Dirk Müller: Vor allem einer ist ganz besonders enttäuscht, vielleicht auch aus persönlichen Motiven, aus persönlichen Gründen: José Manuel Barroso, der Kommissionspräsident der Europäischen Union. Aber er gibt nicht auf, politisch jedenfalls. Er will eine europäische Antwort auf die Wirtschaftskrise. Doch ein Konjunkturpaket der Europäischen Union - fünf Milliarden will er noch einmal locker machen für Europa, für neue Energieverbindungen und schnelle Internet-Anschlüsse - trifft nicht gerade auf viel Resonanz. "Mit uns nicht" sagen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, "wir haben schon genug getan" halten beide dagegen und verweisen auf die milliardenschweren Konjunkturspritzen der nationalen Regierungen. Reichlich politische Stimmung und auch Spannung für das EU-Gipfeltreffen, das heute in Brüssel beginnt.
Eben dort begrüße ich nun am Telefon Martin Schulz, Chef der sozialdemokratischen Parteien im Europäischen Parlament. Guten Morgen!
Martin Schulz: Guten Morgen!
Müller: Herr Schulz, sind die Mitgliedsländer in Zeiten der Krise vor allem wieder Egoisten?
Schulz: Nein, das glaube ich nicht, dass die Mitgliedsländer Egoisten sind. Es ist in Ihrer Anmoderation schon klar geworden, es werden fast 400 Milliarden Euro in den Wirtschaftskreislauf hineingegeben in den Mitgliedsstaaten, und das ist schon eine enorme Summe. Richtig ist, dass einige der Mitgliedsstaaten mehr tun könnten. Zurzeit erfüllen nur drei Staaten, darunter die Bundesrepublik und Spanien, die Kriterien, die die Staats- und Regierungschefs selbst festgelegt haben, also 1,5 und ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahre 2009 beziehungsweise 2010 zu mobilisieren als Konjunkturprogramme. Die anderen könnten also noch ein bisschen nachlegen. Aber insgesamt wird eine Menge getan!
Müller: Wir reden jetzt aber über ein europäisches Konjunkturpaket, also über ein Signal der Europäischen Union an die Mitgliedsstaaten, auch an die Mitarbeiter und die Beschäftigten, an die Bevölkerung. Warum bleibt das aus?
Schulz: Wir müssen uns schon darauf einigen, worüber wir reden. Wenn die 27 Staaten der EU 400 Milliarden mobilisieren, dann ist das ja ein europäisches Konjunkturprogramm. Umgekehrt, das was Sie ansprechen, ein eigenes Konjunkturprogramm der EU, was soll das denn sein? Soll das jetzt hier in Brüssel aus dem EU-Haushalt bezahlt werden? Dann muss man sagen, dazu ist der EU-Haushalt gar nicht in der Lage. Der umfasst ja, ich weiß gar nicht, knapp 100 Milliarden Euro. Da können sie nicht solche Summen rausnehmen, von denen wir gerade reden. Also ein EU-eigenes Konjunkturprogramm ist nichts anderes, als dass die Mitgliedsstaaten der EU dieses Geld, also die 400 Milliarden, mobilisieren. Die Europäische Union, das muss man sagen, man kann es bedauern, ist kein Bundesstaat, in dem die einzelnen Mitgliedsländer vergleichbar unseren Bundesländern sind. Wir haben auch keine europäische Bundesregierung, die ein solches Programm beschließen könnte. Was hier läuft ist, dass die Staats- und Regierungschefs beschließen, in ihren Ländern gleiche Summen in gleichen Relationen in die Hand zu nehmen und zu mobilisieren.
Müller: Warum versteht das dann der EU-Kommissionspräsident nicht so richtig?
Schulz: Eine Frage, die man an ihn richten muss. Ich verstehe diesen ganzen Streit nicht. Da kommt Herr Barroso und sagt, wir wollen fünf Milliarden zusätzlich geben. Ja, gut, dann soll man die fünf Milliarden zusätzlich geben, das ist sicher sinnvoll. Aber die fünf Milliarden als Summe selbst, das ist, als wolle man mit einem Zuckerwürfel die Ostsee in ein Süßwasser verwandeln. Das ist wirklich nicht die Größenordnung, die wir brauchen, um die europäische Wirtschaft wieder ans Laufen zu bringen.
Müller: Ist das politische Kosmetik des Präsidenten?
Schulz: Es ist sicher ein gut gemeinter Vorschlag, der darauf abzielt, diese fünf Milliarden sozusagen initial in ganz bestimmte Politikfelder hineinzugeben, also in den Ausbau der transeuropäischen Netze, der Energieverbindungen, in den Ausbau von oder in die Forschung nach bestimmten erneuerbaren Energien. Und diese Gelder, die dann da als Impuls in die Mitgliedsländer reingegeben werden, müssten dann von den Mitgliedsländern selbst um enorme Summen aufgestockt werden, damit das funktioniert. Das ist, wo die Regierungschefs sagen, das machen wir nicht mit, wir tun eh schon genug. Da schließt sich der Kreis, das stimmt auch nicht, denn die tun zu einem ganz großen Teil eben noch nicht genug.
Müller: Fünf Milliarden, das ist ja die Summe, über die wir reden, das ist die Summe, die die EU-Kommission ins Gespräch gebracht hat, die die EU-Kommission fordert. Sie sagen einerseits, Herr Schulz, wenn ich Sie richtig verstanden habe, das wäre sinnvoll; andererseits können Sie aber die Mitgliedsstaaten verstehen, die sagen, wir machen schon genug. Wer ist denn jetzt nun auf dem richtigen Weg?
Schulz: Vielleicht habe ich mich nicht präzise genug ausgedrückt. Ich versuche es noch mal zu sagen. Das ist der richtige Weg, den Herr Barroso da beschreiten will, ich kritisiere das nicht, die fünf Milliarden sind ein richtiger Ansatz. Sie sind vom Volumen her aber keine ausreichende Größenordnung, das muss man noch mal deutlich sagen, um die Konjunktur in Europa zu beleben. Wenn sie stimulierend wirken, wenn sagen wir mal - ich nehme ein Beispiel - 500 Millionen davon nach Deutschland kommen, um in den Ausbau von Energienetzen gesteckt zu werden, dann reicht das bei 500 Millionen in Deutschland nicht aus, dann müsste die Bundesrepublik eine Menge dazu tun, um daraus wirklich ein Konjunkturprogramm zu machen. Deutschland tut aber schon eine Menge. Geht das Geld aber jetzt zum Beispiel in ein anderes Land, sagen wir mal nach Portugal, dann müsste man sagen, die Portugiesen könnten ohne Weiteres noch mehr tun, oder die Griechen oder die Italiener oder die Finnen. Das Problem der EU ist: es gibt von den 27 Staaten zurzeit nur drei, die die selbst von den Staats- und Regierungschefs gesetzten Kriterien - dass 1,5 Prozent des eigenen Bruttoinlandsprodukts in die Hand genommen werden sollen -, nur drei der 27 Staaten erfüllen die selbst gemachten Vorgaben. Das ist der eigentliche Punkt, den wir diskutieren müssen, und nicht die fünf Milliarden von Barroso.
Müller: Die 400 Milliarden, die insgesamt jetzt auf dem Tableau stehen, die ja quasi investiert werden, die schon projiziert sind, die reichen bei Weitem nicht aus?
Schulz: Ganz genau, so ist es. Da müsste im Prinzip mehr getan werden. Schauen Sie sich an, was die Vereinigten Staaten von Amerika da gestern beschlossen haben, mit ihrer Billion, die die amerikanische Zentralbank in den Markt gibt. Sicher kann man das in Europa nicht in vergleichbarer Weise tun.
Müller: Das ist Geldpolitik.
Schulz: Ja, aber das sind Größenordnungen, über die wir reden. Und da jetzt über diese fünf Milliarden von Barroso stundenlang zu diskutieren - wir beide diskutieren ja auch die ganze Zeit schon darüber -, das ist völliger Quatsch, das ist neben der Mütze. Worüber wir reden müssen ist, dass die Staaten mehr tun müssen, nicht das Kommissiönchen hier in Brüssel. Mit den paar Milliarden Euro, mit denen die rumlaufen, kriegen wir die Konjunktur nicht belebt. Das ist ein guter Beitrag, aber ich kann nur noch mal sagen: Werfen sie einen Zuckerwürfel in die Ostsee, wird das kein Süßwasser.
Müller: Da muss ich Sie aber, Herr Schulz, auch noch mal fragen: Wenn das ein Kommissiönchen ist, warum müssen wir denn heute mit dem Kommissiönchen reden in Brüssel?
Schulz: Sicher nicht über Geld, sondern darüber, dass die Kommission ihre Hausaufgaben machen muss dabei, zum Beispiel bei Staatsinterventionen zur Rettung der Wirtschaft nicht anschließend hinzulaufen und über das Wettbewerbsrecht zu reden, sondern zu sagen, das ist gut, das ist richtig, das genehmigen wir. Die Kommission ist keine Regierung; die Kommission ist ein Verwaltungsorgan der Mitgliedsstaaten der EU, die hilfreich dabei sein muss, dass die koordinierte Wirtschaftspolitik der EU funktioniert. Das ist ihre Aufgabe, und es ist nicht die Aufgabe, eigene Konjunkturprogramme aufzulegen.
Müller: Die mittel- und osteuropäischen Staaten, Herr Schulz, die haben wir bislang noch gar nicht angesprochen, haben massive Probleme, dramatische Einbrüche der Konjunkturentwicklung. Kann Europa da in irgendeiner Form helfen?
Schulz: Das tut Europa ja schon. Die Europäische Union hat zum Beispiel in Ungarn vor wenigen Wochen die schwerwiegende Haushaltskrise abgewendet, indem, wenn ich die Summe richtig in Erinnerung habe, sechs Milliarden aus dem EU-Haushalt - sechs Milliarden nach Ungarn; wir redeten gerade von fünf Milliarden Konjunkturprogramm - gegeben worden sind und 14 Milliarden aus dem Internationalen Währungsfonds. Also die Solidaritätsaktionen laufen schon.
Müller: Und haben Sie auch den Eindruck, dass Mittel- und Osteuropa diesen Schritt in Richtung Europa weiterhin gehen wird, sich gut aufgehoben fühlt?
Schulz: Da ist die Befindlichkeit von Staat zu Staat unterschiedlich. Sie erinnern sich, dass es vor dem letzten Gipfeltreffen hier ja einen Vorgipfel der mittel- und osteuropäischen Staaten gab, zu dem einige gar nicht hingegangen sind und andere ihn als gescheitert bezeichnet haben. Der Versuch, der dort unternommen worden ist, eine Front der mittel- und osteuropäischen Staaten gegen die anderen aufzubauen, ist gescheitert. Von daher: die überwiegende Mehrheit der Staaten aus Zentral- und Osteuropa wollen die organisierte Solidarität in Europa und wollen auch selbst dazu beitragen.
Müller: War die Haltung, die Vorgehensweise der Tschechen beispielsweise unverschämt?
Schulz: Ich halte die tschechische Ratspräsidentschaft, wenn ich das mal offen sagen darf, für die schlechteste, seit ich hier seit 1994 im Europäischen Parlament bin. Ich weiß gar nicht, was die machen. Die tschechische Ratspräsidentschaft findet in der ganzen Diskussion, in der wir jetzt sind, überhaupt nicht statt. Die ist auch meistens mit sich selbst und mit dem eigenen Überleben der Regierung in Prag beschäftigt. Diese Ratspräsidentschaft ist ein Totalausfall.
Müller: Und lässt die EU das die Tschechen in irgendeiner Form spüren?
Schulz: Ja, ich glaube schon. Sie erinnern sich ja, dass Nicolas Sarkozy, den ich sonst auch nicht so spannend finde, am Ende seiner Amtszeit gesagt hat, ihr werdet euch noch wundern, was nach mir kommt. Bedauerlicherweise hat er Recht gehabt.
Eben dort begrüße ich nun am Telefon Martin Schulz, Chef der sozialdemokratischen Parteien im Europäischen Parlament. Guten Morgen!
Martin Schulz: Guten Morgen!
Müller: Herr Schulz, sind die Mitgliedsländer in Zeiten der Krise vor allem wieder Egoisten?
Schulz: Nein, das glaube ich nicht, dass die Mitgliedsländer Egoisten sind. Es ist in Ihrer Anmoderation schon klar geworden, es werden fast 400 Milliarden Euro in den Wirtschaftskreislauf hineingegeben in den Mitgliedsstaaten, und das ist schon eine enorme Summe. Richtig ist, dass einige der Mitgliedsstaaten mehr tun könnten. Zurzeit erfüllen nur drei Staaten, darunter die Bundesrepublik und Spanien, die Kriterien, die die Staats- und Regierungschefs selbst festgelegt haben, also 1,5 und ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahre 2009 beziehungsweise 2010 zu mobilisieren als Konjunkturprogramme. Die anderen könnten also noch ein bisschen nachlegen. Aber insgesamt wird eine Menge getan!
Müller: Wir reden jetzt aber über ein europäisches Konjunkturpaket, also über ein Signal der Europäischen Union an die Mitgliedsstaaten, auch an die Mitarbeiter und die Beschäftigten, an die Bevölkerung. Warum bleibt das aus?
Schulz: Wir müssen uns schon darauf einigen, worüber wir reden. Wenn die 27 Staaten der EU 400 Milliarden mobilisieren, dann ist das ja ein europäisches Konjunkturprogramm. Umgekehrt, das was Sie ansprechen, ein eigenes Konjunkturprogramm der EU, was soll das denn sein? Soll das jetzt hier in Brüssel aus dem EU-Haushalt bezahlt werden? Dann muss man sagen, dazu ist der EU-Haushalt gar nicht in der Lage. Der umfasst ja, ich weiß gar nicht, knapp 100 Milliarden Euro. Da können sie nicht solche Summen rausnehmen, von denen wir gerade reden. Also ein EU-eigenes Konjunkturprogramm ist nichts anderes, als dass die Mitgliedsstaaten der EU dieses Geld, also die 400 Milliarden, mobilisieren. Die Europäische Union, das muss man sagen, man kann es bedauern, ist kein Bundesstaat, in dem die einzelnen Mitgliedsländer vergleichbar unseren Bundesländern sind. Wir haben auch keine europäische Bundesregierung, die ein solches Programm beschließen könnte. Was hier läuft ist, dass die Staats- und Regierungschefs beschließen, in ihren Ländern gleiche Summen in gleichen Relationen in die Hand zu nehmen und zu mobilisieren.
Müller: Warum versteht das dann der EU-Kommissionspräsident nicht so richtig?
Schulz: Eine Frage, die man an ihn richten muss. Ich verstehe diesen ganzen Streit nicht. Da kommt Herr Barroso und sagt, wir wollen fünf Milliarden zusätzlich geben. Ja, gut, dann soll man die fünf Milliarden zusätzlich geben, das ist sicher sinnvoll. Aber die fünf Milliarden als Summe selbst, das ist, als wolle man mit einem Zuckerwürfel die Ostsee in ein Süßwasser verwandeln. Das ist wirklich nicht die Größenordnung, die wir brauchen, um die europäische Wirtschaft wieder ans Laufen zu bringen.
Müller: Ist das politische Kosmetik des Präsidenten?
Schulz: Es ist sicher ein gut gemeinter Vorschlag, der darauf abzielt, diese fünf Milliarden sozusagen initial in ganz bestimmte Politikfelder hineinzugeben, also in den Ausbau der transeuropäischen Netze, der Energieverbindungen, in den Ausbau von oder in die Forschung nach bestimmten erneuerbaren Energien. Und diese Gelder, die dann da als Impuls in die Mitgliedsländer reingegeben werden, müssten dann von den Mitgliedsländern selbst um enorme Summen aufgestockt werden, damit das funktioniert. Das ist, wo die Regierungschefs sagen, das machen wir nicht mit, wir tun eh schon genug. Da schließt sich der Kreis, das stimmt auch nicht, denn die tun zu einem ganz großen Teil eben noch nicht genug.
Müller: Fünf Milliarden, das ist ja die Summe, über die wir reden, das ist die Summe, die die EU-Kommission ins Gespräch gebracht hat, die die EU-Kommission fordert. Sie sagen einerseits, Herr Schulz, wenn ich Sie richtig verstanden habe, das wäre sinnvoll; andererseits können Sie aber die Mitgliedsstaaten verstehen, die sagen, wir machen schon genug. Wer ist denn jetzt nun auf dem richtigen Weg?
Schulz: Vielleicht habe ich mich nicht präzise genug ausgedrückt. Ich versuche es noch mal zu sagen. Das ist der richtige Weg, den Herr Barroso da beschreiten will, ich kritisiere das nicht, die fünf Milliarden sind ein richtiger Ansatz. Sie sind vom Volumen her aber keine ausreichende Größenordnung, das muss man noch mal deutlich sagen, um die Konjunktur in Europa zu beleben. Wenn sie stimulierend wirken, wenn sagen wir mal - ich nehme ein Beispiel - 500 Millionen davon nach Deutschland kommen, um in den Ausbau von Energienetzen gesteckt zu werden, dann reicht das bei 500 Millionen in Deutschland nicht aus, dann müsste die Bundesrepublik eine Menge dazu tun, um daraus wirklich ein Konjunkturprogramm zu machen. Deutschland tut aber schon eine Menge. Geht das Geld aber jetzt zum Beispiel in ein anderes Land, sagen wir mal nach Portugal, dann müsste man sagen, die Portugiesen könnten ohne Weiteres noch mehr tun, oder die Griechen oder die Italiener oder die Finnen. Das Problem der EU ist: es gibt von den 27 Staaten zurzeit nur drei, die die selbst von den Staats- und Regierungschefs gesetzten Kriterien - dass 1,5 Prozent des eigenen Bruttoinlandsprodukts in die Hand genommen werden sollen -, nur drei der 27 Staaten erfüllen die selbst gemachten Vorgaben. Das ist der eigentliche Punkt, den wir diskutieren müssen, und nicht die fünf Milliarden von Barroso.
Müller: Die 400 Milliarden, die insgesamt jetzt auf dem Tableau stehen, die ja quasi investiert werden, die schon projiziert sind, die reichen bei Weitem nicht aus?
Schulz: Ganz genau, so ist es. Da müsste im Prinzip mehr getan werden. Schauen Sie sich an, was die Vereinigten Staaten von Amerika da gestern beschlossen haben, mit ihrer Billion, die die amerikanische Zentralbank in den Markt gibt. Sicher kann man das in Europa nicht in vergleichbarer Weise tun.
Müller: Das ist Geldpolitik.
Schulz: Ja, aber das sind Größenordnungen, über die wir reden. Und da jetzt über diese fünf Milliarden von Barroso stundenlang zu diskutieren - wir beide diskutieren ja auch die ganze Zeit schon darüber -, das ist völliger Quatsch, das ist neben der Mütze. Worüber wir reden müssen ist, dass die Staaten mehr tun müssen, nicht das Kommissiönchen hier in Brüssel. Mit den paar Milliarden Euro, mit denen die rumlaufen, kriegen wir die Konjunktur nicht belebt. Das ist ein guter Beitrag, aber ich kann nur noch mal sagen: Werfen sie einen Zuckerwürfel in die Ostsee, wird das kein Süßwasser.
Müller: Da muss ich Sie aber, Herr Schulz, auch noch mal fragen: Wenn das ein Kommissiönchen ist, warum müssen wir denn heute mit dem Kommissiönchen reden in Brüssel?
Schulz: Sicher nicht über Geld, sondern darüber, dass die Kommission ihre Hausaufgaben machen muss dabei, zum Beispiel bei Staatsinterventionen zur Rettung der Wirtschaft nicht anschließend hinzulaufen und über das Wettbewerbsrecht zu reden, sondern zu sagen, das ist gut, das ist richtig, das genehmigen wir. Die Kommission ist keine Regierung; die Kommission ist ein Verwaltungsorgan der Mitgliedsstaaten der EU, die hilfreich dabei sein muss, dass die koordinierte Wirtschaftspolitik der EU funktioniert. Das ist ihre Aufgabe, und es ist nicht die Aufgabe, eigene Konjunkturprogramme aufzulegen.
Müller: Die mittel- und osteuropäischen Staaten, Herr Schulz, die haben wir bislang noch gar nicht angesprochen, haben massive Probleme, dramatische Einbrüche der Konjunkturentwicklung. Kann Europa da in irgendeiner Form helfen?
Schulz: Das tut Europa ja schon. Die Europäische Union hat zum Beispiel in Ungarn vor wenigen Wochen die schwerwiegende Haushaltskrise abgewendet, indem, wenn ich die Summe richtig in Erinnerung habe, sechs Milliarden aus dem EU-Haushalt - sechs Milliarden nach Ungarn; wir redeten gerade von fünf Milliarden Konjunkturprogramm - gegeben worden sind und 14 Milliarden aus dem Internationalen Währungsfonds. Also die Solidaritätsaktionen laufen schon.
Müller: Und haben Sie auch den Eindruck, dass Mittel- und Osteuropa diesen Schritt in Richtung Europa weiterhin gehen wird, sich gut aufgehoben fühlt?
Schulz: Da ist die Befindlichkeit von Staat zu Staat unterschiedlich. Sie erinnern sich, dass es vor dem letzten Gipfeltreffen hier ja einen Vorgipfel der mittel- und osteuropäischen Staaten gab, zu dem einige gar nicht hingegangen sind und andere ihn als gescheitert bezeichnet haben. Der Versuch, der dort unternommen worden ist, eine Front der mittel- und osteuropäischen Staaten gegen die anderen aufzubauen, ist gescheitert. Von daher: die überwiegende Mehrheit der Staaten aus Zentral- und Osteuropa wollen die organisierte Solidarität in Europa und wollen auch selbst dazu beitragen.
Müller: War die Haltung, die Vorgehensweise der Tschechen beispielsweise unverschämt?
Schulz: Ich halte die tschechische Ratspräsidentschaft, wenn ich das mal offen sagen darf, für die schlechteste, seit ich hier seit 1994 im Europäischen Parlament bin. Ich weiß gar nicht, was die machen. Die tschechische Ratspräsidentschaft findet in der ganzen Diskussion, in der wir jetzt sind, überhaupt nicht statt. Die ist auch meistens mit sich selbst und mit dem eigenen Überleben der Regierung in Prag beschäftigt. Diese Ratspräsidentschaft ist ein Totalausfall.
Müller: Und lässt die EU das die Tschechen in irgendeiner Form spüren?
Schulz: Ja, ich glaube schon. Sie erinnern sich ja, dass Nicolas Sarkozy, den ich sonst auch nicht so spannend finde, am Ende seiner Amtszeit gesagt hat, ihr werdet euch noch wundern, was nach mir kommt. Bedauerlicherweise hat er Recht gehabt.
