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Martin von Tours
Soldat, Eremit und Heiliger (Teil 2)

Martin von Tours, auch Sankt Martin, gehört zu den bekanntesten Heiligen des Mittelalters. Bis heute gibt es in der Zeit um seinen Todestag am 8.11. und den Tag seiner Grablegung am 11.11., dem Martinstag, in Mitteleuropa Martinsumzüge mit Lichterprozessionen. Zum Brauchtum gehört auch die Martinsgans als Festspeise.

Von Rüdiger Achenbach | 07.11.2014
    Junge als Martin von Tours verkleidet bei einem Laternenumzug in Berlin.
    Junge als Martin von Tours verkleidet bei einem Laternenumzug in Berlin. (dpa/picture alliance/Maurizio Gambarini)
    "Sie sagten, Martin sei eine verächtliche Person und der bischöflichen Würden nicht wert. Er habe ein unansehnliches Aussehen, trage armselige Kleider und habe ungepflegtes Haar."
    Sulpicius Severus, der Autor der Martins-Vita hat genau festgehalten, mit welchen Argumenten die Bischöfe in Gallien verhindern wollten, dass der ehemalige Soldat und Eremit Martin zum Bischof von Tours gewählt wurde. In einer Kirche, in der längst der Adel die Führungspositionen einnahm, passte ein armseliger Einsiedlermönch nicht auf den Bischofsstuhl.
    Schließlich gelang es den Bürgern von Tours - vor allem wegen Meinungsstreitigkeiten unter den Bischöfen - doch noch Martin zu ihrem Bischof zu wählen. Friedrich Prinz, Professor für Mittelalterliche Geschichte:
    "Martins Wahl muss ein spontaner Willensakt der christlichen Gemeinde gewesen sein. Vom Ideal der Gemeindekirche her gesehen, war somit Martin eher ein 'auslaufendes Modell', ja, sogar schon eine Ausnahme."
    Dass Martin auf einen prunkvollen Bischofsstuhl verzichtete und sich auf einen einfachen Bauernschemel setzte, markierte von Anfang an, dass er sein Bischofsamt anders verstand als seine adligen Bischofskollegen, die natürlich den Lebensstil der Aristokratie beibehielten. Martin von Tours war zwar Bischof, aber er blieb auch Mönch. Von besonderer Bedeutung war dabei für ihn die asketische Lebensführung.
    Eigener Weg in der Mönchsbewegung
    Sein wichtigster Aufenthaltsort wurde das Kloster Marmoutier, das er einige Kilometer von Tours entfernt gründete. Es handelt sich bei diesem Kloster um eine Anlage von einzelnen Zellen und Höhlen, in denen etwa 80 Mönche lebten, die nur zu den gemeinsamen Mahlzeiten und Gebetsstunden zusammen kamen. Es gab keine formalen Regeln, aber einige verbindliche Grundsätze. Sulpicius Severus beschreibt dies so:
    "Keiner besaß dort Eigentum, alles war Gemeingut. Keiner durfte etwas kaufen oder verkaufen. Handarbeit wurde nicht betrieben, ausgenommen das Bücherschreiben. "
    Mit diesen Vorschriften schlug Martin von Tours in der Mönchsbewegung des frühen Mittelalters - anders als die Eremiten-Vorbilder in Ägypten - einen eigenen Weg ein. Dazu der Kirchenhistoriker Ernst Dassmann:
    "Besitz, Arbeit und Erwerb, ohne die die ägyptischen Mönche nicht auskamen, weil sie für ihren Lebensunterhalt aufkommen mussten, waren bei Martin verpönt. Das von den wohlhabenden Mönchen eingebrachte Vermögen scheint für die Versorgung seines Klosters ausgereicht zu haben."
    Unter diesen Umständen war Martin natürlich darauf angewiesen, auch Mitglieder aus der reichen Oberschicht in sein Kloster aufzunehmen, damit der Lebensunterhalt gesichert war. Doch den adeligen Mönchen fiel es nicht immer leicht, ihren gewohnten Lebensstil aufzugeben. Sulpicius Severus berichtet zum Beispiel von einem gewissen Brictius, der auch als Mönch weiterhin eigene Diener und Pferde im Kloster hatte. Dazu der Mediävist Friedrich Prinz:
    "Warum Martin das duldete, bleibt unklar, vielleicht trug Brictius mit seinem Vermögen wesentlich zum Lebensunterhalt der Mönche bei und wurde damit gewissermaßen deren Sponsor."
    Die Beziehungen zwischen Martin und Brictius waren jedenfalls gespannt. Denn für Martin bedeutet die Nachfolge Christ unbedingt Besitzlosigkeit, strenge Askese und ein Leben in Gebet und Kontemplation. Anderseits war er aber auch weit davon entfernt, die Welt gering zu schätzen. Die französische Kirchenhistorikerin Luce Pietri hat sich besonders mit den theologischen Vorstellungen Martins beschäftigt:
    "In mehrfacher Hinsicht war Martin ein Mystiker. Er las überall in der Schöpfung das Wort Gottes und schloss in seine Liebe alle Geschöpfe ein, auch die Tiere, mit deren Leid er mitfühlte; schließlich hielt er im Vertrauen auf die unerschöpfliche Güte Gottes keinen Fehler für unverzeihbar und ging sogar so weit, dass er selbst Satan, falls dieser bereute, die Vergebung Christi verhieß."
    Protest gegen Verurteilung Priszillians
    In der Religiosität Martins von Tours klingt bereits einiges von dem an, was dann etwa 800 Jahre später bei Franziskus von Assisi wiederkehrt. Aber neben seinem kontemplativen Leben in Marmoutiers widmete Martin sich auch den praktischen Aufgaben seines Bischofsamts. Das bedeutet im Gallien des 4. Jahrhunderts vor allem die Mission bei der Landbevölkerung. Mit der Unterstützung seiner Mönche baute er zum Beispiel erste Landpfarreien auf. Luce Pietri:
    "Er war auch ein Mann der Tat. Er zerstörte die heidnischen Tempel und Götterbilder und ließ an deren Stelle Kirchen errichten. Aber seinen Erfolg als Missionar muss man vor allem seiner tätigen Nächstenliebe zuschreiben, die er allen Leidenden zukommen ließ. Für Gefangene und Unterdrückte setzte er sich bei den politischen Machthabern ein. Und zur Genesung von Kranken wandte er die medizinischen Kenntnisse an, die er in der Armee erworben hatte."
    Doch in einer Zeit, in der die Kirche sich inzwischen in einem christlich gewordenen Reich etabliert und behaglich eingerichtet hatte und die Bischöfe sich vor allem politisch betätigten, war kontemplativer Asket auf dem Bischofsstuhl für viele ein Dorn im Auge. Das zeigte sich auch bei den Auseinandersetzungen um den umstrittenen spanischen Bischof Priszillian von Avila. Priszillian vertrat abweichende Meinungen über Glaubensätze der Kirche.
    Vor allem mit seiner Vorstellung, dass alle Materie, also die Schöpfung, den Mächten des Bösen entstamme, näherte er sich gefährlich dem verbotenen Manichäismus. Da die Anhänger Priszillians aber schnell zu einer eigenen religiösen Bewegung in der Kirche wurden, die nicht nur in Spanien, sondern auch in Gallien Zustimmung fand, verurteilten die gallischen Bischöfe die Ideen des Priszillian als Irrlehre. Dieser appellierte daraufhin an Kaiser Magnus Maximus in Trier. Doch damit beging er einen verhängnisvollen Fehler.
    Magnus Maximus war ein Usurpator, der von seinen Soldaten zum Gegenkaiser ausgerufen worden war. Um sich in Trier an der Macht zu halten, stützte er sich vor allem auf die Bischöfe in Gallien. Es war also kaum eine Überraschung, dass Magnus Maximus unter diesen Umständen den gallischen Bischöfen folgte und Priszillian wegen seiner ketzerischen Lehre sogar zum Tode verurteilte.
    Mächtige Männer der Kirche wie der Mailänder Metropolit Ambrosius haben gegen diese Verurteilung Einspruch erhoben, auch wenn sie keineswegs die Lehre Priszillians akzeptierten. Aber allein die Tatsache, dass hier ein weltlicher Herrscher ein Todesurteil bei innerkirchlichen Streitigkeiten gefällt hatte, wurde grundsätzlich abgelehnt. Diesem Protest schloss sich auch Martin von Tours an. Doch auch seine Vermittlungsversuche in Trier blieben erfolglos. 385 wurden Priszillian und sechs seiner Anhänger hingerichtet. Friedrich Prinz:
    "Auf den Punkt gebracht heißt das, dass Priszillian und seine Anhänger in Trier geköpft wurden, weil der Usurpator Magnus Maximus bei seiner ungesicherten politischen Position dringend der Unterstützung des gallischen Episkopats bedurfte."
    Todestag fällt zusammen mit Ende des mittelalterlichen Wirtschaftsjahres
    Da Martin sich gegen eine Todesstrafe ausgesprochen hatte, beschuldigten die Bischöfe nun auch ihn, ein Anhänger Priszillians zu sein. Enttäuscht über das machtpolitische Spiel seiner Bischofskollegen hat Martin jede Gemeinschaft mit ihnen aufgekündigt und keine Bischofsversammlung mehr besucht.
    Am 8. November 397 ist Martin dann in der Nähe von Tours in Candes an der Loire gestorben. Am 11. November, der später als Martinstag seinen Namen tragen sollte, wurde er unter großer Anteilnahme der Bevölkerung in Tours beigesetzt. Neben dem Grab wurde Martins legendenumwobener Mantel aufbewahrt, der dann eine eigene Geschichte in der mittelalterlichen Kirche bekam.
    Denn nachdem der Merowingerkönig Chlodwig im 6. Jahrhundert Martin von Tours zum Heiligen der fränkische Könige erklärte, wurde die Cappa, also der Mantel Martins, zur kostbarsten Reliquie des Königsschatzes. Die Karolinger erhoben dann Martin von Tours im 8. Jahrhundert zum Schutzheiligen des gesamten Frankenreiches. Der Kirchenhistoriker Arnold Angenendt:
    "Die Hofkirche, die die Karolinger unterhielten, bestand anfangs aus einer Klerikergruppe, deren erste Aufgabe es war, dem Heil der Familie förderliche Gottesdienste zu feiern und dabei vor allem den kostbaren Reliquienbesitz, die Cappa des heiligen Marti zu hüten und auf Kriegszügen mitzuführen. Von daher erhielten die Kleriker mit der Zeit den Namen 'capellani', also Kapläne und die Oratorien in den Pfalzen, wo jeweils die Cappa aufbewahrt wurde, nannte man 'capella', also Kapelle."
    Die Bezeichnungen Kaplan und Kapelle, die ursprünglich aus dem Martinskult kamen, sind dann in den allgemeinen kirchlichen Sprachgebrauch übernommen worden. Auch wenn die historische Figur Martins von Tours weitgehend in Vergessenheit geraten ist, wird der Martinskult jedoch bis heute in manchen Teilen Deutschlands gepflegt. Das hängt vor allem damit zusammen, dass mit dem Gedenktag des populären Heiligen, am 11. November, im Mittelalter das bäuerliche Arbeits- und Wirtschaftsjahr endete. An diesem Tag liefen die Dienstverhältnisse aus und Zins und Pacht wurden fällig. Er war eine Art Jahreswechsel und da dieser Tag auch der Vortag der 40-tägigen Fastenzeit vor Weihnachten war, wurde noch einmal mit dem Braten einer Martinsgans und Martinsgebäck gefeiert. Man veranstaltet Fackelzüge und zündete Martinsfeuer an. In manchen Gegenden war der Martinstrunk der erste frisch gegorene Wein des Jahres. An dieses Brauchtum erinnern heute vor allem die Laternenumzüge zu St. Martin.