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Martin Scorseses Liebe zum Kino

Er ist einer der ganz großen Regisseure nicht nur der USA: Martin Scorsese. Die Deutsche Kinemathek Berlin widmet dem Filmemacher eine Ausstellung, die hinter die Kulissen seiner Meisterwerke blickt, ohne dabei Heiligenverehrung zu betreiben. Sie zeige, so Kritiker Rüdiger Suchsland, dass Scorsese auch ein "Archäologe der Stadt New York" sei.

Rüdiger Suchsland im Gespräch mit Dina Netz | 09.01.2013
    Dina Netz: Martin Scorsese wurde 1942 geboren, als Sohn sizilianischer Einwanderer. Als Kind litt er an starkem Asthma, konnte deshalb nicht mit seinen Freunden auf der Straße spielen und verbrachte, so die Legende, viel Zeit im Kino. In Scorseses Biografie gibt es auch eine kurze Zeit im Priesterseminar, dann aber einen Abschluss in Film Communications in New York.

    Sein erster Erfolg als Regisseur war "Mean Streets" von 1973, in dem Scorsese von einer Gruppe Jugendlicher in Little Italy erzählte - und der Film war auch die erste Zusammenarbeit mit Robert De Niro. Für "Taxi Driver" mit eben diesem De Niro gab's 1976 dann schon die "Goldene Palme" in Cannes. In den 80er-Jahren floppten Scorseses Filme mal eine Zeit lang bei der Kritik und an den Kassen, aber seit den 90ern kennen wir wieder alle seine Titel: "Goodfellas", "The Age of Innocence", "Casino", "The Departed" und so weiter.

    Die Deutsche Kinemathek Berlin zeigt ab heute Abend die weltweit erste - so sagt sie - Ausstellung zu Martin Scorsese, inklusive großer Filmretrospektive. Rüdiger Suchsland, kann man über all die Jahrzehnte hinweg eigentlich sagen, was das Charakteristische an Scorseses Filmen ist?

    Rüdiger Suchsland: Das ist eine schwere Frage gleich zu Anfang. Ich würde denken, das Charakteristischste ist wohl die Liebe zum Kino. Sie haben es ja erwähnt: Schon als Kind, als er nicht so wie die anderen draußen spielen konnte wegen seiner Krankheit, ist er ganz viel ins Kino gegangen mit seiner Mutter, und er hat auch ganz viel sich Kino über das Fernsehen erschlossen. Er gehört vielleicht zur allerersten Generation, die überhaupt - so in den 40er-Jahren gab es in Amerika Fernsehen und hat dann auch allmählich das Kino abgelöst - sich die Kinogeschichte der Zeit davor, also das ganz klassische Hollywood, über das Fernsehen erarbeitet hat, nicht auf der großen Leinwand, und er ist ein großer Liebhaber des Kinos. Er hat ja heute auch eine Stiftung, die sich mit der Restauration alter Filme (übrigens nicht nur amerikanischer Filme) beschäftigt, und diese Ausstellung zeigt das auch ganz gut. Die haben einen ganzen Raum, der Cinema, Kino im französischen, empathischen und pathetischen Sinn auch gewidmet ist, wo es auch darum geht, wie er Filmreferenzen in seine eigenen Filme einbaut, wie er Klassiker restauriert, was er auch sonst so getan hat. Scorsese ist ein richtiger Liebhaber des Kinos.

    Netz: Nun ist eine Ausstellung über einen Regisseur ja nicht so leicht. Andere Exponate als seine Filme liegen da erst mal nicht so auf der Hand. Wie zeigt denn die Kinemathek das Werk von Martin Scorsese?

    Suchsland: Zum einen mit vielen Bildern, man sieht eine ganze Menge Fotografien. Das sind teilweise Fotografien vom Set, wie er mit Schauspielern arbeitet, das sind auch Arbeitsproben. Wenn Sie zum Beispiel an diese Figur Robert De Niro denken - das ist ja der Lieblingsschauspieler von Scorsese -, wenn Sie an die Figur denken, die der gespielt hat in dem Film "Cape Fear", "Kap der Angst" - die ist über und über, der ganze Körper, mit Tattoos belegt und man sieht einfach die Maskenproben. Man sieht, wie sie verschiedene Tattoos ausprobiert haben, wie das gewirkt hat. Man sieht auch, wie diese berühmte Szene vor dem Spiegel aus "Taxi Driver" von De Niro, wie die geprobt wurde.

    Dann gibt es natürlich Familienfotos. Man erlebt den privaten Scorsese mit seinen Geschwistern, mit seiner Familie. Es ist genau so, wie man sich italienisches Einwanderer-Milieu in Little Italy, New York, vorstellt: eine große Familie, es wird dauernd gegessen, meistens sind das Spaghetti oder Pasta, die auf dem Tisch stehen, eine Rotweinflasche. Er hat darüber auch einen Film gemacht, "Italian American", wo er seine Eltern interviewt, und dieses Interview mit seinen Eltern, das ist da zum Beispiel auf einem Fernsehbildschirm zu sehen in voller Länge. Man sieht dann auch Briefe, beispielsweise von Paul Schrader, selber Regisseur und auch Drehbuchautor, unter anderem von "Taxi Driver", für Scorsese, der ihm mehrere Briefe schreibt, wo er zum Beispiel zu Einzelheiten einer Filmgeschichte Stellung nimmt.

    Dann ist ganz wichtig die Stadt New York. Man sieht ein riesengroßes Modell einer Karte, wo dann die Wege gezeichnet werden, die seine Filmfiguren vornehmen, wo beispielsweise auch das Viertel Little Italy, wo mehrere seiner Filme zumindest teilweise spielen, wieder aufersteht, indem dann Bildschirme bestimmte Szenen aus diesen Filmen, die dann auch vor Ort am Location gedreht wurden, zeigen und es dem Zuschauer so nachvollziehbar ist, dass Scorsese eigentlich auch ein Archäologe der Stadt New York ist, wo immer wieder seine Filme spielen, schon von der frühen Geschichte, wenn man an "The Age of Innocence" oder "Gangs of New York" denkt, 19. Jahrhundert, bis hin in die Gegenwart.

    Netz: Das, was Sie beschreiben, Herr Suchsland, das klingt eher ein bisschen wie Heiligenverehrung. Oder gelingt es der Schau auch, den Geist von Scorseses Filmen irgendwie einzufangen? Oder welchen Fokus hat sie?

    Suchsland: Na ja, es geht schon darum, dass man versucht, erstens mal den Scorsese als Autorenfilmer klarzumachen. Es geht nicht so sehr um Heiligenverehrung, es geht aber natürlich schon darum, klarzumachen, was die Leistung dieses Regisseurs ist, der ja in dieser amerikanischen Landschaft, wo es vor allem mal ums Geld geht und die nicht sehr geschichtsbewusst ist, der da schon ein geradezu europäisch anmutender Autorenfilmer ist, einer, der wirklich zeigt, Amerika hat eine Geschichte, erzählt Amerika auch in seiner Geschichte, auch in deren Abgründen. Da gibt es eigentlich ansonsten nur Steven Spielberg, der das auf eine viel pathetischere und positivere, wenn man so will, Weise genauso macht.

    Es gibt schon einen kritischen Zugang in dem Sinne auch, dass man halt nachfragt, wie zum Beispiel das Verhältnis zur Gewalt ist, was das zum Beispiel für Frauenfiguren, für Männerfiguren sind, die in diesen Filmen vorkommen. Ich denke, der Fokus insgesamt, das ist nicht ein eindimensionaler, dass man jetzt eine Frage an den Regisseur und sein Werk richten würde, sondern es werden mehrere Schneisen in so einen Dschungel geschlagen. Denn wenn man sieht, man hat da 20, 30 Filme und die Sachen, wo er noch irgendwie mitgearbeitet hat, da ist es ja schwer, nur eine Botschaft rauszuziehen. Also es wird gefragt nach Männerfiguren, Frauenfiguren, nach dem Verhältnis zur Stadt New York, nach den Gemeinsamkeiten der Geschichten, nach der Ästhetik natürlich, wie er mit Schnitt arbeitet, wie er mit Musik arbeitet. Man vergisst immer: Scorsese ist auch Dokumentarfilmer. Er hat Filme über die Geschichte des Kinos gemacht, des italienischen wie des amerikanischen. Insofern ist das viel mehr als nur diese drei, vier, fünf Filme, die einem sofort einfallen.

    Netz: Rüdiger Suchsland zur Martin-Scorsese-Ausstellung in der Deutschen Kinemathek Berlin.


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