgerrechtler ließ sich daraufhin an die Sektorengrenze fahren. Doch die Mauer zu sehen, reichte ihm nicht, er wollte auch in den Ostteil der Stadt – und diese Entscheidung war bereits früher gefallen. Seit langem stand King mit dem ehemaligen Pfarrer der Marienkirche, Heinrich Grüber, in Briefkontakt. Er, der wegen seines Einsatzes für Christen jüdischer Herkunft unter Hitler mehrere Jahre im KZ gesessen hatte, hatte King eingeladen, in Ostberlin zu predigen. Beim Gottesdienst selbst war Grüber jedoch nicht dabei, so der theologische Referent der Marienkirche, Roland Stolte.
    "Er lebte im Westteil der Stadt, und nach dem Mauerbau wurde ihm die Einreise nach Ostberlin verwehrt, sodass er ihn also einladen konnte, er konnte ihn auch im Westteil der Stadt begrüßen, als er ankam. Aber hier mit ihm in die Marienkirche zu kommen, ging nicht. Und insofern war also der Einladende bei dem Gottesdienst gar nicht dabei."
    DDR-Grenzer stellten sich quer - vorerst
    Auch King wurde die Einreise nach Ostberlin fast verweigert – schließlich war der Besuch nicht angemeldet, und die DDR-Grenzer am Checkpoint Charlie wollten ihn zunächst nicht passieren lassen.
    "Er hat gesagt, er hätte jetzt einen Gottesdienst in der Marienkirche zu halten und er möchte jetzt rüber. Er hat aber seinen Reisepass nicht dabei. Dann haben sie zunächst gesagt: Tut uns Leid, er muss umdrehen und geht gar nicht. Und dann hat ihn aber doch einer erkannt und hat rumtelefoniert und hat gesagt: 'Aber können Sie sich denn irgendwie ausweisen, dass Sie Martin Luther King sind?' Und dann hat er eben sein Portemonnaie gezückt und hat die Kreditkarte rausgeholt und hat gesagt: Hier steht immerhin mein Name drauf, und das hat dann ausgereicht, wunderbarerweise."
    Über 1000 Menschen mussten vor der Kirche abgewiesen werden
    Die DDR-Führung war vom Besuch Martin Luther Kings in Ostberlin offensichtlich überrascht worden. Der Bürgerrechtler wurde wegen seiner Kritik an der Ausbeutung der Schwarzen in den USA zwar gelobt, doch sein Einsatz für Gewaltfreiheit und zivilen Ungehorsam war der SED-Spitze suspekt. Viele Ostberliner dagegen wollten ihn genau deswegen sehen.
    Die Nachricht von Kings Besuch verbreitete sich schnell und so mussten über 1000 Menschen vor der überfüllten Marienkirche abgewiesen werden. Sie zogen in die benachbarte Sophienkirche, wo er die Predigt ein weiteres Mal hielt. Am späten Abend kehrte Martin Luther King schließlich wieder nach Westberlin zurück, doch seine Gedanken waren für viele in der DDR auch 25 Jahre später noch von Bedeutung.
    "Es ist ja nicht umsonst, dass bei den Friedensgebeten in Leipzig dann auch die Demonstrationen, die da in den Kirchen ihren Ausgang nahmen, dann auch mit einem Friedensgebet begannen und teilweise mit der Aufforderung dann auch zur Gewaltlosigkeit der Demonstrationen. Also das ist ja ganz im Sinne auch King'schen Denkens, und insofern sind das so Tiefenwirkungen, die da schon fühlbar sind und die auch für die Friedensbewegung in der DDR ja noch eine große Rolle spielten, die aber eher so eine untergründige Breitenwirkung waren."