Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Martin Luther
"Weltgeschichtlicher Erfolg als Schriftsteller"

Martin Luther schrieb Kirchenlieder, Fabeln, Flugschriften. Er übersetzte die Bibel ins Deutsche. Sprache war sein Mittel - als Schriftsteller wird Luther dennoch selten bezeichnet. Genau das sei er aber gewesen, sagt Literaturwissenschaftler Heinrich Detering. Und mehr noch: auch ein destruktives Genie.

Von Christian Röther | 13.07.2017
    Literaturwissenschaftler Heinrich Detering vor einer Matinee zur Erinnerung an Günter Grass in Göttingen
    Der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering über Luther als Schriftsteller (picture alliance / dpa / Sven Pförtner)
    Heinrich Detering bittet in sein beeindruckend großes Büro an der Uni Göttingen. Über dem Schreibtisch hängt ein überlebensgroßes Porträt eines jungen Mönchs. Das sei nicht Martin Luther, betont Detering. Der Literaturwissenschaftler kommt gerade von seinem Seminar "Luther als Schriftsteller".
    "Es ging um das Thema: Wie handelt Luther als Übersetzer der Heiligen Schrift? Wir haben in einem 'Close Reading' - wie ich es am liebsten mache - verschiedene Versionen der Seligpreisung aus der Bergpredigt verglichen und geschaut, was Luther mit dem Text macht und vor allen Dingen, wie er ihn kommentiert."
    "Das Sprachgenie Luthers ist einmalig"
    Wo es sonst um Fontane, Mann oder Storm geht, steht jetzt also Luther auf dem Lehrplan. Heinrich Detering und seine Studierenden untersuchen die Texte des Reformators mit literaturwissenschaftlichen Methoden. Luther ist im Reformationsjubiläum schon vieles genannt worden: Rebell, Ketzer oder Gotteskrieger. Aber Schriftsteller?
    "Man übersieht zu leicht das Alleroffensichtlichste, nämlich, dass Luther diesen weltgeschichtlichen Erfolg gehabt hat als Schriftsteller - in einem weiten Sinne des Wortes Schriftsteller."
    Der Theologieprofessor Martin Luther wirkt als Übersetzer - zuallererst der Bibel - als Dichter von Kirchenliedern, als Autor von Fabeln, von theologischen Abhandlungen und politischen Pamphleten.
    "Das sind jeweils ganz unterschiedliche Sprachspiele, unterschiedliche Arten der Rhetorik, der Stilhöhen - und er beherrscht sie alle gleichermaßen virtuos und souverän. Das Sprachgenie Luthers ist in seinem unerschöpflichen Einfallsreichtum ziemlich einmalig."
    Zugleich wissen Luther und seine Mitstreiter, technische Neuerungen für sich zu nutzen: den Buchdruck und die Flugschriften. Luther stimmt seine Texte auf die jeweilige Zielgruppe ab, erklärt Heinrich Detering: "Luther ist ein Virtuose auf der Klaviatur der neuen Medien seiner Zeit."
    Trotzdem sei Luther 500 Jahre später nur noch schwer zu lesen: "Weil wir es nicht mehr gewöhnt sind heute, in dieser aufzählenden Art der Argumentation zu lesen: zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten, zum Vierundzwanzigsten, zum Achtunddreißigsten - es scheint kein Ende zu nehmen."
    "Zum Vierundzwanzigsten: Wiederum dem, der ohne Glauben ist, ist kein gutes Werk förderlich zur Frömmigkeit und Seligkeit; wiederum keine bösen Werke ihn böse und verdammt machen, sondern der Unglaube […]."
    "Packend und ergreifend zu lesen"
    "Aber eine Schrift wie zum Beispiel 'Von der Freiheit eines Christenmenschen' - vielleicht die wichtigste einzelne Schrift von Luther, wenn man eine nennen sollte - die ist heute noch so packend und geradezu ergreifend zu lesen, wie sie es im 16. Jahrhundert gewesen sein muss."
    "Zum Ersten: Dass wir gründlich mögen erkennen, was ein Christenmensch sei und wie es getan sei um die Freiheit, die ihm Christus erworben und gegeben hat, davon St. Paulus viel schreibt, will ich setzen diese zwei Beschlüsse: Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan."
    "Die Art der Argumentation, des dialektischen Denkens, des Mitdenkens mit dem Leser, die ist mitreißend, die ist intellektuell mitreißend. Und die Fähigkeit, immer die richtigen plastischen Ausrücke zu finden, die ist bei Luther schon sehr ausgeprägt."
    Sprache als Schwungrad
    Luther ist berühmt für seine Wortschöpfungen: Feuereifer, Herzenslust, Lästermaul, Lückenbüßer, Machtwort, Morgenland, Wissensdurst und und und. Luthers Kreationen sind heute ein selbstverständlicher Teil unserer Sprache. Aber, sagt Literaturwissenschaftler Heinrich Detering, Luther war nicht nur auf der Wortebene innovativ, sondern auch bei den sprachlichen Strukturen:
    "Luther arbeitet in einem hohen Grade mit den grammatischen und lexikalischen Strukturen der deutschen Sprache und nutzt sie sozusagen als Schwungrad aus. Das hat eine Form des Schreibens und Redens im Deutschen ermöglicht, die es so vor ihm nicht gegeben hat."
    Luther als Sprachereignis
    Um die Bedeutung Luthers für die deutsche Sprache herauszustreichen, verweist Heinrich Detering auf den Arzt und Lyriker Gottfried Benn. Der hatte Luther als größtes deutsches "Sprachereignis" bezeichnet.
    "Ich finde, das Wort 'Sprachereignis' ist ein sehr glücklicher Einfall Benns gewesen. Er hätte Goethe sagen können, er hätte eine Reihe anderer Dichter nennen können, die ihm Großes bedeuteten, aber die Beschaffenheit der deutschen Sprache - die Verwendbarkeit der deutschen Sprache für Literatur, die ist von Luther eigentlich erst geformt worden."
    "Es gibt da etwas Destruktives"
    Zugleich setzte Luther sein sprachliches Genie auch ein, um andere abzuwerten, gegen sie zu hetzen, gar zu Gewalt aufzurufen. Luthers Worte zielten auf den Papst, auf die Juden oder die aufständischen Bauern. Heinrich Detering sagt, Luther habe angefangen …
    "… zu pöbeln eigentlich. Eine Neigung, der er in seinen späteren Schriften immer mehr nachgegeben hat und die schon zu Lebzeiten seine auch sprachschöpferische Leistung wieder verdunkelt hat."
    "Der Esel will Schläge haben, und der Pöbel will mit Gewalt regiert sein. Das wusste Gott wohl; drum gab er der Obrigkeit nicht einen Fuchsschwanz, sondern ein Schwert in die Hand."
    "Man darf diese ganz dunkle Seite nicht verschweigen, weil sie auch die Rückseite derselben Münze ist, auf deren Vorderseite seine große sprachschöpferische Kraft steht. Es gibt da etwas Destruktives, zunehmend mit Luthers Lebensjahren, das diese von ihm selbst erst mundgerecht gemachten sprachlichen Mittel missbraucht."