Menschen werden aus ihrer Heimat vertrieben, vergewaltigt, ermordet - auf dem Balkan, in den ehemaligen mittelasiatischen Staaten der ehemaligen Sowjetunion, in Afrika. Die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, den Gräueln ein Ende zu bereiten, schlagen oft fehl. Blauhelm-Soldaten stehen tatenlos daneben. Sie dürfen nicht eingreifen - haben die verantwortlichen Politiker beschlossen:
"Der wichtigste Grund ist in einem Wahrnehmungsfehler zu sehen, im hartnäckigen Festhalten an überkommenen Denkmustern bezüglich organisierter Gewalt, in der Unfähigkeit, die Eigenart und Logik der neuen Kriege zu erkennen ..."
.. schreibt die englische Politikwissenschaftlerin Mary Kaldor in ihrem Buch "Neue und alte Kriege", das gerade auf Deutsch erschienen ist. Darin untersucht die Direktorin des "Programms für globale Zivilgesellschaft" an der London School of Economics, wie sich Kriege in den vergangenen Jahrhunderten verändert haben. Es sind Veränderungen, die von politischen Führern kaum in ihre Entscheidungen einbezogen werden - deshalb scheitern zahlreiche Friedensinitiativen.
Fast 1,2 Millionen Mann allein auf französischer Seite unter Waffen während der Napoleonischen Feldzüge; deutsche und französische Soldaten verschanzten sich jahrelang in Schützengräben während des ersten Weltkrieges; Panzerschlachten im zweiten Weltkrieg - das waren die "alten Kriege". "Neue Kriege" sind anders. Der Politologe Jonas Koudissa aus Kongo/Brazzaville über bewaffnete Konflikte in Afrika heute:
Jonas Koudissa: "Das ist schwer zu sagen, wer genau kämpft. Es sind auch Kinder. Wir haben gesehen, zum Beispiel als Kabila im Mai '97 Kinshasa eroberte, wie jung die Soldaten waren, die den Einmarsch Kabilas unterstützt haben. Was können die Leute machen, wenn sie in solchen Konflikten mit abgeschleppt werden? Die können einfach nichts machen. Entweder machen sie mit oder sie werden umgebracht."
Es sind nicht länger Soldatenheere, die einander gegenüber stehen. Es kämpft auch nicht eine konventionelle Armee gegen eine Guerilla aus Männern und Frauen, die für die Unabhängigkeit ihres Landes zur Waffe greifen. Heutige Kriegsparteien sind unübersichtliche Verbindungen aus regulären Streitkräften und paramilitärischen Gruppen - das sind Männerbanden, die sich um eine Führungsfigur, oft mit krimineller- Vorgeschichte, scharen, Dazu kommen örtliche Selbstverteidigungskomitees und ausländische Söldner. Diese bewaffneten Männerhorden verfolgen oft eine Strategie ...
"... die auf Vertreibungen und Destabilisierung setzt, um Territorien von Menschen mit abweichender Identität zu 'säubern' und Furcht und Hass zu schüren..... Die Plünderung des Besitzes der einfachen Bürger ebenso wie der Überreste des Staates und die Abschöpfung der den Opfern zugedachten Hilfslieferungen aus dem Ausland durch die diversen politischen und militärischen Fraktionen sind nur unter Kriegs- oder kriegsähnlichen Bedingungen möglich, mit anderen Worten bietet der Krieg eine Legitimationsgrundlage für verschiedene Formen krimineller persönlicher Bereicherung, die zugleich die notwendigen Einnahmequellen zur Fortführung des Krieges darstellen."
Auf dem Balkan plündern Krieger die verlassenen Häuser hunderttausender Geflüchteter, in Afrika verhökern sie die Bodenschätze aus eroberten Gebieten auf dem Weltmarkt. Die raubtierhafte Aneignung von Werten ist ein wichtiges Merkmal.
Arnold Temple: "Diamanten sind zentral in unserem Krieg. Alle beteiligten Kriegsparteien haben irgendwann vom Diamantenhandel profitiert."
... erklärt Pastor Arnold Temple aus Sierra Leone, wo seit Jahren brutale Kämpfe toben.
Ganz ohne ideologisches Korsett funktionieren allerdings auch "neue Kriege" nicht. Selbst ein krimineller Eisdielenbesitzer und Schmuggler wie der berüchtigte serbische Schlächter Arkan kann sich nicht einfach hinstellen und sagen, er wolle jetzt mit Gewalt sein Vermögen mehren. Es bedarf eines Etiketts, unter dem die Raubzüge stattfinden. Mary Kaldor nennt dieses Etikett "Identität".
Im Namen der "Identität" werden die neuen Kriege geführt: Nationalistische und ethnische Identitäten werden von interessierten Kräften zu Leben erweckt, Bevölkerungsgruppen im Namen einer vermeintlichen Identität gegeneinander aufgehetzt - auch wenn sie lange Zeit friedlich miteinander gelebt haben oder früher nicht verfeindet waren.
Die "Identität" eignet sich auch zur Mobilisierung von Unterstützung der Diaspora: Nostalgische US-Amerikaner irischer Herkunft spenden für die IRA. Kroaten und Serben, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, werden zur Kasse gebeten. Auch das gehört zu den kriegerischen Raubzügen in Zeiten der Globalisierung.
Mary Kaldor kritisiert nun, dass internationale Friedensbemühungen sich - wie man es aus den alten Kriegen gewohnt ist - an die Anführer der Kriegsparteien wenden. Also an nationalistische oder ethnische Hetzer und Kriminelle, die oft selber die wichtigste Ursache der Kriege sind:
"Zunächst einmal verschaffen die Verhandlungen den Kriegsparteien öffentliche Aufmerksamkeit und bringen eine Art öffentlicher Legitimation einzelner Protagonisten mit sich, bei denen es sich durchaus um Verbrecher handeln kann. Zweitens machen es die partikularistischen Ziele der Kriegsparteien äußerst schwer, eine tragfähige Lösung zu finden. Eine dritte Schwäche des herkömmlichen Verhandlungseinsatzes liegt in den für gewöhnlich übertriebenen Vorstellungen von der Fähigkeit der Konfliktparteien, derlei Vereinbarungen umzusetzen."
Kaldor nennt eine Alternative: In fast allen Kriegsgebieten existieren heute zivilgesellschaftliche Organisationen und Einzelpersonen, die mit großer Kraftanstrengung ein Leben über kulturelle Unterschiede hinweg auch mitten im Krieg aufrecht erhalten. Sie sind bekannt vor allem über das Netzwerk der Nichtregierungsorganisationen. Diese kosmopolitischen Kräfte gelte es, durch internationale Intervention - sei es diplomatisch oder auch mit bewaffneten Kräften - zu unterstützen.
"Eine wirksame Reaktion auf die neuen Kriege muss eine Allianz zwischen internationalen Organisationen und örtliche Fürsprecherin des Kosmopolitismus schmieden, die auf die Wiederherstellung von Legitimität hinarbeitet...
...fordert die Autorin. Den "warlords" aller Fraktionen müsse das Handwerk gelegt werden statt Übereinkommen zwischen den Kriegstreibern auf Kosten der Zivilbevölkerung anzustreben.
Mary Kaldor: "Neue und alte Kriege. Organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung" ist bei Suhrkamp erschienen, hat 279 Seiten und kostet 38 Mark.
"Der wichtigste Grund ist in einem Wahrnehmungsfehler zu sehen, im hartnäckigen Festhalten an überkommenen Denkmustern bezüglich organisierter Gewalt, in der Unfähigkeit, die Eigenart und Logik der neuen Kriege zu erkennen ..."
.. schreibt die englische Politikwissenschaftlerin Mary Kaldor in ihrem Buch "Neue und alte Kriege", das gerade auf Deutsch erschienen ist. Darin untersucht die Direktorin des "Programms für globale Zivilgesellschaft" an der London School of Economics, wie sich Kriege in den vergangenen Jahrhunderten verändert haben. Es sind Veränderungen, die von politischen Führern kaum in ihre Entscheidungen einbezogen werden - deshalb scheitern zahlreiche Friedensinitiativen.
Fast 1,2 Millionen Mann allein auf französischer Seite unter Waffen während der Napoleonischen Feldzüge; deutsche und französische Soldaten verschanzten sich jahrelang in Schützengräben während des ersten Weltkrieges; Panzerschlachten im zweiten Weltkrieg - das waren die "alten Kriege". "Neue Kriege" sind anders. Der Politologe Jonas Koudissa aus Kongo/Brazzaville über bewaffnete Konflikte in Afrika heute:
Jonas Koudissa: "Das ist schwer zu sagen, wer genau kämpft. Es sind auch Kinder. Wir haben gesehen, zum Beispiel als Kabila im Mai '97 Kinshasa eroberte, wie jung die Soldaten waren, die den Einmarsch Kabilas unterstützt haben. Was können die Leute machen, wenn sie in solchen Konflikten mit abgeschleppt werden? Die können einfach nichts machen. Entweder machen sie mit oder sie werden umgebracht."
Es sind nicht länger Soldatenheere, die einander gegenüber stehen. Es kämpft auch nicht eine konventionelle Armee gegen eine Guerilla aus Männern und Frauen, die für die Unabhängigkeit ihres Landes zur Waffe greifen. Heutige Kriegsparteien sind unübersichtliche Verbindungen aus regulären Streitkräften und paramilitärischen Gruppen - das sind Männerbanden, die sich um eine Führungsfigur, oft mit krimineller- Vorgeschichte, scharen, Dazu kommen örtliche Selbstverteidigungskomitees und ausländische Söldner. Diese bewaffneten Männerhorden verfolgen oft eine Strategie ...
"... die auf Vertreibungen und Destabilisierung setzt, um Territorien von Menschen mit abweichender Identität zu 'säubern' und Furcht und Hass zu schüren..... Die Plünderung des Besitzes der einfachen Bürger ebenso wie der Überreste des Staates und die Abschöpfung der den Opfern zugedachten Hilfslieferungen aus dem Ausland durch die diversen politischen und militärischen Fraktionen sind nur unter Kriegs- oder kriegsähnlichen Bedingungen möglich, mit anderen Worten bietet der Krieg eine Legitimationsgrundlage für verschiedene Formen krimineller persönlicher Bereicherung, die zugleich die notwendigen Einnahmequellen zur Fortführung des Krieges darstellen."
Auf dem Balkan plündern Krieger die verlassenen Häuser hunderttausender Geflüchteter, in Afrika verhökern sie die Bodenschätze aus eroberten Gebieten auf dem Weltmarkt. Die raubtierhafte Aneignung von Werten ist ein wichtiges Merkmal.
Arnold Temple: "Diamanten sind zentral in unserem Krieg. Alle beteiligten Kriegsparteien haben irgendwann vom Diamantenhandel profitiert."
... erklärt Pastor Arnold Temple aus Sierra Leone, wo seit Jahren brutale Kämpfe toben.
Ganz ohne ideologisches Korsett funktionieren allerdings auch "neue Kriege" nicht. Selbst ein krimineller Eisdielenbesitzer und Schmuggler wie der berüchtigte serbische Schlächter Arkan kann sich nicht einfach hinstellen und sagen, er wolle jetzt mit Gewalt sein Vermögen mehren. Es bedarf eines Etiketts, unter dem die Raubzüge stattfinden. Mary Kaldor nennt dieses Etikett "Identität".
Im Namen der "Identität" werden die neuen Kriege geführt: Nationalistische und ethnische Identitäten werden von interessierten Kräften zu Leben erweckt, Bevölkerungsgruppen im Namen einer vermeintlichen Identität gegeneinander aufgehetzt - auch wenn sie lange Zeit friedlich miteinander gelebt haben oder früher nicht verfeindet waren.
Die "Identität" eignet sich auch zur Mobilisierung von Unterstützung der Diaspora: Nostalgische US-Amerikaner irischer Herkunft spenden für die IRA. Kroaten und Serben, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, werden zur Kasse gebeten. Auch das gehört zu den kriegerischen Raubzügen in Zeiten der Globalisierung.
Mary Kaldor kritisiert nun, dass internationale Friedensbemühungen sich - wie man es aus den alten Kriegen gewohnt ist - an die Anführer der Kriegsparteien wenden. Also an nationalistische oder ethnische Hetzer und Kriminelle, die oft selber die wichtigste Ursache der Kriege sind:
"Zunächst einmal verschaffen die Verhandlungen den Kriegsparteien öffentliche Aufmerksamkeit und bringen eine Art öffentlicher Legitimation einzelner Protagonisten mit sich, bei denen es sich durchaus um Verbrecher handeln kann. Zweitens machen es die partikularistischen Ziele der Kriegsparteien äußerst schwer, eine tragfähige Lösung zu finden. Eine dritte Schwäche des herkömmlichen Verhandlungseinsatzes liegt in den für gewöhnlich übertriebenen Vorstellungen von der Fähigkeit der Konfliktparteien, derlei Vereinbarungen umzusetzen."
Kaldor nennt eine Alternative: In fast allen Kriegsgebieten existieren heute zivilgesellschaftliche Organisationen und Einzelpersonen, die mit großer Kraftanstrengung ein Leben über kulturelle Unterschiede hinweg auch mitten im Krieg aufrecht erhalten. Sie sind bekannt vor allem über das Netzwerk der Nichtregierungsorganisationen. Diese kosmopolitischen Kräfte gelte es, durch internationale Intervention - sei es diplomatisch oder auch mit bewaffneten Kräften - zu unterstützen.
"Eine wirksame Reaktion auf die neuen Kriege muss eine Allianz zwischen internationalen Organisationen und örtliche Fürsprecherin des Kosmopolitismus schmieden, die auf die Wiederherstellung von Legitimität hinarbeitet...
...fordert die Autorin. Den "warlords" aller Fraktionen müsse das Handwerk gelegt werden statt Übereinkommen zwischen den Kriegstreibern auf Kosten der Zivilbevölkerung anzustreben.
Mary Kaldor: "Neue und alte Kriege. Organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung" ist bei Suhrkamp erschienen, hat 279 Seiten und kostet 38 Mark.