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Martin Rupps: Troika wider Willen. Wie Brandt, Wehner und Schmidt die Republik regierten

Die SPD ist in der Krise, und es könnte durchaus sein, dass der Sturm wegen der Umsetzung von Hartz IV die Takelage des alten Schulschiffs zerfetzt. Aber die SPD hat auch schon andere politische Stürme erlebt, zum Beispiel in der Ära der Troika Brandt, Wehner, Schmidt. Diese Ära hat sich Martin Rupps vorgenommen.

Rezension: Gode Japs |
    Es ist ein ehrgeiziges Unterfangen, den drei wichtigsten Persönlichkeiten der Nachkriegs-SPD in einer gemeinsamen Biografie historisch gerecht zu werden. Ein Vorhaben, das dem 4o-jährigen Politologen Martin Rupps gründlich misslungen ist mit seinem Buch
    "Troika wider Willen. Wie Brandt, Wehner und Schmidt die Republik regierten".
    Rupps zweite größere Veröffentlichung liegt nun vor. Vor zwei Jahren versuchte er sich an einer ‚politischen Biographie' Helmut Schmidts. Auch dieses Buch fand damals nicht nur lobende Worte. So schrieb zum Beispiel Martin Süskind in der ‚Süddeutschen Zeitung':

    Es ist ein merkwürdiges Buch, beherrscht von Deutungen und nicht von Fakten.

    Und der einstige Schmidt-Widersacher in der SPD, Erhard Eppler, meinte im ‚Rheinischen Merkur':

    Bei Martin Rupps tut man gut daran, sich auf die Details nicht zu verlassen.

    Beide Aussagen gelten auch für das neue Rupps-Buch, das allenfalls Schmidt gerecht wird, während es bei Wehner Schönfärberei und bei Brandt Negativzeichnungen gibt. Schon der Titel ist irreführend: "Troika wider Willen." Wider Willen? Das ist in der Tat eine bislang noch nicht gehörte These, dass Brandt, Schmidt und Wehner gegen ihren Willen zusammen gearbeitet hätten. Einfach absurd. Auch der frühere Bundesgeschäftsführer der SPD und Brandts langjähriger Weggefährte, Egon Bahr, meint, das ungleiche SPD-Trio sei keine Troika gewesen, und schon gar nicht wider Willen. Denn die drei Männer seien von niemandem zur Politik ‚vergewaltigt' worden:

    Sie leisteten keinen Widerstand, als sie vor den Karren gespannt wurden - von wem übrigens? Sie hatten keinen Lenker über sich. Sie bändigten sich, und zwar durch die Eigenschaften, die alle drei auszeichnete: ihr Sinn für Realitäten. Sie waren stark genug, um das Bild zu korrigieren, sich selbst vor den Karren zu spannen. Alle drei teilten das Wissen, was der alten großen SPD fehlte: der Wille zur Macht. Wer gestalten will, muß die Umstände nutzen. Gar nicht widerwillig, sondern willig und überzeugt von ihren Fähigkeiten, das Notwendige tun zu können, wirkten die drei sogar, bevor sie schon ein Trio wurden.

    Trio statt Troika? Der Begriff Troika kommt aus dem Russischen. Er beschreibt die Bespannungsweise von drei Pferden nebeneinander und abgeschottet von anderen. Das Mittelpferd läuft zwischen den jochartig verbundenen Stangen im Trab, die Seitenpferde im Galopp. Auf Brandt, Schmidt, Wehner bezogen ist dieses Bild schief, wenngleich es immer wieder in den Medien gezeichnet, von den Betroffenen allerdings nie verwendet wurde. Brandt und Schmidt sprachen beim Beschreiben dieser politischen Dreierbeziehung allenfalls mal vom ‚Triumvirat' - also wie im alten Rom vom Dreimännerkollegium zur Erfüllung bestimmter politischer Aufgaben. Es war schlicht und einfach ein machtpolitisches Zweckbündnis. Doch davon hält Rupps nichts. Er vermutet, dass sich die Bezeichnung "Troika" durchgesetzt hat, weil es die griffigere, die bildhaftere sei. Und fährt dann fort:

    In der Sache hat das Bild von der Troika den Vorteil, daß es den geschlossenen, abschottenden Charakter des Dreigespanns Wehner-Brandt-Schmidt besser wiedergibt als der Begriff des Triumvirats.

    Starker Tobak. Von einem geschlossenen, ja quasi abschottenden Charakter der Dreierbeziehung kann keine Rede sein, kontert auch Egon Bahr:

    Denn sie haben sich gar nicht abgeschottet. Wer das Innenleben der SPD kennt, weiß, daß schon ein solcher Versuch gescheitert wäre. Daß da keiner war, der sie verdrängen wollte oder ersetzen konnte, zeigte sich in erschreckender Klarheit, als sie weg waren.

    Breiten Raum in dem Buch nimmt der Kanzler-Rücktritt von Willy Brandt im Mai 1974 ein. War es Günter Guillaume, der aus der DDR eingeschleuste Spion? Waren es die angeblichen Frauengeschichten des Bundeskanzlers? Oder die Depressionen des Friedensnobelpreisträgers? Waren es politische Mitstreiter wie Wehner und Schmidt, die zu Gegnern wurden? - Bis heute ist unklar, was Brandt zur Aufgabe im Bundeskanzleramt bewegte. Der Historiker Rupps aber rührt alles zusammen. In einer Diskussion mit Egon Bahr in der Berliner Urania hat er seine Thesen noch einmal untermauert:

    Brandt ist letztlich über sich selbst gestürzt.

    So einfach. Für Rupps ist der Rücktritt Brandts ein Sturz aus dem Kanzleramt

    auf ein weiches Kissen als Parteivorsitzender und als international angesehener Politiker. Die Ursache war die lange Schwächephase, der Anlaß war eine Zusammenballung verschiedener Faktoren: Guillaume, Frauengeschichten, auch - das muß man sagen - Selbstmordgedanken, also eine psychisch schwache Verfassung.

    Das sieht Egon Bahr ganz anders:

    Der Rücktritt war natürlich in der Tat nur auf Wehner zurückzuführen.

    Bahr macht Herbert Wehner, den ‚Kärrner' der SPD, für den Rücktritt Brandts verantwortlich, weil er ihn nicht aufgefordert hatte, im Amt zu bleiben:

    Kein Kanzler kann sich halten ohne die uneingeschränkte Unterstützung des Fraktionsvorsitzenden - jedenfalls nicht sehr lange.

    Neben vielen Details moniert Bahr an dem Buch von Rupps vor allem "eine verklärende Neigung zu Wehner", was der Autor wiederum mit dem Vorwurf kontert, Bahr sehe vieles zu
    sehr durch die Brille Brandts. Doch in einem sind sich die beiden einig: Der frühere Kommunist Wehner hat nicht, wie die Brandt-Witwe Brigitte Seebacher-Brandt seit Jahren behauptet, aus alter Loyalität zu und im Auftrag von Moskau gehandelt. Noch einmal Egon Bahr:

    Nein, nein ... Ich habe die Auffassung, daß Wehner mit der anderen Seite gearbeitet hat. Das war in Ordnung. Aber nicht für die andere Seite. Und das ist der genaue Punkt, wo die Sache umkippt in Verrat.

    Rupps bemüht sich in der Tat, die Legende vom ‚Schurken' Wehner, von Wehner als dem Bösen schlechthin, zu widerlegen. Dafür strickt er an einer neuen Legende, nämlich an jener von Willy Brandt als "Schwachstelle der Troika"'. Da werden alte Klischees wieder hervorgekramt: Brandt, der "Hedonis"' und "Frauenheld", ein "schlechter Vater", kein "Visionär und Realist" - wie etwa Peter Merseburger in seiner Brandt-Biografie schreibt -, sondern jemand, der immer intellektuelle Vordenker brauchte, die seine richtigen Reden schrieben.